Jedes Fußballspiel ist ein Drama mit offenem Ausgang - also gar nicht weit entfernt vom Theater. Der legendäre Sieg von Bayer 05 Uerdingen gegen Dynamo Dresden im Europapokal 1986 ist durchaus Stoff für die Bühne. „Ich habe vage Erinnerungen an die Vorbereitung im Traininglager. Aber vom Spiel habe ich alles gespeichert. Jede Sekunde“, sagt Werner Vollack.
Er stand im Tor bei jener Begegnung, die als Wunder von der Grotenburg Fußballgeschichte schrieb und erhielt von der spanischen Presse den Beinamen „El Milagro“ (das Wunder). „Es war nicht nur aus sportlicher Sicht so besonders, sondern auch wegen der tragischen menschlichen Geschichten. Wir haben uns gefreut über den Sieg, wir kamen ins Halbfinale. Das war großartig. Abgesehen von Ausnahmespieler Matthias Herget waren wir ja alle Nobodys, keine Stars, aber wir waren hungrig, offen
Es war ein dramatisches Spiel, das sich in der zweiten Halbzeit komplett drehte. Bayer 05 verwandelte den 1:3-Rückstand in ein 7:3 „Wir waren im Rausch und unglaublich froh über den Sieg. An die Verlierer hat niemand gedacht.“
Ein Theaterstück nimmt das jetzt in den Fokus. Rüdiger Höfken hat „Das Wunder von der Grotenburg“ geschrieben. In szenischer Lesung mit theatralen Elementen kommt es auf die Studiobühne der Fabrik Heeder. Am Mittwoch ist Uraufführung.
Höfken hat das Spiel als 21-Jähriger im Stadion erlebt - und die menschlichen und politischen Dimensionen der deutsch-deutschen Begegnung im noch geteilten Deutschland ebenfalls nicht ermessen können. Im Stück ist diese Ebene aus der Sicht einer deutsch-deutschen Familie beleuchtet. Es ist die menschliche Komponente, die auch Vollack bis heute berührt. Er hat Kontakt gesucht zu den Verlierern von damals, Freundschaften sind entstanden, Einblicke in Schicksale, die ihm unter die Haut gingen.
Zum Beispiel Frank Lippmann: Der Schütze des 1:2 für Dynamo hat sich nach dem Spiel abgesetzt. „Er ist im Westen geblieben. Seine Freundin und sein drei Monate altes Kind hat er zurück gelassen. Was die Frau mitgemacht haben muss“, meint Vollack. Er hat von Lippmann erfahren, dass sie ihm später mit dem Kind über Ungarn gefolgt ist. „Sie sind seit 31 Jahren glücklich verheiratet. Aber was damals wirklich los war, wird man nie erfahren.“
Das verlorene Spiel gegen den Klassenfeind habe in der DDR immense Folgen gehabt. Auch Höfken habe, als er das Stück in Dresden geschrieben hat, noch erhebliche Ressentiments erlebt: „Es gibt sogar Verschwörungstheorien.“
Was Vollack lange umgetrieben hat, ist die Situation des Dresdner Torwarts Jens Ramme. Als Stammtorhüter Bernd Jakubowsky mit einer Verletzung ausschied, musste der damals 18-jährige Ersatzmann ran. „Der Junge tat mir unendlich leid. Man gab dem Torwart die Schuld an der Niederlage, aber es lag an der schlechten Mannschaft. Und am Trainer: Klaus Sammer hat vor dem Einsatz überhaupt nicht mit dem Jungen gesprochen, auch kein anderer Spieler - nur ein Parteifunktionär.“ Er erinnert sich noch an die eisige Stille in der eigenen Mannschaftskabine in der Halbzeitpause. „Keiner sagte was, selbst der Trainer nicht. Erst als wir auf den Platz gingen, sagte Kapitän Mathias Herget: Das läuft live im Fernsehen. Wir lassen uns nicht weiter vorführen.“ Ein Unentschieden müsse drin sein. Nach dem 5:3 wusste Vollack: „Jetzt schaffen wir es.“ Über die aktuelle Situation des KFC mag er indes nicht reden. „Der Schock sitzt noch zu tief.“
INFO:
Uraufführung in der Fabrik Heeder am 9. JuniDas Wunder von der Grotenburg spielt am 3. Februar 2019 - an dem Tag, als Rüdiger Höfken mit dem Schreiben begann.
Premiere ist am Mittwoch, 9. Juni, 20 Uhr, in der Fabrik Heeder; nächste Aufführung am 19. Juni. Kartentel. 02151 805125.
Mit Betty Ixkes, Michael Grosse, Rüdiger Höfken