2024-04-29T14:34:45.518Z

Ligabericht
Hier soll es wieder aufwärtsgehen: Bei der Freien TSG Gießen.	 Archivfoto: von Berg
Hier soll es wieder aufwärtsgehen: Bei der Freien TSG Gießen. Archivfoto: von Berg

Die goldenen Jahre sind wohl vorbei

KLB GIESSEN: +++ Die Freie TSG Gießen befindet sich derzeit im freien Fall / Abstieg in die C-Liga droht / Hasslers „Herzensangelegenheit“ +++

GIESSEN. Die Freie TSG Gießen, Traditionsverein mit idyllisch (und versteckt) gelegenem Gelände am Philosophenwald, hat es nicht leicht. Aktuell steht der Verein in der unterbrochenen Corona-Runde auf dem vorletzten Platz der Kreisliga B, konnte aus zehn Partien erst einen Sieg einfahren. Es sieht also alles andere als rosig aus für das Team von der Liebigshöhe. Tatsächlich zählt die Freie aber, neben drei anderen Teams, mit vier gewonnenen Titeln zu den Rekordmeistern der A-Klasse Gießen. Allerdings liegen diese Erfolge sehr weit zurück. Zuletzt 1982. Die beiden Kreispokalsiege stammen gar aus den 1960er-Jahren. Doch es ist noch nicht so lange her, dass Namen wie Reuling, Ambaye oder Speier die Zeilen füllten, wenn von den „Freien“ (Turnern) die Rede war. Um das „Dream-Team“ zu finden, muss nicht lange im Archiv gewühlt werden. Alles begann vor knapp vier Jahren. Robel Ambaye spielte noch bei der Zweiten des ASV Gießen, als ihn Ingo Schneider fragte, ob er sich denn vorstellen könne, als Trainer bei der Freien TSG anzufangen. Ohne lange zu überlegen, sagte Ambaye zu. „Viele haben mich aber auch gewarnt und gesagt, bei der Freien ist es immer so, dass niemand ins Training kommt. Ich wollte es aber trotzdem versuchen. Es war ja meine erste Trainerstation. Der erste dem ich das dann erzählt habe, war Tommy Speier, ein richtig guter Freund und und richtig guter Fußballer. Der hat sofort gesagt, er ist dabei, obwohl er ja in Hadamar wohnt.“ So kam es, dass immer mehr Spieler bei der FTSG kicken wollten, bis schließlich knapp 30 Jungs beisammen waren. Um so eine große Anzahl an Spielern betreuen zu können, holte Ambaye Dominique Jackson als Co-Trainer mit ins Boot. Eine nominell starke Mannschaft wurde aufgebaut, ein System reingebracht, es kamen (wieder) mehr Zuschauer auf das Gelände mit Tennisplatz und feinem Sportheim, das in guter Tradition die kultigen Willi und Ingrid Klein betreiben. Mit Williams Belloff und Sebastian Bubbel kamen weiteren Spitzenspieler an die Liebigshöhe, die auch schon die Verbandsliga in ihrer sportlichen Vita zu verzeichnen hatten. „Dass dann auch noch Chris Reuling dazugekommen ist, war ein absolutes Highlight. Viele fragten sich: ‘Was will er denn bei der Freien?’ Ja, wir waren halt alle befreundet. Viele verschiedene Charaktere, die auf irgendeine Art und Weise zusammengepasst haben, sodass gerade auch das erste Jahr ein sehr besonderes war. Es hat komplett harmoniert“, erinnert sich Ambaye an seine „schönste Zeit im Fußball“ zurück. Die logische Folge war der Aufstieg in die A-Klasse 2017. Auch wenn es schöne und vor allem erfolgreiche Jahre für den ganzen Verein waren, gelang es den Verantwortlichen irgendwann nicht mehr, das Projekt zu stemmen. „Es war sehr nervenaufreibend, weil ich ja auch noch Musik mache. Dann kam die Hochzeitssaison, wo ich so gut wie jedes Wochenende Auftritte hatte. Da hat es bei mir auch wieder nachgelassen und Dominique war auch nicht mehr da. Da war ich schon leicht überfordert und am Ende einfach ausgelaugt. Irgendwann waren es auch wieder weniger Spieler. Im zweiten oder dritten Jahr war es so, dass abrupt nur noch fünf bis sechs Leute im Training waren und das hat man dann leider nicht mehr in den Griff bekommen“, erinnert sich Ambaye. Dass die Freie aktuell auf dem direkten Weg gen C-Liga ist, führt Vorsitzender und Urgestein Willi Klein auf die mangelnde Spielerzahl zurück: „Wir haben für diese Liga schon gute Spieler. Viele sind im Training auch da. Das Problem ist nur, dass sie dann zu den Spielen nicht kommen und absagen. Letztens hatten wir Sonntag um elf Uhr ein Spiel, da haben drei Mann tatsächlich verschlafen.“ Sagt Willi Klein, und weiß nicht so recht, ob er lachen oder heulen soll. Der ehemalige Kicker und Trainer hat doch schon alles gesehen im Gießener Fußball.

Die Corona-Pause kam dem Verein ganz gelegen, um einen Neuaufbau voranzutreiben. Einen ersten Erfolg konnte die Freie schon verbuchen, denn mit Stefan Hassler als neuem Trainer ab der Rückrunde (wir berichteten), der mit dem Verein bereits seit Jahren verbunden ist, sieht Klein ein Licht am Ende des B-Liga-Tunnels. Was das Team nun braucht, um an die noch gar nicht so weit zurückliegende erfolgreiche Vergangenheit anzuknüpfen, ist Zeit. „Jetzt gibt es erst einmal eine Wiederaufbauphase, die vielleicht ein paar Jahre dauern wird. Die Freie ist ein Traditionsverein, wo momentan zwar nicht viel los ist, aber ich bin mir sicher, dass das irgendwann auch wieder anders sein wird. Irgendwann kommt dann wieder eine Gruppe von Spielern, die wieder andere kennen und mitbringen“, blickt Ambaye zuversichtlich für seinen Ex-Verein in die Zukunft.

Somit scheinen die goldenen Jahre bei der Freien vielleicht doch noch nicht komplett zu Ende zu sein. Denn es kann bekanntlich ja immer was passieren. Und wer weiß, vielleicht kommen mit dem neuen Coach auch wieder sportliche Kaliber wie ein Chris Reuling an die Liebigshöhe. Stefan Hassler jedenfalls hat einen Plan. Und die Freien Turner dürfen an ihrem schönen Gelände wieder ein wenig befreiter aufatmen.

Manchmal geht‘s bergauf, manchmal geht‘s bergab. Und manchmal geht‘s auch mal scheinbar ungebremst nach unten. In loser Folge berichten wir an dieser Stelle unter dem Label „Auf dem Weg nach unten“ über Fußball-Vereine mit gutem Ruf und Tradition, die darum kämpfen, wieder alte (Leistungs)-Höhen zu erreichen.

Aufrufe: 017.11.2020, 20:00 Uhr
Vincent Renken (Gießener Anzeiger)Autor