2024-06-14T14:12:32.331Z

Der Spieltag
Keineswegs symbolisch: Das ?verrissene Hemd?, hier links Teutone Louis Goncalves, hatten am Ende des Derbys Max-Peter Mohr und der VfB 1900. Foto Heli
Keineswegs symbolisch: Das ?verrissene Hemd?, hier links Teutone Louis Goncalves, hatten am Ende des Derbys Max-Peter Mohr und der VfB 1900. Foto Heli

Derby lebte von reichlich Intensität und Dramatik

Nachbetrachtung des VL-Derbys zwischen dem VfB Gießen und Watzenborn-Steinberg

GIESSEN - (srd). Lange konnten Außenstehende seinen Ärger nur erahnen, doch irgendwann platze Stefan Hassler endgültig der Kragen. „Mike, Mike, bleib` weg Mike“, brüllte der Trainer des VfB 1900 Gießen unüberhörbar für die rund 800 Zuschauer des Derbys gegen die SC Teutonia Watzenborn-Steinberg am Sonntagnachmittag durch das Waldstadion.

Gemeint war sein Abwehrmann Michael Bathomene. Welche Aktion der 1900er-Übungsleiter in der Schlussphase – kurz vor dem 2:2-Ausgleich durch Rafael Szymanski – derart auf die Palme brachte, ist eigentlich egal. Denn die Gründe für die 3:4-Niederlage im Spitzenspiel der Verbandsliga Mitte lassen sich ohnehin nicht an einzelnen Aktionen festmachen, obgleich Hassler mit seinen Einwechslungen diesmal kein glückliches Händchen hatte. Es lag vielmehr am Gesamtauftritt der 1900er in Durchgang zwei, die mit einer verdienten 2:0-Führung in die Kabine gegangen waren. „In der zweiten Halbzeit hat der VfB aufgehört, Fußball zu spielen“, brachte es Kreisfußballwart Henry Mohr nach dem intensiven und mitunter auch ruppigen Match auf den Punkt.

Anstatt auf den dritten Treffer zu drängen, überließen die 1900er dem Team von Trainer Daniel Steuernagel die Initiative. Zwar sprangen nach einer ereignisreichen Anfangsphase und dem Anschlusstreffer durch Louis Goncalves lange Zeit keine weiteren Chancen heraus, aber die Teutonen waren präsenter, frischer, wacher – sprich: sie wollten den Sieg irgendwie ein bisschen mehr. Man kann es natürlich als unglücklich bezeichnen, wenn eine Mannschaft durch zwei ganz späte Treffer – in diesem Fall eben der VfB 1900 nach Toren von Natnael Tega (89.) und Denis Weinecker (92.) – den Kürzeren zieht, aber der Teutonen-Erfolg war durchaus verdient.

So wirklich dran geglaubt hatten nach dem 2:0 durch Hendrik Dechert (40.) viele der zahlreich auf der Haupttribüne vertretenen Fans des Verbandsliga-Spitzenreiters wohl nicht mehr. „Jetzt ist‘s entschieden, die kommen nicht mehr zurück. Da hängt doch zu viel vom Zufall ab“, nuschelte ein Anhänger vor sich hin. Sein Sitznachbar nickte nur zustimmend und zog die Stirn kraus. Dass es letztlich mit dem Derbysieg klappte, lag keineswegs an einer deutlichen Leistungssteigerung der Teutonen im spielerischen Bereich. Und auch die Hausherren spielten nicht großartig anders als in Durchgang eins, in dem sie häufig über lange Bälle ihr Glück probiert hatten. „Vielleicht haben wir den VfB mit unserer Leidenschaft beeindruckt“, mutmaßte Teutonen-Coach Daniel Steuernagel am Tag nach dem Match. Und vielleicht auch mit ihrer Präsenz nach Standardsituationen (Hassler: „Jeder Standard hat für Gefahr gesorgt“), die Ausgangspunkt für alle vier Treffer der Gäste waren.

Frenetisch hatte der Übungsleiter der Gäste mit seiner Mannschaft auf dem Platz den dritten Sieg im vierten Spiel gefeiert, danach trennten sich aber die Wege. „Ich habe es eher ruhig angehen lassen und mit meiner Frau noch ein bisschen gefeiert“, berichtete Steuernagel und schob mit einem Schmunzeln nach: „Die Jungs haben aber richtig Gas gegeben. Erst ging es ins Vereinsheim, dann in Richtung ‚Harlem‘. Ob sie dort aber tatsächlich angekommen sind, weiß ich nicht.“ Die Sause hatten sich die Teutonen-Spieler in jedem Fall verdient: Es war schließlich nicht irgendein Spiel. Es ging um die Vormachtstellung im Fußballkreis Gießen, aber auch um einen Fingerzeig für den weiteren Saisonverlauf. „Dieser Sieg war für die Moral sehr, sehr wichtig und gibt uns viel Auftrieb für den weiteren Saisonverlauf“, merkte Steuernagel an. Das Derby selbst dürfte die Zuschauer angesichts der Dramatik trotz fehlender spielerischer Qualität nicht enttäuscht haben. Vielleicht aber die Tatsache, dass bereits zu Beginn der zweiten Hälfte kaum noch Getränke zum Verkauf zur Verfügung standen. „Wir haben nur noch Cola-Bier“, bekamen jene Zuschauer zu hören, die nach dem packenden Match noch einen kühlen Schoppen zischen wollten.

Enttäuscht war freilich auch VfB-Trainer Hassler. Sekunden, bevor der Schlusspfiff des Schiedsrichters ertönte, hatte er bereits seine Jacke übergestreift. Als die erste Saisonniederlage seines Teams dann besiegelt war, schien er zunächst auf dem Feld das Weite suchen zu wollen, stellte sich dann aber doch den Fragen der Journalisten. „Am Boden waren wir besser, aber Standards gehören eben auch dazu“, lautete eine der Aussagen des Übungsleiters. Erstaunlich ruhig und gefasst gab Hassler seine Einschätzung ab, wirklicher Ärger schwang nicht mit. Vielleicht hatte der Übungsleiter da schon erkannt, dass der Last-Minute-Sieg zwar etwas glücklich, aber keineswegs völlig unverdient war.

Aufrufe: 026.8.2014, 08:22 Uhr
Gießener AnzeigerAutor