2024-05-16T10:25:37.604Z

FuPa Portrait
In zwei Jahren hat Semir Gracic (rechts) nur fünf Ligaspiele für den TSV Rain absolviert. Konnte der TSV 2020 ohnehin kaum spielen, konnte Gracic auch in der Hinrunde 2021 nicht eingreifen. Bis heute hat er mit den Folgen einer Corona-Infektion zu kämpfen. Dabei ist es für ihn die „Hölle“, untätig zu sein.
In zwei Jahren hat Semir Gracic (rechts) nur fünf Ligaspiele für den TSV Rain absolviert. Konnte der TSV 2020 ohnehin kaum spielen, konnte Gracic auch in der Hinrunde 2021 nicht eingreifen. Bis heute hat er mit den Folgen einer Corona-Infektion zu kämpfen. Dabei ist es für ihn die „Hölle“, untätig zu sein. – Foto: Walter Brugger

Corona nahm ihm noch ein halbes Jahr

Semir Gracic ist jung, topfit und für den TSV Rain in der Regionalliga am Ball +++ Dann bekommt er Corona +++ Seither droht seine Laufbahn einzubrechen, auch ein halbes Jahr später leidet er noch +++ Und gibt nicht auf

Eigentlich hatte es so ausgesehen, als wäre Semir Gracic wieder voll da. Fast zwölf Monate lang hatte er kein Fußballspiel bestritten, als er am 7. September wieder für den TSV Rain gegen den TSV Aubstadt im Pokal auflief. Elf Tage später war klar: Gracic ist noch lange nicht wieder auf der Höhe. Die Folgen einer Corona-Infektion von Mitte Juni, drei Monate zuvor, bremsten ihn nach wie vor aus. Und sie tun es bis heute – auch wenn Gracic seinen Optimismus wiederhat und in der Rückrunde erneut angreifen will. Dann allerdings nicht mehr beim TSV Rain. Denn nach der Infektion ist klar: Sie hat die Karrierepläne des 21-Jährigen massiv zurückgeworfen.

Damals, im Sommer, sei er im Urlaub gewesen. Am letzten Tag der Reise nach Spanien habe er Fieber gehabt, erzählt Gracic. Ein Test vor dem Rückflug war negativ, doch nach der Ankunft in Deutschland hatte er Gewissheit: Eine erneute Probe bestätigte den Verdacht, Gracic litt an Covid-19. Er überstand die Krankheit, kurierte sich aus und wollte sich auf die neue Saison vorbereiten. Seit 2020 spielte der Münchner für den TSV Rain, weil der Spielbetrieb im März damals bis zum vergangenen Sommer allerdings bis auf wenige Wochen infolge der Corona-Pandemie unterbrochen war, bestritt er bis dahin nur vier Pflichtspiele für den TSV. Der Rainer Ex-Trainer Alexander Käs erinnerte sich dennoch an ihn, erzählt Gracic.

Käs nahm ihn bei seinem neuen Verein, dem FC Ingolstadt, mit ins Trainingslager der zweiten Mannschaft, wie Gracic erzählt. Er rechnete sich gute Chancen auf einen Kaderplatz in der FCI-Reserve in der neuen Saison aus, freute sich schon darauf: „Dort hätte ich unter Profi-Bedingungen trainieren können“, sagt er. In der Junioren-Bundesliga war er bei 1860 München schon aktiv, träumt nach wie vor davon, vom Fußball leben zu können. „Meine Fitness ist eigentlich eine Stärke“, sagt Gracic. „Ich habe schon vor dem Urlaub viel und gut trainiert, war top in Form.“ Doch im Trainingslager musste er einsehen: „Es machte keinen Sinn.“

Während Gracic vergeblich versuchte, wieder fitter zu werden, begann die neue Saison. Ingolstadt II startete ohne ihn und verzichtete auf eine Verpflichtung, sodass Gracic im Kader des TSV Rain blieb. Doch auch dort stand er beim Saisonstart nicht zur Verfügung. Eine Untersuchung ergab: Es hatten sich Wassereinlagerungen unter der Lunge gebildet, ähnlich wie bei Nationalspieler Joshua Kimmich nach dessen Infektion im Herbst. Eineinhalb Liter Flüssigkeit fanden die Ärztinnen und Ärzte bei Gracic im Brustkorb, dort, wo sie nicht hingehört. Und sie diagnostizierten eine Herzmuskelentzündung. Auf seinem Weg zurück versuchte Gracic deshalb stets, die Belastung überschaubar zu halten, seinen Körper im Training nicht zu überfordern. Im September hatte er das Gefühl, wieder bereit zu sein. Dass er fußballerisch zu überzeugen weiß, bewies er sofort: Aus dem Stand war Gracic Stammspieler, übernahm als Ecken- und Freistoßschütze Verantwortung. „Gegen Aubstadt war ich nach 70 Minuten absolut platt, konnte gar nicht mehr“, erzählt Gracic. „Aber da habe ich noch gedacht, nach einer so langen Pause ist das normal.“ Doch es wurde nicht besser.

Immerhin: Das zweite Spiel gewann Rain mit 1:0 beim VfB Eichstätt, wieder spielte Gracic die vollen 90 Minuten, wieder konnte er aber nach 70 Minuten nicht mehr. Drei Tage später reichte die Luft gegen Eitensdorf nur für eine Stunde, er ließ sich auswechseln. Und im nächsten Spiel war ihm schon nach einer halben Stunde klar: Heute geht nichts mehr. Im Heimspiel gegen Memmingen musste Gracic noch vor der Pause vom Feld. „Mein Fehler damals war, überhaupt gespielt zu haben“, sagt er. Dass Gracic damals überfordert war, war auch von außen zu erkennen. Zwei Mal lief ihm schon zu Beginn sein Gegenspieler auf der linken Außenbahn davon und bereitete ein Gegentor vor. Dass die Nachwirkungen der Corona-Infektion Gracic immer noch so plagen, dass er nach dieser Partie bis heute keine weitere mehr bestreiten sollte, war damals noch nicht klar.

Geimpft ist Gracic nicht, kein Wunder, wurde doch erst Mitte Juni die Regelung aufgehoben, wonach besonders gefährdete Gruppen zuerst geimpft werden sollten. Ausreichend Impfstoff, um ohne Priorisierung auch jene zu impfen, die wie der junge und bis dato gesunde Gracic ein vermeintlich geringeres Risiko hatten, schwer an Covid-19 zu erkranken, stand erst im Sommer zur Verfügung – zu spät für den Außenbahnspieler.

Auch nach seinem bislang letzten Auftritt im TSV-Dress spürte er im Training häufig einen Druck auf der Brust, legte deshalb erneut eine Pause ein. „Das war und ist für mich die Hölle“, berichtet Gracic. Auch abseits des Platzes sei er nicht auf der Höhe gewesen. „Ich konnte manchmal kaum aus dem Bett aufstehen, habe einige Wochen lang fast gar nichts gemacht.“ Seine Schilderungen klingen so, als sei er sich ein wenig verwahrlost vorgekommen. Ihm wird klar: Er muss etwas unternehmen. Seinen Traum vom Fußballprofi stellt er erst einmal hintenan, statt sich voll auf den Sport zu konzentrieren, sucht er sich eine Arbeit. Und einigt sich mit dem TSV Rain darauf, den Vertrag beim Regionalligisten aufzulösen. „Den Aufwand, den ich bisher für den Sport betrieben habe, den schaffe ich nicht mehr“, sagt er. Dazu gehörte nicht nur das Training, individuell oder auf dem TSV-Gelände. Mehrere Stunden verbrachte der 21-Jährige wöchentlich im Auto, um zwischen Wohnort München und Rain zu pendeln. Spätestens seit er arbeitet, schafft er das nicht mehr, wie er sagt. Doch das heißt auch: Wo es fußballerisch für ihn weitergeht, ist noch offen, vielleicht auch eine Klasse tiefer als bislang. Immerhin: Die Langzeitfolgen belasten ihn bei seiner Arbeit in einer Glaserei nicht.

Und so will er sich zur Rückrunde wieder einen Verein suchen, mindestens in der Bayernliga, wie er sagt – wenn der Körper mitspielt, und dieses Mal näher an München. Es gehe wieder aufwärts, das merke er im Training. Schon jetzt ist Gracic einen langen Weg gegangen, um sich von seiner Krankheit und den Spätfolgen zu erholen. Er hofft, dass er nicht noch länger wird. Nicht nur, um Erfolg auf dem Platz zu haben – sondern auch, weil seine Mühen ihn seither einiges an Lebensfreude kosten. Und das nun schon seit einem halben Jahr.

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Aufrufe: 030.12.2021, 17:13 Uhr
Donauwörther Zeitung / Christof PaulusAutor