2024-04-25T14:35:39.956Z

Vereinsnachrichten
Experten in Spiel- und Taktikanalyse: Markus Brunnschneider (links) und Anselm Küchle. FOTO: HÜBNER
Experten in Spiel- und Taktikanalyse: Markus Brunnschneider (links) und Anselm Küchle. FOTO: HÜBNER

Institut für Fußballmanagement: Taktik-Brains unter sich

Packingrate, diametral abkippende Sechs: Was steckt eigentlich dahinter?

Der Fußball ist kompliziert geworden. Wer kannte denn vor Jahren Begriffe wie Pressing und Gegenpressing, falsche Neun, dynamische Dreierkette oder diametral abkippende Sechs, pendelnde Viererkette, Umschaltspiel oder Packingrate? Gehört heute zum Vokabular fast jedes einigermaßen ambitionierten Amateurtrainers, was das Spiel nicht grundsätzlich verändert hat, aber die Beschäftigung damit.

Für jeden Gegner die richtige Taktik zu finden, den „Matchplan“, wie man heute sagt, das kann der Schlüssel zum Erfolg sein. Und den sucht der Kreisklassencoach genauso wie der Bundesliga-Trainer. Was der aber an Daten, Fakten und Spezial-Analysen von seinem Mitarbeiterstab serviert bekommt, muss sich der Amateur unter völlig anderen Bedingungen hart erarbeiten.

Die akribische Spielanalyse, ein Ding der Unmöglichkeit im Amateurfußball? Nicht unbedingt, findet Anselm Küchle. Küchle hat für den VfB Hallbergmoos in der Landesliga gekickt, zuletzt Bezirksliga in Moosinning. Zur neuen Saison kehrt er nach Hallbergmoos zurück, als spielender Co-Trainer. Als Fußballer ist er Amateur, Profi aber in der Spiel- und Taktikanalyse. Mit Alexander Schmalhofer hat er am Institut für Fußballmanagement (IfFM) in Ismaning in diesem Bereich eineinhalb Jahre zusammengearbeitet. Heute ist er dort fachlicher Leiter für Aus- und Weiterbildung.

Da kommt nun viel Kompetenz nach Hallbergmoos. „Mal sehen“, Küchle schmunzelt. „Den einen oder anderen Aspekt werden wir sicher einfließen lassen.“ Vor zwei Jahren hat er nach seinem Sportmanagement-Studium das Hochschulzertifikat Spielanalyst Fußball mit entwickelt, das erste Bildungsprogamm dieser Art im deutschsprachigen Raum. Viele Mitarbeiter von Profiklubs, aber auch einiger Amateurvereine haben das Programm inzwischen durchlaufen, das sich intensiv unter anderem mit wissenschaftlichen Grundlagen der Spielanalyse, Videoanalyse- und Videotechnik, Spielvor- und -nachbereitung, Gegneranalyse, Fußballlehre und Scouting beschäftigt.

Gerade ist man dabei, ein zweites Programm aufzulegen, das sich speziell an die Vertreter aus dem Amateur- und Jugendbereich richtet. „Auf gleich hohem Niveau, aber mit Fokussierung auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten kleinerer Vereine“, so Küchle. Für einen „normalen“ Amateurtrainer ist eine vernünftige Spielanalyse „ohne fundierte Kenntnisse in diesem Bereich eine echte Herausforderung.“ Neben dem geringen Zeitbudget spielen auch oftmals finanzielle Aspekte eine Rolle. „Spielanalyse ist aber auch mit einem kleineren Budget möglich“, sagt Markus Brunnschneider, am Institut für den Bereich Spiel- und Taktikanalyse sowie Scouting zuständig, seit Schmalhofer, einst Regionalligaspieler in Buchbach, zu Red Bull Salzburg gewechselt ist.

Brunnschneider hat neben seinem Studium der Sportwissenschaften für die Amateure und Jugendteams des FC Bayern Spiele analysiert, inzwischen, sagt er, sei es ja möglich, mit einfachen Mitteln, sogar mit dem Handy, Filmsequenzen zu erstellen und mit Freeware so zu bearbeiten, dass man aussagekräftiges Material bekommt; für die Regional- und Bayernliga, demnächst wohl auch die Landesliga, stellt es ohnehin der Verband zur Verfügung.

Ein echter Mehrwert ergibt sich aber erst durch die Fähigkeit der richtigen Auswertung und Interpretation: Einerseits lässt sich bei der Spielvorbereitung unter anderem durch Analyse des Gegners der „Matchplan“ entwerfen, die Nachbereitung hilft, eigene Fehler aufzudecken und zu minimieren, taktisches Verhalten zu optimieren und auch die Entwicklung einzelner Spieler zu forcieren. „Das funktioniert mit Videomaterial wesentlich anschaulicher als durch bloßes Reden“, sagt Küchle. Vor allem jüngere Spieler seien da sehr offen, wenn ihnen Situationen visuell vorgeführt und anschaulich erklärt werden.

Schließlich könne jeder profitieren von einer akribischen Analyse, die große Frage sei halt, „wie baut man das in den Trainingsablauf ein, bei zwei, drei Trainingseinheiten pro Woche stößt man da schnell an Grenzen.“ Brunnschneider rät, sich dann auch mal auf zwei, drei elementare taktische Punkte zu beschränken, den Spielern dafür eine Auswahl an Lösungsmöglichkeiten an die Hand und dadurch das Gefühl zu geben, „der Trainer hat einen Plan. So bekommen sie mehr Sicherheit.“ Ein Matchplan sollte nicht starr, sondern variabel sein, um auf veränderte Situationen entsprechend reagieren zu können. „Dabei kann es von Vorteil sein, im Spielsystem flexibel zu agieren“, sagt Brunnschneider.

Zu unterscheiden habe man vier Phasen, eigener Ballbesitz, Ballbesitz des Gegners sowie die offensive und defensive Umschaltphase nach Ballgewinn beziehungsweise Ballverlust. Für das Spiel gegen den Ball sei es wichtig, erstmal zu erkennen, aus welcher Grundordnung agiert der Kontrahent, wie interpretiert er das System und wie kann ich bestimmte Muster bei der Spieleröffnung zu meinem Vorteil nutzen? Wie läuft der Gegner bei eigenem Ballbesitz an, welche Art von Pressing wird ausgeübt? Angriffspressing, Mittelfeldpressing, Abwehrpressing? Und wie ist das Verhalten bei Ballverlust beziehungsweise Ballgewinn, wird der Ball gesichert oder direkt in die Tiefe gespielt? Gibt es Auffälligkeiten bei Einzelspielern, hat beispielsweise der Innenverteidiger bestimmte Eigenheiten, die einem die Chance bieten, in entstehende Lücken zu stoßen? Zieht der Außenspieler mit dem Ball ständig nach innen, wie Arjen Robben, oder sucht er lieber den Weg zur Grundlinie?

„Aus diesen Erkenntnissen über die Stärken und Schwächen des Gegners beziehungsweise des eigenen Teams kann ich nun die Ausrichtung meiner Mannschaft festlegen, einen spezifischen Matchplan erarbeiten“, so Brunnschneider. Die nötigen Werkzeuge, um unter anderem das eigene und das gegnerische Team zu analysieren, bekommen die Teilnehmer durch das Hochschulzertifikat an die Hand. Man erhält Tipps, wie man seine Vorstellungen der Mannschaft vermittelt, einzelne Spieler, je nach ihrer Mentalität, anspricht, man erfährt Tricks, um über die Analyse noch mehr aus seiner Truppe herauszukitzeln.

Die Ausbildung zum Spielanalysten erstreckt sich über sieben Monate, beinhaltet fünf Module von wissenschaftlichen Grundlagen über Videoanalyse und -technik, Fußballlehre bis hin zu Scouting und Kaderplanung. Pro Monat gibt es zwei Präsenztage am Institut, garniert von spannenden Referaten renommierter Fachleute aus Profiklubs und Verbänden, ergänzt durch virtuelle Phasen und Seminare auf einer innovativen Internetplattform. Die Zeiten haben sich verändert, nicht nur im Fußball. Egal, ob bei Profis oder Amateuren.

Die Amateurfußballseite erscheint jeden Mittwoch. Autor ist Reinhard Hübner, erreichbar unter komsport@t-online.de

Aufrufe: 024.5.2017, 07:51 Uhr
Münchner Merkur: Reinhard HübnerAutor