2024-05-10T08:19:16.237Z

Interview

"Vor Colletti braucht sich keiner fürchten"

Gioacchino Colletti ist für seinen ausgeprägten Torinstinkt bekannt. Im Interview erzählt der Spielertrainer des TV Neuler aus seiner ereignisreichen Karriere und stimmt dabei ein Loblied auf den Fußball an.

Mit ein bisschen mehr Glück hätte Gioacchino Colletti sogar mal in der 2. Liga auf Torejagd gehen können, doch es sollte nicht sein. Selbst wenn längst nicht jeder Fußball-Traum des heute 35-Jährigen in Erfüllung ging, ist Colletti alles andere als ein Pechvogel: Ein selbst errichtetes Haus, eine inzwischen vierköpfige Familie und etliche Freunde – vor allem aus dem Bereich Fußball – tragen viel dazu bei, dass er im Interview einen entspannten, selbstzufriedenen Eindruck macht.

Und: Der sportliche Erfolg ist da. Seit Sommer ist 'Joe' Colletti Spielertrainer bei dem Bezirksligisten TV Neuler, der nun nach fünf Siegen aus acht Partien einen aussichtsreichen 3. Platz belegt. Auch wenn dem Stürmer der eigene Torerfolg längst nicht mehr so viel bedeutet, als der Erfolg seiner Mannschaft, steht Colletti mit elf Treffern (!) schon wieder ganz oben in der Torjägerliste.

Ein Gespräch über Höhepunkte, verpasste Chancen und die Liebe zum Fußball.
Gleich geht es hoch zum Kopfball: Gioacchino Colletti (2. v. l.) gehört zu den besten Torjägern, die der Kreis Ostwürttemberg hervorgebracht hat.

Julian Hermann: Lieber Gioacchino, gibt es etwas Schöneres für dich im Fußball, als selbst ein Tor zu erzielen?
Gioacchino Colletti:
Schöner als ein Tor ist natürlich ein Sieg. Wenn man mit der Mannschaft einen Sieg feiern kann, ist das viel schöner. Mir bringt ein Tor nichts, wenn wir nicht gewinnen und uns nicht zusammen freuen können.

Legst du den Ball vor dem Tor ab und zu auch mal quer, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt?
Wenn sich die Gelegenheit ergibt: selbstverständlich. In der Statistik führe ich derzeit ja auch, was Vorbereitungen anbelangt, auch in meiner Gesamtstatistik stehen glaube ich weit über hundert Assists. Wenn einer besser steht, bekommt er auch den Ball von mir.

Wie wichtig ist dir deine Statistik?

Die Statistik ist mir schon wichtig, aber die kommt erst nach dem Mannschaftserfolg.

Was war deine beste Saison als Spieler und wie alt warst du zu diesem Zeitpunkt?
Das ist sehr schwierig zu sagen. Jede Saison war schön und gut. Ich habe eigentlich immer meine Tore geschossen. Klar, als ich meinen Vertrag in der 3. Liga hatte (beim VfR Aalen, Saison 08/09), hatte ich wohl meine beste Verfassung, ich war damals 23. Die anderen Saisons waren aber auch super.

Was war dein größter Fehler in deiner Karriere und was deine beste Entscheidung?

Ich denke nicht, dass ich große Fehler gemacht habe. Verletzungspech hat da mehr kaputt gemacht und auch das ein oder andere gute Angebot zerschlagen. Ich hatte auch nochmal ein Angebot aus der 2. Liga beim VfR Aalen, leider war ich zu dem Zeitpunkt aber gerade mit dem Hausbau beschäftigt und musste dementsprechend auch ein dauerhaftes Einkommen vorweisen, um den Kredit bei der Bank abzuzahlen. Ein Ein- oder Zweijahresvertrag bei einem Fußballverein hätte diese Sicherheit aber nicht erbracht. Das hat sehr weh getan, damit hadere ich bis heute.
Die Entscheidung war aber richtig. Unser Haus ist wunderschön geworden.

Ich bin sehr zufrieden mit meinen Erfahrungen im Fußball, deshalb gibt es fast keine 'beste Entscheidung'. Vielleicht mein Wechsel nach Ulm, wo wir den Aufstieg in die Regionalliga feiern konnten.

Colletti reckt die Meisterschale empor: Mit dem SSV Ulm feierte er 2015/16 den Aufstieg in die Regionalliga.

Wie viel hast du mit deinen inzwischen 35 Jahren noch als Spieler drauf?

Das sollen doch andere bewerten. Ich fühle mich noch richtig fit und halte mich auch fit. Sonst würde das in der Bezirksliga auch nicht funktionieren. Man muss die Saison schon mit einer guten Fitness beginnen, sonst besteht man nicht als Spieler.

Was macht der 35-jährige ‚Joe‘ besser als der 25-jährige?

Mein Vorteil ist die Erfahrung. Ich weiß nicht, ob ich etwas besser mache, doch es kommt immer auch auf eines an: Ein 25-Jähriger ist sicher aggressiver, aber ich mache viel mehr mit dem Kopf und spare mir ein paar Wege, um frisch zu sein und vielleicht in der 90. Minute doch noch einen zu versenken.

Hast du durch den Fußball ‚echte‘ Freunde hinzugewonnen?

Ja, sehr viele. Ich respektiere andere Spieler und bekomme das auch zurück. Es ist einfach auch schön, dass man sich hier im Umkreis kennt und schätzt, ob Mit- oder Gegenspieler. Das ist für mich auch das Schöne am Fußball, dass man echte Freunde dazugewinnt.

Für viele im Kreis Ostwürttemberg steht der Name Colletti für etwas, du bist bekannt und sicher auch ein wenig gefürchtet. Was bedeutet dir deine (lokale) Berühmtheit?

Gut, gefürchtet... Ich habe immer meine Tore geschossen, mein Name steht wohl auch dafür. Darauf bin ich schon stolz, vor Colletti braucht sich aber keiner fürchten. Berühmtheit, naja, man kennt sich jedenfalls im Umkreis Ostwürttemberg. Wie gesagt: ich bin sehr stolz darauf.

Dein Bruder Angelo hat mir erzählt, dass du die große Chance hattest, Profi zu werden. Wann war das und wie oft denkst du noch daran zurück?

Ja, ich hatte die ein oder andere Chance, Profi zu werden. 2003 gab es mal ein Angebot vom KSC, da hat mich Edmund Becker angerufen und wollte mich mit einem Profivertrag ausstatten. Es hat sich aber zerschlagen, da ich damals noch einen Vertrag bei Dorfmerkingen hatte und sie mich nicht ziehen ließen. Das wäre eine schöne Sache gewesen damals, mit dem KSC in der zweiten Liga.
Natürlich hätte ich mich damals auch hocharbeiten müssen, mit 19 Jahren bei den Amateuren.

Trikot-Doppelpack beim SSV Ulm: Joe Colletti ist stets auf alle Bedingungen vorbereitet und greift in der Halbzeit schon mal zu einem frischen Hemd.

Bei welchem Profiverein wärst du gerne einmal auf Torejagd gegangen?

Realistisch oder unrealistisch? Unrealistisch natürlich für Juventus Turin, meinen Lieblingsverein.
Ein Traum von mir war es aber auch immer, für 1860 München zu spielen, als Werner Lorant dort noch Trainer war. Er hat mich beeindruckt. Das wäre mal ein geiler Verein gewesen.

Angelo und du: stürmt ihr irgendwann noch einmal zusammen in einer Mannschaft? Vielleicht gemeinsam in Neuler? Angelo würde ja gerne mal noch in der Bezirksliga spielen…

Bestimmt, ich glaube schon daran, dass das mal noch der Fall sein wird. Da muss der Angelo aber noch richtig Gas geben, um mich zu beeindrucken, dass ich ihm dann das nötige Vertrauen schenken würde, mit mir zu stürmen!
Spaß beiseite: Ich würde mir das auch wünschen. Wir sind Blutsbrüder, er hat ja auch bewiesen, dass er das ein oder andere Tor schießen kann in den vergangenen Jahren. Er ist ein Ausnahmestürmer, der seine Tore macht. Er hat leider gerade etwas Pech, aber das wird sich auch wieder legen.

Nun zu deiner Trainerkarriere: Beim TV Neuler bist du seit Sommer Spielertrainer. Warum hast du dich nach Trainerstationen bei den SF Lorch, dem TSV Schornbach (Co-Trainer) und der U19 der Normannia ausgerechnet für Neuler entschieden?

Das Konzept des TV Neuler hat mich total überzeugt, die Vorstellung, mit jungen Leuten in die neue Saison zu gehen. In Neuler ist es familiär, das hat mich einfach angesprochen. Ich bin echt froh, dass ich dort bin, und wir wollen bis zum Schluss oben mitspielen.
Die Station Neuler habe ich auch angenommen, weil ich wieder im Kreis Ostwürttemberg als Trainer arbeiten wollte.

Was möchtest du beim TV Neuler erreichen?

Wir wollen eine gute Runde spielen und alle Spieler weiterentwickeln. Auf jeden Fall wollen wir oben mitspielen und irgendwo zwischen Platz drei und fünf landen. Ins Bezirkspokal-Finale wollen wir aber unbedingt.

Wie bist du mit dem Saisonstart zufrieden? Platz drei nach acht Spielen…

Ich bin sehr zufrieden mit der Punkteausbeute. Wir sind drei Punkte vom ersten Platz entfernt, aber auch wenige Zähler vom achten. Es ist noch viel zu spielen, ein erstes Fazit können wir erst in der Winterpause ziehen, derzeit bin ich aber sehr zufrieden.

Über welche Entwicklung in deiner Mannschaft freust du dich ganz besonders?

Wir haben in der Startelf meistens zwei oder drei 18-Jährige, die letztes Jahr aus der A-Jugend gekommen sind. Die Entwicklung freut mich als Trainer natürlich ganz besonders. Der Zusammenhalt und die Entwicklung der Mannschaft sind einfach was Besonderes.

Setzt du eher auf junge Spieler oder mehr auf die erfahrenen?

Es muss immer eine gute Mischung sein, nur so werden wir auch erfolgreich sein. Erfahrene Spieler braucht man immer, sonst werden die Jungen nicht geführt.

Euer Gegner am Sonntag, der SSV Aalen, steht mit zwei Punkten auf Rang 15 der Tabelle. Wird das eine Pflichtaufgabe für euch?

Natürlich wollen wir jedes Spiel gewinnen. Gerade was den SSV Aalen anbelangt muss man aber feststellen, dass die Tabelle lügt. Die müssten schon einige Punkte mehr haben, das hat man auch im Spiel gegen Schnaitheim gesehen. Wir unterschätzen niemanden, sicher auch nicht den SSV Aalen, der richtig gute Spieler hat.

Wirst du am Sonntag treffen?

Ich werde definitiv treffen. Vielleicht nicht das Tor, vielleicht wird es mal die Latte sein oder auch mal ein Fenster des SSV-Vereinsheims (lacht).
Nein, ich würde mich freuen, wenn ich der Mannschaft mit meinen Treffern helfen kann. Ich will gerne ein Tor machen, es geht mir als Trainer aber vor allem um die drei Punkte. Wer die Tore erzielt, ist mir da wirklich nicht wichtig.

Wie lange willst du noch Fußball spielen?

Ich wollte eigentlich schon vor drei oder vier Jahren aufhören, als ich meine Trainer B-Lizenz gemacht hatte. Aber ich wurde immer auch überredet, doch noch als Spieler-Trainer weiterzumachen. Deshalb kann ich dir gar nicht sagen, wie lange ich noch Fußball spielen werde. Solange ich gesund bin, fühle ich mich auch noch fit für eine weitere Saison auf dem Platz. Ich denke aber schon, dass ich noch eine Weile auf dem Platz bleibe.

Was macht ‚Joe‘ Colletti abseits vom Fußballplatz? Hast du eine Familie gegründet und/oder noch andere Hobbys?

Ich bin seit über acht Jahren verheiratet und habe zwei Söhne. Meine Hobbys sind Fußball, Fußball, Fußball. Meine Kleinen wollen auch Fußball spielen, einer spielt sogar schon im Verein. Vor fünf Jahren haben wir unser Haus gebaut. Abseits vom Platz bin ich häufig auch an der Seitenlinie, und schaue mir Spiele an, unter anderem von meinem Kleinen. Eigentlich kann ich abseits des Platzes nicht vom Fußball lassen. Zu anderen Hobbys bleibt dann wenig Zeit.

Zum Schluss noch drei Entscheidungsfragen, bei denen du bitte die eine oder die andere Antwortmöglichkeit auswählst! (gerne auch mit Begründung)

Pizza oder Pasta?

Ich nehme beides, weil ich beides liebe!

Sizilien (Italien) oder Deutschland?

Ich bin in Deutschland geboren und gebürtiger Aalener, deshalb sage ich natürlich Deutschland. Für einen schönen Urlaub würde ich immer Sizilien wählen, weil ich dort am Strand wohne.

Roberto Baggio oder Ciro Immobile?

Da würde ich mich für Roberto Baggio entscheiden, weil das der beste italienische Spieler aller Zeiten ist und auch ein Vorbild für meinen Bruder und mich war und ist.

Lieber Gioacchino, vielen Dank für dieses Gespräch und viel Glück für die Runde!

Aufrufe: 03.10.2020, 08:30 Uhr
JHermannAutor