2024-05-17T14:19:24.476Z

Interview

"Was du nie hattest, vermisst du auch nicht"

Michael Dellinger (26) ist das "Herz" von Aufsteiger TSV Aubstadt und zudem ein Mensch mit einer klaren Meinung...

Er ist US-Amerikaner und Deutscher in einem, er ist Schweinfurter, er ist aber vor allem Aubstädter. Michael Dellinger ist einer, der auffällt - nicht nur wegen durchwegs guter Leistungen in seiner Premierensaison in der Regionalliga, sondern auch wegen seiner klaren Meinung zu vielerlei Themen. Im FuPa-Interview spricht der 26-jährige Industriemechaniker über seine Erfahrungen mit Rassismus, über die gute Rolle seines Teams in der neuen Spielklasse und über sein Verhältnis zu den "Schnüdel".

Michael, ist Dir während Deiner Spiele schon einmal Rassismus begegnet - egal, ob von Zuschauern oder Gegenspielern?
Ja. Vor zwei Jahren. Gegen Frohnlach. Damals hatte ich nach zehn Minuten bereits ein Tor geschossen und einen Elfer herausgeholt, was einem Fan überhaupt nicht gepasst hat. Der Schiri hat in Folge dieser rassistischen Beleidigungen das Spiel unterbrochen und denjenigen aus dem Stadion geschmissen. Nach dem Spiel hat sich der Zuschauer dann bei mir entschuldigt.

Hintergrund der Frage: Du bist halb-Amerikaner und dunkelhäutig. Erzählt uns aus Deiner Kindheit. Hast Du oft darunter gelitten, anders zu sein als Deine Freunde und Schulkameraden?
Gelitten - nein. Ich bin in Schweinfurt mit vielen anderen Ausländern aufgewachsen, die Stadt ist generell multikulti. Und deshalb ist es deshalb nie zu Problemen gekommen.

Wie nimmst Du generell den Rechtsruck in Europa und vor allem in Deutschland wahr? Fühlst Du Dich noch sicher?
In meiner Zone, in meinem gewohnten Umfeld, fühle ich mich sicher, ja.

Neuling Michael Dellinger hat sich ebenso wie sein Verein, der TSV Aubstadt, in der Regionalliga sofort Respekt verschafft.
Neuling Michael Dellinger hat sich ebenso wie sein Verein, der TSV Aubstadt, in der Regionalliga sofort Respekt verschafft. – Foto: Mike Megapix

Du bist gemeinsam mit Deinen beiden Geschwistern bei Deiner Mama, einer Deutschen, aufgewachsen. Dein Vater ist Dir nicht bekannt. Wie blickst Du heute auf Deine Kindheit zurück? War sie traurig - oder doch glücklich?
Meine Kindheit war absolut glücklich. Ich muss aber zugeben, dass immer wieder die Fragen nach meinem Vater aufkommen - gerade, nachdem ich selber Papa geworden bin vor zwei Jahren. Generell gilt aber bei mir: Was du nie hattest, vermisst du auch nicht.

Fakt ist, dass Du schon früh Verantwortung übernehmen musstest und wohl schneller selbstständig und erwachsen warst als gleichaltrige Kinder. Welche Dinge aus dieser Zeit spiegeln sich heute in Deinem Charakter wieder?
Es lässt sich schon feststellen, dass ich schnell reifer war als Gleichaltrige. Ich bin seit jeher ein Mensch, der sich durchaus hohe Ziele setzt und alles daran setzt, diese auch zu erreichen. An Aufgaben wächst man.


"Ich spreche dieselbe Sprache wie Aubstadt"

Ist angesicht Deiner Vergangenheit Fußball tatsächlich nur die schönste Nebensache der Welt?
Jeder Fußballer fängt überhaupt mal an, weil er Profi werden will - jeder kleine Junge träumt davon. Wie im normalen Leben bin ich auch im Fußball immer weiter gewachsen. Ich habe Spaß am Spiel, und das ist das Wichtigste. Aber es stimmt schon: Ich sehe das Ganze nicht so eng.

Seit einem Jahr bist Du Regionalliga-Spieler. Wie fühlt sich das an? Und: Wie groß ist der sportliche Unterschied zur Bayernliga?
Das Offensichtlichste sind zunächst einmal die weiteren Fahrten - und die größere Bühne, auf der man spielt. Doch umso größer die Aufmerksamkeit, desto mehr macht die Sache Spaß. Ich bin kein Spieler, der vor einer größeren Zuschauermenge nervöser ist. Im Gegenteil. Mich motiviert eine große Kulisse. In der Regionalliga zu spielen, war lange mein großer Traum, den ich mir nun erfüllen konnte.

Dellinger über seinen Trainer Josef Francic: "Er hat viele von uns irgendwie erzogen - unter anderem mich"
Dellinger über seinen Trainer Josef Francic: "Er hat viele von uns irgendwie erzogen - unter anderem mich" – Foto: Michael Buchholz

Du bist relativ früh angekommen in der 4. Liga, hast als Mittelfeldspieler beispielsweise bereits sechs Tore erzielt. Auch der TSV Aubstadt zählt zu den Überraschungen der Liga. Du und Dein Club scheint den selben Charakter zu haben - oder täuscht das?
Ich identifiziere mich komplett mit dem Verein - und umgekehrt. Der Trainer sieht in mir das Bindeglied zwischen Jung und Alt. Ich spreche also dieselbe Sprache wie der TSV Aubstadt und deswegen passt's einfach so gut.

Ist der stabile Tabellenplatz von "Abscht" nur ein Zwischenhoch oder glaubst Du, dass Ihr Euch in der Regionalliga auf Dauer stabilsieren könnt?
Wir können die 4. Liga länger halten. Hätten wir zum Ende nicht so viele Verletzte gehabt, wären wir noch weiter vorne in der Tabelle zu finden - und das spricht für sich.


"Josef ist ein guter Trainer - und ein guter Mensch"

Im Gegensatz zu vielen anderen Teams habt Ihr mit Josef Francic einen Trainer, der praktisch zum Verein gehört. Warum nutzt sich der 52-Jährige nicht ab? Warum ist er gegen alle trendigen Erscheinungen eine Dauerlösung auf der TSV-Bank?
Er kennt viele Spieler im Team sehr lange, kennt deren Weg und hat viele von uns irgendwie erzogen - unter anderem mich. Auch ich war nicht immer so vernünftig wie heute - vor allem mit der Pünktlichkeit habe ich es lange Zeit nicht sehr ernst genommen. Josef hat mich deshalb mal aus dem Kader gestrichen. Eine Lehre für die Zukunft. Er ist ein guter Psychologe. Er ist nicht nur ein guter Trainer, sondern auch ein guter Mensch. Und deshalb ist er akzeptiert und wird respektiert.

Vereinstreue spielt in Aubstadt scheinbar eine große Rolle. Auch Du bist schon eine halbe Ewigkeit dabei. Sind für Dich andere Clubs überhaupt nicht interessant - oder bist Du offen für Neues?
Diese Frage habe ich mir zuletzt mehrmals selber gestellt. Ich habe bereits Angebote bekommen - auch aus der 3. Liga. Doch ich bin familiär hier sehr verwurzelt und habe einen guten Job. In meinem Alter ist es zudem schon schwieriger, alles auf die Karte Fußball zu setzen. Deshalb bin ich in Aubstadt schon sehr gut aufgehoben.

Gab's schon mal Kontakte zu den "Schnüdel"?
Natürlich. Aber irgendwie zieht dieser Verein bei mir nicht. So geht es übrigens mehr Schweinfurtern. Mit mir sind es über zehn Fußballer, die miteinander nach Aubstadt fahren. Das sind immerhin 60 Kilometer. Das sagt schon alles.

Mit 26 Jahren dürfte ja wohl auch die Regionalliga noch nicht das Ende der Fahnenstange sein, oder?
Wie schon vorher erklärt, wäre es mir am liebsten, mit Aubstadt noch einmal aufzusteigen (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch. Und alles Gute für die Zukunft.

Aufrufe: 020.1.2020, 13:20 Uhr
Dieter RebelAutor