Bernried/Seeshaupt – Zumindest für die geografische Nähe können sie nichts. Von Sportplatz zu Sportplatz fährt man 5,9 Kilometer – so genau hat das der „Google“-Kartendienst berechnet. Das ist eine winzige wie witzige Fußnote im Verhältnis zwischen den Fußballern aus Bernried und Seeshaupt. Sie kooperieren in der Jugend. Sie stehen sich gerade sehr nahe in der A-Klasse 5. Seeshaupt ist Neunter, Bernried Zehnter. Nur zwei Zähler trennen die Vereine. Sie haben auch eine ähnliche Entwicklung hingelegt, seit sie wieder um Punkte Fußball spielen. Sie steigen gemeinsam die Stufen aus dem Tabellenkeller hinauf. Wie machen die beiden das nur? Das Wasser am Starnberger See hat ja nicht über Nacht Heilkräfte erlangt.
Die Antwort fällt in beiden Fällen ähnlich aus. Sie hat mit dem Coronavirus zu tun und der Pause, die dann doch heilende Wirkung entfaltete. Verletzte erholten sich, die üblichen Urlaubsreisen im August entfielen. Und weil auch sonst viele Freizeit-Aktivitäten beschnitten wurden, gehen die jungen Männer vom Starnberger See brav jede Woche ins Training. „Wir können fast immer mit derselben Mannschaft spielen. Das hat am meisten geholfen“, sagt SVB-Trainer Josef Effner. Seinen Seeshaupter Kollegen Michael Groiß quälte bei zwei Ligaspielen gar der Luxus, aus 18 beziehungsweise 19 Kickern ein Team zusammenstellen zu müssen. Durch die hohe Trainingsbeteiligung hat sich der Fitnesszustand erheblich verbessert. FC-Coach Groiß nennt ihn jetzt „sehr gut“, was elementar für die Spielweise der Seeshaupter ist. „Viel Kampf, viel Lauf“, so beschreibt der Trainer Stärken und Stil der Seeshaupter.
Der Aufschwung lässt sich auch in Zahlen ausdrücken. Zunächst Bernried: Das Team holte sieben Zähler aus vier Partien, kassierte zuletzt gegen Höhenrain kein Tor (1:0). Davor hatte die Defensive 55 Gegentore in 17 Duellen hinnehmen müssen. Dabei, so scherzt Trainer Effner, sieht er die Abwehr gar nicht als größte Schwachstelle: „Klingt blöd, unser schlimmstes Thema ist die Chancenverwertung.“ In besagtem Spiel gegen Höhenrain hielt er auch ein Ergebnis von 8:0 für realistisch. Das ist kein Witz. „Was wir Chancen verballern, ist unfassbar.“ Aber so läuft es nun einmal im Abstiegskampf: „Wenn man hinten drinsteht, gibt es überall Baustellen. Und natürlich ist es hinten bei uns schlimm.“
Auf sechs Punkte kommt der FC Seeshaupt seit dem Re-Start, obwohl er gegen drei der vier Top-Mannschaften angetreten ist. Michael Groiß geht sogar so weit und sagt: „Es hätten acht oder neun sein müssen.“ Gegen Tabellenführer SV Wielenbach, den Groiß für die beste Mannschaft der A-Klasse 5 hält, brach sich Torwart Robin Sulzmann beim Stand von 2:2 das Schlüsselbein, der FC verlor danach noch. Andere Teams, diese Angst hatte der Coach, zerfallen nach solchen Traumata mental. Beim FC ereignete sich Gegenteiliges: Die Fußballer rutschten noch enger zusammen. Freut besonders Michael Groiß, da er großen Wert auf Gemeinschaft legt. Vor der Coronapause hat er Ausflüge zum Soccer-Golf und einige weitere Teamabende organisiert.
In der Winterpause möchte er mit dem Team Essen gehen und mal ein Bierchen trinken – sofern das Corona zulässt. „Außerhalb des Fußballplatzes lernt man sich besser kennen.“ Längst hat er eine bombige Stimmung herbeigezaubert. Die jungen Spieler „sind willig, haben Bock“, sagt Groiß. Mit ihnen „kann man für die Zukunft was aufbauen“. Groiß betreut den FC seit der Winterpause, als er Ernst Hutzler ablöste, der ihn – noch so eine Anekdote – angeworben hatte. Weil’s derzeit ausgezeichnet läuft, hätte der Trainer lieber die Saison weitergespielt.
Empfindet Kollege Effner genauso. Das Sujet „Abstieg und seine Folgen“ gehen die Bernrieder recht locker an. „Wenn es so ist, dann ist es so.“ Möglicherweise macht genau diese Gelassenheit sie derzeit so stark. Einmal hat sich die gesamte Einheit eingeschworen und nochmals an die Worte erinnert, die sie vor mehr als einem Jahr gesprochen hatte: „Für den Abstieg sind wir eigentlich zu gut. Das reißen wir noch rum“, rezitiert Effner.
Ungewöhnlich ist der Ansatz, der den SVB retten soll: Bernried setzt weiter auf eine spielerische Linie. „Das Körperliche liegt uns nicht“, sagt Effner. Exemplarisch greift er Tobias Flakus heraus, der das Mittelfeld organisiert und das Team führt. Ein kleiner, wuseliger Fußballer mit blitzblanker Technik, der für die Art Fußball steht, die der SVB praktiziert. Ansonsten könne man wirklich keinen hervorheben, betont der Coach.
Auch oder vor allem in Seeshaupt regelt die Mannschaft die sensible wie nervenzehrende Situation. Gewiss, Stürmer Thomas Andre trifft derzeit besonders gerne, aber dafür stellt ihn Michael Groiß auch vorn auf. Der Trainer sagt: „Mehrere können Kisten machen, darüber bin ich froh.“ Nur Michael Eberle muss man gesondert erwähnen. Eigentlich ein Abwehrspieler, der nun den verletzten Torwart Sulzmann vertritt. In der Jugend hat Eberle mal im Tor gestanden. Aber dass er seinen Aushilfsjob so gut verrichtet, hat niemand wissen können. „Großes Lob“, sagt Groiß. Es sieht also gut aus, dass die beiden Nachbarn der A-Klasse erhalten bleiben. Auch wenn der Ligaverbleib „eine schwere Nummer“ (Groiß) und „ein langer Weg“ (Effner) sein wird. (ANDREAS MAYR)