2024-05-10T08:19:16.237Z

Interview der Woche

Wille und Ehrgeiz sind groß

Nach seiner schweren Verletzung gab Kevin Boos jüngst sein Comeback bei der SG RWO Alzey +++ Knie bleibt "Überraschungspaket" +++ Mit Teambuilding nach katastrophaler Hinrunde scheint nun der Schalter umgelegt

Seit zwei Jahren plagt sich Kevin Boos mit einer Knieverletzung herum. Wie wichtig der Kapitän von Landesligist RWO Alzey ist, zeigten die jüngsten beiden Spiele: Mit dem 23-Jährigen gab es direkt zwei Siege beim SVW Mainz (3:1) und Wormatia Worms II (3:2). Doch im Knie ist noch längst nicht alles gut, und auch im Klub liegt einiges im Argen, wie Boos in einem sehr offenen und kritischen Interview der Woche erläutert.

Kevin, zuerst möchte ich nach Deiner Gesundheit fragen. Wie geht es Dir nach den ersten 180 Minuten nach Deiner schweren Knieverletzung?

Ich habe weiterhin Schmerzen und hatte teilweise einen ziemlich dicken Knöchel. Das ist ja kein Zustand. Mein Knie ist wie ein Überraschungspaket. Vergangene Woche war ich wieder im MRT, und da wurde auch wieder was entdeckt. Es ist unklar, ob ich wieder unters Messer muss.

Was genau wurde gefunden?

Es ist noch immer ein Erguss da, und von der Schleimhaut haben sich kleinere Klumpen gelöst, die wieder im Kniegelenk rumschwimmen. Ich muss mit den Ärzten sprechen, wie es weitergeht. Wenn wieder Knochenstücke abgesprungen sind, muss ich wohl wieder operiert werden. Aber das ist noch nicht klar, ich bleibe optimistisch.

Man könnte sagen: Seit der Kapitän wieder da ist und der Trainer seinen Abschied zum Saisonende bekannt gegeben hat, läuft's...

(lacht) Ich glaube nicht, dass es nur daran liegt. Wir haben ja auch im letzten Spiel vor der Winterpause beim 2:1-Sieg in Rülzheim einen Rückstand umgebogen. Das Entscheidende ist, dass der Wille und der Ehrgeiz im Moment sehr groß sind. Alle haben begriffen, dass es allerhöchste Eisenbahn ist, sonst spielen wir nächstes Jahr eine Klasse tiefer, und das will niemand bei uns und in der ganzen Stadt.


Bei seiner Rückkehr gab es für den Kapitän direkt einen 3:1-Sieg zu bejubeln. (Foto: Wolff)

Worin siehst Du die entscheidenden Gründe für jetzt drei Siege am Stück?

Dass wir begriffen haben, dass es an der Einstellung liegt. Wir haben eine katastrophale Hinrunde gespielt, das hat jeder gesehen. Die Maßnahmen zum Teambuilding funktionieren im Moment.

Welche Maßnahmen sind das?

Eigentlich gar nichts Großes. Wir hatten eine gute Vorbereitung, haben sehr intensiv gearbeitet. Im taktischen Bereich haben wir darauf Wert gelegt, kompakter zu stehen und nicht mehr so, ich sage mal, dumm auftreten, sondern cleverer spielen. Es war bei uns sehr still auf dem Platz, ich denke auch das hat sich gebessert. Und dass wir beim Rückstand nicht mehr sofort aufgeben.

Wie habt ihr von Sascha Winsis Abgang erfahren?

Der Coach hat mich Anfang letzter Woche zum Gespräch gebeten und mir seine Situation geschildert. Am Tag darauf wurde es dann der Mannschaft erklärt. Hans-Karl Schäfer und Steffen Jung haben uns die Lage erläutert. Ich denke, es war von beiden Seiten gewünscht, dass sich da etwas ändert. Das größte Geschenk, das wir Sascha machen können, sind jetzt viele Siege und der Klassenerhalt.

Wie hat die Mannschaft die Entscheidung aufgenommen?

Man wird nachdenklich, fragt sich: Sind wir schuld, dass er geht? Ich denke, dass er noch immer den kompletten Rückhalt in der Mannschaft hat. Nach der Bekanntgabe der Entscheidung haben wir in Worms gewonnen, was überragend war. Und im Training ziehen nach wie vor alle voll mit. Ich denke, es hat keinen großen Schaden angerichtet.

Vielleicht sogar das Gegenteil. Hat die Mannschaft ein schlechtes Gewissen gegenüber Sascha?

Das denke ich nicht. Aber natürlich fragt man sich, ob man die Schuld hat, dass er geht. Andererseits hat Sascha deutlich gesagt, dass es nicht an der Mannschaft liegt, sondern dass er einfach nach all den Jahren etwas anderes machen will. Das ist ja auch verständlich.

Nicht schmerzfrei, aber für die SG RWO Alzey ein zentraler Spieler: Kevin Boos bei seinem Comeback gegen den SVW Mainz. (Foto: Wolff)

Vor der Saison lautete die Zielvorgabe, oben mitzuspielen. Die Erwartungshaltung ging stark Richtung Verbandsliga. Nun steckt ihr mitten im Abstiegskampf. Waren die Erwartungen zu hoch?

In Alzey ist die Erwartungshaltung immer sehr hoch. Klar träumen viele von der Verbandsliga, aber man muss realistisch bleiben und die Bedingungen sehen. Letztes Jahr haben wir eine klasse Saison gespielt, aber wir hatten auch namhafte Abgänge. Und ich weiß nicht, ob die alle eins zu eins ersetzt wurden. Wir haben eine sehr junge Mannschaft, die sich entwickeln muss. Ich denke, die Erwartungshaltung ist das große Problem in dem Verein. Meiner Meinung nach braucht es im Verein auch eine neue Struktur, um Spieler zu locken. Das Umfeld muss neu gestaltet werden, damit junge Spieler wieder den Drang haben, nach Alzey zu kommen.

Was meinst Du konkret?

Das Miteinander. Im Moment trainieren wir und spielen, haben aber zu wenig Vereinsleben. Das ist ja gewünscht, wird aber nicht umgesetzt. Das Vereinsleben fehlt einfach, und das spricht sich herum.

Wie soll das entstehen? So etwas kommt ja nicht auf Knopfdruck.

Klar. Alzey hat mittlerweile einen Ruf in der Umgebung, es wollen nicht mehr so viele bei uns Fußball spielen – weil das Vereinsleben nicht so ist, wie beispielsweise in manchen Nachbardörfern. Es fehlt die Möglichkeit, sich zusammenzusetzen, auch mal mit den Leuten zu reden, die zu unseren Spielen kommen. Nur so kann ja mehr Zusammenhalt entstehen.

Was macht die Mannschaft denn nach den Spielen, wie ist da der Zusammenhalt?

Das könnte deutlich mehr sein, das sage ich ganz ehrlich. Meistens sitzen wir in der Kabine noch ein bisschen zusammen. Aber meiner Meinung nach sollte es nach dem Spiel mindestens eine Stunde sein, doch das ist in Alzey nicht so. Dafür kann der Verein ja nichts. Es sind vielleicht acht, neun, zehn, vielleicht auch elf Spieler, die das gern wollen, aber es gibt eben auch Spieler, die nicht sitzen bleiben wollen. Das ist schade.

Also habt ihr keine wirklich homogene Mannschaft?

Ja, das stimmt, ich denke auch, dass es einer der Faktoren war, warum es in der Hinrunde nicht lief. Aber man kann ja niemanden zwingen.

Wie siehst Du Deine persönliche Zukunft bei RWO?

Dazu kann ich noch nicht viel sagen. Ich will erst einmal gesund und fit bleiben und mich auf die verbleibenden elf Spiele konzentrieren. Danach sehen wir weiter.

Habt ihr schon mit eurem neuen Trainer gesprochen?

Noch gar nicht.

Gibt es einen Fahrplan?

Uns wurde gesagt, dass er demnächst mal im Training vorbei schauen und sich vorstellen will. Mal schauen.

Gibt es, sofern der Klassenerhalt gelingt, Anlass für Optimismus bei RWO in den kommenden Jahren?

Wenn das Vereinsleben so weiter läuft, wie bisher, ist es schwierig. Aber RWO Alzey hat immer noch einen großen Namen, hier kann auch wieder was entstehen.

Wenn man beispielsweise nach Gau-Odernheim blickt: Dort ist eine sehr breit aufgestellte und auch sehr erfolgreiche Jugendarbeit der Schlüssel zum Erfolg, auch im Umfeld. Das Vereinsgelände ist immer belebt, es kommen Eltern, die werden zu Ehrenamtlichen, es kommen Freunde und Familie, die trinken und essen was... Aber das ist über lange Zeit gewachsen. Ein Vorbild?

Auf jeden Fall. Ich weiß gar nicht, wie viele Jugendmannschaften RWO hat, viele sind es nicht. Das ist ein massives Problem, dass praktisch gar keine Jugendarbeit stattfindet. Ich weiß nicht, woran das liegt, aber es ist in jedem Fall ein Fehler. Gau-Odernheim ist da überragend.

Was tippst Du, wo steht ihr am Saisonende?

Ich denke, wenn wir unseren Willen bewahren, dass wir den Klassenerhalt schaffen und im Mittelfeld landen. Einstelliger Tabellenplatz, sage ich.

Aufrufe: 017.3.2016, 06:30 Uhr
Torben SchröderAutor