2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines
Über Geld spricht man nicht gerne im Amateurfußball, weder auf dem Platz noch daneben. Man könnte ja als Nestbeschmutzer gelten. Zumal nicht alle Geschäfte in der Branche sauber sind. Der Prozess gegen frühere und jetzige Verantwortliche des TSV Aindling könnte nun aber reinigende Wirkung entfalten.  Symbolfoto: Robert Michael, imago
Über Geld spricht man nicht gerne im Amateurfußball, weder auf dem Platz noch daneben. Man könnte ja als Nestbeschmutzer gelten. Zumal nicht alle Geschäfte in der Branche sauber sind. Der Prozess gegen frühere und jetzige Verantwortliche des TSV Aindling könnte nun aber reinigende Wirkung entfalten. Symbolfoto: Robert Michael, imago

Schmutzige Geschäfte

In keiner anderen Sportart erhalten Amateure derart viel Geld für ihr Hobby wie im Fußball +++ 1000 Euro im Monat sind keine Seltenheit +++ Seit der Steueraffäre des TSV Aindling ist die Szene in Aufruhr +++ Nun packt ein Insider aus

Hier sind sie gelandet. Auf der Anklagebank des Landgerichts Augsburg. Blass und abgekämpft sehen sie aus, die älteren Herren in Hemd, Feinstrickpullover und Sakko. Das öffentliche Interesse, die Zuschauer im Saal, all dies ist ihnen unangenehm. Das verraten ihre Blicke. Ob sie schuldig sind, wird Simone Hacker, die Vorsitzende des Schöffengerichts, letztlich verkünden. Noch ist ein Urteil in weiter Ferne, mehr als ein Dutzend Prozesstage stehen aus. Zu verworren sind die Vorgänge, die es an diesem Ort zu klären gilt.

Dass sie hier sitzen und sich verantworten müssen, haben ehemalige und aktuelle Vorstandsmitglieder des TSV Aindling einem System zu verdanken, das an etlichen Stellen zu kranken scheint. Es wirkt undurchdringbar, bewegt sich in einer Grauzone, stets am Rande der Legalität. Ein System, mit dem Amateurfußball über Jahre hinweg funktioniert hat. Und weiter funktioniert, wie ein Steuerprüfer und Szenekenner vertraulich erzählt.

Im Aindlinger Fall sollen Spieler Schwarzgeld kassiert haben, soll der Staat um Steuern, sollen Versicherungen und Berufsgenossenschaft um Beiträge betrogen worden sein. Darauf fußte der Erfolg des Vereins aus dem Kreis Aichach-Friedberg, der über Jahre hinweg im bayerischen Amateurfußball eine führende Rolle einnahm. Er konnte sich Spieler leisten, die andere Klubs gerne gehabt hätten. Zwischen 2003 und 2011 steht eine Schadenssumme von rund 2,1 Millionen Euro im Raum. Bei einer Verurteilung drohen Freiheits- und Geldstrafen.

Ende November 2011. Mit einem Großaufgebot rückt der Zoll beim damaligen Bayernligisten an und durchsucht die Geschäftsstelle sowie Objekte aktueller und ehemaliger Vorstandsmitglieder. Eine Aktion mit Signalwirkung. Danach gerät eine ganze Szene in Aufruhr, es rumort in den Vereinen. Volker Wedel, Vorsitzender des schwäbischen Fußballverbandes, gesteht im Zuge der Enthüllungen ein: „Diese Steueraffäre steht dem Amateurfußball nicht gut zu Gesicht. Dem muss Einhalt geboten werden.“ Die Befürchtung ist: Die Aindlinger Machenschaften sind kein Einzelfall.

Sollten sich die Anklagepunkte bestätigen, hat der Klub bei der Bezahlung seiner Fußballer und bei den Einnahmen getrickst. Ablösesummen, Sponsorengelder, Zuschauereinnahmen und Erlöse aus dem Kioskverkauf sollen schwarz in die eigene Vereinstasche gewirtschaftet worden sein. Der Prozess dient seither der Branche als Drohung, wohin Steuerbetrug einen Verein bringen kann: Mitte August hat Aindlings Präsident Ludwig Grammer Insolvenz angemeldet. Die Landesliga-Fußballer sollen die Saison zu Ende spielen. Ob es danach weitergeht, darüber wird spekuliert. Manch einer vermutete schon in diesem Winter das Aus.

Nun geht die Angst vor der Steuerbehörde um. Welcher Verein ist womöglich der nächste? Die Zeit der Kavaliersdelikte ist spätestens seit der Hoeneß-Verurteilung vorbei. Beschleunigt wird dieser Denkprozess durch Vorgänge, die sich im Mai 2013, ein paar Kilometer südwestlich von Aindling, beim TSV Gersthofen, zugetragen haben. Auch dort tauchten Steuerfahnder auf. Der Verein zahlte rund 140.000 Euro an Steuer und Beiträgen nach. Verursacht wurden diese Schulden lediglich von einer Abteilung: der der Fußballer.

Im Großen wie im Kleinen, Profis wie Amateure: Beim Fußball wird mit Geld nur so jongliert. In keiner anderen Sportart werden Aktive derart üppig für ihr Hobby entlohnt. Geschäftsgebaren, etwa das Gezerre um Transfers, lassen sich im Verhältnis auf Freizeitkicker übertragen. Ablösesummen wandern von einem Verein zum anderen. Grundgehälter und Prämien füllen Konten. Vereine finanzieren sich über Sponsoren, Eintrittsgeld und Gastronomie. Sie verfügen über stattliche Etats im sechsstelligen Bereich, teils auch weit darüber.

Es soll Abteilungschefs und Sportliche Leiter geben, deren Vorbilder sich Manager nennen, Zigarren rauchen und teure Uhren tragen. Die die Bedeutung des Sports betonen, die Emotionen, die Erfolge, den Imagegewinn für Stadt und Region. Die hervorheben, im Sinne des Vereins zu handeln. Sie handeln aber auch im Auftrag ihres Egos. Fühlen sich großartig, wenn sie sagen: Fußball ist Business. Teils setzen sie dafür Privatvermögen ein.

Zur Mittagszeit in einem Café. Hinterste Ecke. Hier sei man ungestört, meint Robert Kurt, Fußballboss eines Landesligisten. Ihn umgibt die Aura eines Machers. Während des Gesprächs, in dem gelegentlich die Köpfe zusammengesteckt werden und der Ton ein Flüstern annimmt, wird er von seinen Jungs, seiner Mannschaft, seinem Verein parlieren. Wird rhetorisch fragen, warum er für Fußball Freizeit und Geld opfert. Wird antworten, wie „geil“ Siege sind, dass Erfolg hungrig macht und sein Herz in den Vereinsfarben schlägt. „Leider muss ich nebenbei noch arbeiten“, sagt Kurt und lacht in sich hinein.

Kurt heißt nicht Kurt. Seinen richtigen Namen will er nicht lesen. Über Geld spricht niemand gerne, als Nestbeschmutzer riskiert er seinen Ruf. Ist der ruiniert, schwindet das Vertrauen. Und Vertrauen ist wichtig. Schließlich wollen die Kicker, dass Abmachungen eingehalten werden. Davon gibt es reichlich. In Stadiongaststätten und an Spielfeldrändern wabern Gerüchte. Erzählt wird von einem Bayernligastürmer, der trotz anderer Angebote in einer niedrigeren Klasse kickt, weil der Wechsel ihm eine Einbauküche brachte. Oder von Landesligaspielern, die ein Auto hingestellt bekamen.

Vereine investieren, Verträge werden unterschrieben, Ablösesummen bezahlt. Verweigert ein Verein die Freigabe für einen Spieler und hält er sich dabei an gültiges Passrecht des bayerischen Verbands, wird eben verhandelt. Alles eine Preisfrage. Gerüchteweise erzählt man sich: Der Funktionär eines Regionalligisten kreuzt beim Hallenturnier mit 3000 Euro in bar auf, man einigt sich und der begehrte Offensivspieler aus der Bayernliga kickt ab sofort eine Liga höher. Es soll Spieler und Trainer geben, die vom Kicken in der viertklassigen Regional- oder fünftklassigen Bayernliga leben können.

Am Rande eines Testspiels. Ein kalter Winternachmittag. Nebenan kullern Bälle über Kunstrasen. Der Linksverteidiger haut den Sportlichen Leiter an. Der greift in die Hosentasche, zückt ein Bündel Scheine und steckt 200 Euro zu.

Woher die Vereine ihr Geld nehmen, ob es versteuert ist, interessiert Spieler wenig. Hauptsache, es fließt. Und zwar netto, wie ein Aindlinger Ex-Kicker im Prozess aussagt. Dass er als Übungsleiter gemeldet war, aber nie eine Mannschaft traininert hat – Schulterzucken. Dann die Antwort: „Uns wurde gesagt, das macht man so.“

Grundgehalt als geringfügig Beschäftigter, Aufwandsentschädigungen, Fahrgeld, Übungsleiterpauschalen und Prämien: Auf diese Weise können stattliche Summen zusammenkommen. Schon in den untersten Klassen wird Geld bezogen. Spielertrainer in der Kreisklasse kassieren rund 800 Euro pro Monat. Szenekenner Kurt erzählt von Verhandlungen mit Spielern, die ihm geradeheraus sagen: „Dort bekomme ich 50 Euro mehr, also wechsle ich dahin.“

Die Spieler kennen ihren Marktwert, loten aus, was geht. Entstammen sie der eigenen Jugend, müssen sie sich ihre Meriten erst verdienen, Kicker mit Namen steigen mit höherer Gage ein. Beim TSV Aindling ließ sich über Jahre hinweg gut verdienen. Wollte der Klub einen Spieler, bekam er ihn meist. Das ärgerte die Konkurrenz, die mitbot.

Kurt erzählt: „Wenn Spieler sagten, sie sprechen noch mit Aindling, wusstest du, du bist raus.“ Die Zahlungen an einen Fußballer in der Marktgemeinde summierten sich zu Bayernliga-Spitzenzeiten auf 10.000 Euro pro Jahr, Ausnahmespieler erhielten mehr. Über Jahre ging das so, offenbart der Prozess. Als die Sache aufflog, knöpfte sich das Finanzamt jeden Spieler vor. Einer zahlte 15.000 Euro Bußgeld und die gleiche Summe Lohnsteuer nach. Beschweren will sich niemand. „Wir haben ja über Jahre hinweg gut verdient“, sagt einer.

TSV Aindling, TSV Rain, TSV Gersthofen, FC Affing, BC Aichach oder FC Pipinsried: In kaum einer Region Bayerns tummelten sich lange Zeit mehr erfolgreiche, höherklassige Klubs. Durch einen Tipp soll das Finanzamt auf das „System Aindling“ aufmerksam gemacht worden sein. Fortan gerieten vor allem jene Größen aus dem Nordosten Augsburgs in den Fokus. Funktionäre aus Aichach oder Affing bestätigen, die Kontrollen seien strenger. Staatsanwaltschaft und Finanzamt verneinen das auf Nachfrage. Der Effekt ist: Um sich nicht strafbar zu machen, haben Aichach und Affing nachgezahlt. Äußerstes Mittel wäre eine Selbstanzeige gewesen.

Der finanzielle Engpass hat sich unmittelbar auf den sportlichen Wettbewerb und die Mannschaftskader ausgewirkt. Als Affing und Aindling zum Sparen gezwungen waren, suchten Spieler das Weite. Als in Aichach obendrein der Vereinschef und Mäzen ausstieg – hunderttausende Euro steckte er über Jahre in sein Hobby –, löste sich das Bayernliga-Meisterteam gänzlich auf. Derartige Beispiele gibt es genug. Finanzkräftige Vereine schießen sich durch die Ligen nach oben. Fehlt das Geld, versinken sie wieder im niederklassigen Niemandsland.

Im Kielwasser des Aindling-Prozesses hat sich der überhitzte Spielermarkt abgekühlt. Torsten Vrazic, Abteilungsleiter beim Landesligisten TSV Meitingen, in Nachbarschaft zu Aindling, sagt, er könne jetzt Spieler holen, die lange unerreichbar waren. „Wenn dieser Prozess etwas Gutes hat, dann, dass Spieler günstiger zu haben sind.“ Und die Tarife, prognostiziert Vrazic, würden wohl weiter sinken.

Vereine sind bedacht, die Grauzone zu verlassen. Über Jahrzehnte reizten sie steuerlich alles aus. Jetzt bemühen sie sich um sauberes Wirtschaften. Bei einem Turnier die Einnahmen der Essensstände korrekt abzurechnen, wäre manchem früher nicht in den Sinn gekommen. Jetzt schon. Meitingens Vrazic setzt einen Steuerberater ein. „Wir sind Laien, sollen aber Profis auf dem Gebiet sein.“ Unterstützend schickt der bayerische Verband Finanzexperten an die Basis. Seit dem Start im November 2012 ließen sich rund 1500 Vereinsmitarbeiter schulen. Der Verband bestätigt, die Vereine nähmen das Thema ernster als früher. Womöglich hat Aindlings Steueraffäre ihren Teil dazu beigetragen.

Das Transfersystem im Amateurfußball

  • Amateur-Wechsel Gewechselt werden kann im Sommer (Abmeldung bis 30. Juni/Passantrag bis 31. August) und im Winter (31. Dezember/31. Januar). Ausnahme: Spieler war sechs Monate inaktiv.
  • Ablösesummen (Ausbildungsentschädigung) Bei Freigabe nicht verpflichtend. Sie richten sich nach der Spielklasse der ersten Mannschaft.
    3. Liga und darüber: 5000 Euro; Regionalliga: 3750; Bayernliga: 2500; Landesliga: 1500; Bezirksliga: 750; Kreisliga: 500; Kreisklasse und darunter: 250.
  • Vertrag Kann in allen Spielklassen geschlossen werden. Muss zwischen Spieler und Verein schriftlich abgeschlossen werden. Entgelt mindestens 250 Euro monatlich über die gesamte Laufzeit des Vertrags.
  • Vertragsspieler-Wechsel Im Sommer und im Winter. Für einen Vertragsspieler muss keine Ablöse bezahlt werden. Wechselt dieser im Winter, muss der abgebende Verein den Vertrag auflösen. Wird ein Amateur im Winter Vertragsspieler, muss der abgebende Verein zustimmen.
Aufrufe: 031.1.2016, 16:24 Uhr
Augsburger Allgemeine / Johannes GrafAutor