2024-05-10T08:19:16.237Z

Ligavorschau
Von den Neuen am nächsten dran: Sebastian Heidinger.getty
Von den Neuen am nächsten dran: Sebastian Heidinger.getty

Holstein Kiel: Stammelf besteht (noch) aus Aufstiegshelden

Kieler wollen sich dauerhaft unter den besten 36 Mannschaften der Republik zu etablieren

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Auf ungewohntem Terrain bewegen sich die Kieler „Störche“ in der kommenden Saison. Erstmals seit 36 Jahren ist Holstein zweitklassig, sogar erstmals überhaupt in der eingleisigen 2. Liga. Hinter den Kielern liegt eine gute Drittliga-Saison, in der man mit einem nahezu perfekten Schlussdrittel den verdienten Aufstieg sicher stellte.

Mit der Euphorie des Aufstiegs, vor allem aber mit der beeindruckenden Geschlossenheit, mit der das Team auf dem Platz, aber auch daneben zuletzt auftrat, soll die Grundlage geschaffen werden, um das Saisonziel zu erreichen. Das heißt nicht „Klassenerhalt“, wie es Aufsteiger oft formulieren.

„Das vermittelt den Eindruck, als ob wir nur etwas verhindern wollen“, erklärt Trainer Markus Anfang und formuliert das Ziel freier und vor allem positiv: „Wir wollen jedes Spiel gewinnen und einfach eine gute Saison spielen.“ Übergeordnetes Ziel des Vereins ist, sich dauerhaft unter den besten 36 Mannschaften der Republik zu etablieren.

Wie gut sind die Neuen?
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So ganz genau lässt sich das noch nicht sagen. Blickt man auf die Transfers, steht nämlich etwas anderes obenan: Die Kieler haben den kompletten Aufstiegskader gehalten, obwohl einige Akteure anderweitige Angebote hatten. Mit den sechs externen Zugängen werden zwei Ziele sicher erreicht: An einigen Stellen gewinnt das Team erheblich an Erfahrung. Vor allem wird der Konkurrenzkampf deutlich größer. Dazu trägt die Flexibilität einiger Spieler bei.

So ist Sebastian Heidinger (kaum aus Paderborn) auf der linken Abwehrseite nah dran, sich den Stammplatz zu erobern, kann aber auch rechts oder auf den offensiven Außenbahnen spielen. David Kinsombi, aus Karlsruhe geholt, macht Druck auf die Innenverteidiger und auf der Sechserposition. Amara Condé, aus Wolfsburg ausgeliehen, sorgt dafür, dass sich auf den zentralen Mittelfeldpositionen keiner ausruhen kann. Zudem ist dank Lukas Kruse im Tor gesichert, dass auch bei einem Kronholm-Ausfall ein guter Keeper zwischen den Pfosten steht.

Noch nicht zu bewerten ist der junge Sechser Atakan Karazor, der große Teile der Vorbereitung verpasste. Rene Guder, Rückkehrer aus Weiche, ist eher Ergänzung auf den Außenstürmerpositionen. Gleiches gilt für die Nachwuchsangreifer Utku Sen und Noah Awuku, die nicht sofort für Stammplätze in Frage kommen, aber den nächsten Entwicklungsschritt andeuteten.


Wie läuft der Kampf um die Stammplätze?
Auf den ersten Blick scheint er gar nicht so hart. Die Stammelf, die in den letzten Drittliga-Wochen Herausragendes leistete, ist für das erste Saisonspiel eine nicht unwahrscheinliche Startformation. Neben den genannten vier Neuzugängen ist auch Manuel Janzer, im Vorjahr oft verletzt und sonst meist Joker, eine Option auf dem Flügel. Mit Niklas Hoheneder gibt es zudem einen äußerst zuverlässigen Mann für die Defensive, auf den auch in der 2. Liga Verlass wäre.

In den kommenden Wochen, wenn alle Neuen noch besser im Kieler Gefüge und im Anfang-System angekommen ist, sind noch Verschiebungen in der sportlichen Hierarchie zu erwarten. Außerdem wurde kommuniziert, dass personell nachgelegt werden kann und soll, wenn an der einen oder anderen Stelle ein etablierter Drittliga-Akteur den Sprung auf Zweitliga-Niveau nicht schaffen sollte.


Welche taktischen Varianten gibt es?
Die Grundformation ist seit Anfangs Amtsantritt ein 4-1-4-1. Entscheidender als das System ist die taktische Umsetzung des vom Trainer präferierten Spielstils. Ballbesitz, klare Besetzung der Räume, schnelle Ballzirkulation auf dem Weg nach vorn – das sind wichtige Aspekte dabei. Die Kieler wollen spielerisch dominieren – daran wird sich auch in der 2. Bundesliga nichts ändern. Im Verlauf der Drittliga-Saison sind zu dieser Grundausrichtung aber noch weitere Elemente hinzu gekommen. Holstein hat dank der temporeichen Stürmer und der schnellen Auffassungsgabe der Mittelfeldspieler viele Tore aus Umschaltbewegungen heraus erzielt.

Dank der Qualitäten von Schmidt und Czichos kann man auch mit langen Bällen zum Erfolg kommen. Zudem ist die stabile Defensive und die hohe Bereitschaft aller Akteure, defensiv mitzuarbeiten, die Grundlage dafür, dass man sich auch „hinten reinstellen“ kann – nicht das Ziel der Kieler, aber eine wichtige Option. Einzig die Variante Brechstange hat im Vorjahr nur selten nachhaltig funktioniert, wenn sie mal gefragt war.


Wo gibt es noch Probleme?
Große Sorgen hat Holstein derzeit nicht. Zumindest die ersten 15, 16 Spieler scheinen derzeit absolut zweitligatauglich. Um die Frage abschließend zu beantworten, werden aber auch von den Verantwortlichen die ersten Punktspiele noch zur Beobachtung herangezogen. Tun sich an irgendeiner Stelle noch Schwierigkeiten auf, sind die Mittel vorhanden, um noch zu reagieren. Um eine Saison auf hohem Niveau durchzustehen, könnte in erster Linie ein weiterer Stürmer hilfreich sein. Derzeit wäre Marvin Ducksch schwer zu ersetzen, weil Ilir Azemi ein völlig anderer Angreifertyp ist und Sen und Awuku noch Zeit brauchen.


Wie ist der Verein strukturell aufgestellt?
Auf dem Weg zu Zweitliga-Strukturen ist nicht nur die Mannschaft, sondern auch der gesamte Verein noch nicht am Ende angelangt. Grundsätzlich passt die Struktur an der Spitze jedoch. Sportchef Ralf Becker hat in nunmehr zweieinhalb Transferperioden bewiesen, dass er ohne Hektik Personalentscheidungen trifft, die nicht nur sportlich, sondern auch charakterlich überwiegend passen. Geschäftsführer Wolfgang Schwenke hat den Verein in den letzten Jahren professionalisiert. Mit Steffen Schneekloth als Präsident kommt ein weiterer Mann mit einiger Erfahrung hinzu.

Über allen thront der Aufsichtsrat, der mit den Hauptsponsoren auch weiterhin dafür sorgt, dass eine finanzielle Schieflage bei Holstein undenkbar ist. Die Trainingsmöglichkeiten sind auch auf Zweitliga-Level gut, das Stadion wird aufgehübscht, bleibt aber bis zum noch nicht abschließend beschlossenen Komplettumbau verbesserungswürdig. Interessant wird auch auf der Führungsebene zu beobachten sein, ob die zahlreichen starken Persönlichkeiten auch in Phasen des Misserfolgs weiterhin sichtbar am gleichen Strang ziehen.


Wo landet Holstein?
Seriös ist diese Frage kaum zu beantworten. Als Aufsteiger ist ein Abrutschen in den Abstiegskampf immer möglich. Andererseits gilt auch: Können die Kieler ihre Qualitäten in punkto Teamgeist und Geschlossenheit konservieren und sich über die Anfangseuphorie schnell in der Liga etablieren, gibt es auch nur wenige Mannschaften, die für die Kieler nicht zu packen wären.
Aufrufe: 027.7.2017, 16:30 Uhr
SHZ / Christian JessenAutor