2024-05-02T16:12:49.858Z

Analyse
Immer gefüllt - die Berliner Ostkurve
Immer gefüllt - die Berliner Ostkurve

Sky oder Olympiastadion - Hertha sucht Zuschauer

30.000 erwartete Zuschauer gegen den 1.FC Köln, knapp 30.000 beim ersten Europa League Spiel gegen den spanischen Vertreter Athletic Bilbao, 44.700 beim Bundesligaeröffnungsspiel gegen den VfB Stuttgart. Der Berliner Sportclub sucht wie in jedem Jahr nach den Gründen und neuen Zuschauern. Eine Analyse, die kein neues Stadion, sondern mehr Mut der Spieler fordert.

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Ein Bericht von Marcel Peters - https://www.facebook.com/AmateurberichterstattungMarcelPeters/ - regelmäßig Berichte über Berliner und Brandenburger Amateurfußballer oder Vereine. Foto. getty Images bei FuPa.net/galerien

Ich bin bekennender Hertha-Fan. Schon seit mehreren Jahren. Mit sechs Jahren nahm mich mein Vater erstmals mit ins altehrwürdige und schöne Olympiastadion zu einem Spiel der Blau Weißen. Seitdem liegt mir die „Alte Dame“ am Herzen. Im Kleiderschrank stapeln sich dich Trikots und weitere Fanartikel, ich gucke mir regelmäßig die Spiele beim Bezahlsender Sky an, oder nehme den weiter Weg ins Stadion – Heim oder Auswärts – auf mich und gucke mir ein Spiel Live an. Doch in dieser Saison habe ich es noch nicht nach Charlottenburg geschafft, obwohl es schon einige Möglichkeiten gab. Klar, manchmal verhindert ein eigenes Training oder Spiel den Stadionbesuch, aber eigentlich ist es ein anderer Grund. Ich versuche das mal zu erläutern. Es könnte das Fan-Problem, mit dem unser Verein seit Jahren zu kämpfen hat, erklären.

Hat jemand das Spiel Freiburg gegen Hertha am Wochenende gesehen? Ich nicht, zur selben Zeit war ich selber auf dem Sportplatz aktiv. Aber mir war schon vor dem Spiel klar, Hertha wird keine drei Punkte mit nach Berlin bringen. Und prompt lieferten die Jungs mir die Bestätigung. Nicht mal zwei Elfmeter konnten das ändern.

Es stellt sich die Frage: Warum gehe ich als Fan nicht davon aus, dass mein Verein, der im letzten Jahr die Europa-League Qualifikation geschafft hat, gegen einen Abstiegskandidaten, der seine besten Spieler im Sommer verloren hat, drei Punkte einfahren kann?

Es liegt wahrscheinlich an der Spielweise, die Hertha vor allem in diesem Jahr, aber auch schon im letzten und vorletzten Jahr, eigentlich seit der Dardai-Amtsübernahme an den Tag legt.

Während viele Mannschaften – Dortmund, Leipzig, Hoffenheim, Schalke, Gladbach oder Leverkusen – mit denen sich Hertha messen möchte, Ihren Zuschauern regelmäßig Spektakel der Extraklasse bieten, mit vielen Tore, Chancen und einem ständigen hin und her, fallen mir zum Hertha-Spielstil nicht viele Worte ein. Welcher neutrale Zuschauer schaut sich freiwillig Hertha gegen Mainz, Freiburg, Augsburg oder Stuttgart an, wenn er jedes Mal eines wird – enttäuscht.

Ich fange mit dem Positiven an, Dardai hat es brillant geschafft, der Defensive ein neues Gesicht zu verpassen und dadurch extreme Stabilität zu verleihen. Der Wechsel von Thomas Kraft auf Rune Jarstein war riskant, aber schlussendlich die beste Entscheidung, die er treffen konnte. Jarstein zeigt in (fast) allen Spielen eine herausragende Leistung und hat seinem Team schon des Öfteren, auf gut Deutsch gesagt, den Arsch gerettet. Aber auch die häufig praktizierte Viererkette steht größtenteils stabil. Plattenhardt, Stark, Rekik, Weiser oder auch Pekarik, Langkamp und Tounagarigah – Sie alle machen einen guten Job – Defensiv! Nach vorne fangen hier aber schon die Probleme an, der einzige der eben sieben genannten Spieler, der sich regelmäßig etwas traut und dadurch Gefahr ausstrahlt, ist Mitch Weiser, der durch seine Dribblings des Öfteren für ein Durcheinander beim Gegner sorgt. Aber auch eben dieser Mitchell Weiser befindet sich, wie auch Niklas Stark und vor allem Marvin Plattenhardt nach dem langen Sommer in einem Loch und wartet immer wieder mit durchwachsenen Spielen auf.

Seinem eben genannten Partner auf der linken Seite, Marvin Plattenhardt, hat der Hype inklusive der Einladung in die Nationalmannschaft, meiner Meinung nach, nicht gut getan. Kaum gefährliche Flankenläufe oder Flanken die den Stürmer finden, kein schneller Doppelpass oder Dribbling – spätestens ab der Mittellinie wird abgebrochen und der Mitspieler aus der Innenverteidigung angespielt. Sicherheit vor Risiko. Das zeichnet die Hertha unter Dardai aus. Zu häufig wird der Ball in der hinteren Kette hin und her gespielt, häufig wird auch Torhüter Jarstein miteingezogen und derart in Bredouille gebracht, dass Hertha sich dadurch ein Gegentor einfängt. Mein Trainer sagt immer, wir können den Ball ab und zu pendeln lassen um Sicherheit zu gewinnen, aber dann müssen auch ein Tempowechsel und der Ball in die Tiefe folgen.

Weiter geht es mit unseren äußeren Mittelfeldspielern. Kalou, Essweis, Haragouchi, Leckie oder Stocker. Es fehlt Ihnen an Tempo, Durchsetzungsvermögen oder Willen. Vor allem bei unserem regelmäßig als Champions-League Sieger gefeiertem Ivorer Salomon Kalou stellt sich bei mir regelmäßig die Fragen, warum er immer wieder auf dem Flügel auflaufen darf bzw. nicht rechtzeitig mit einem Wechsel reagiert wird. Er hat eine Stärke: Er schießt regelmäßig Tore, keine Frage. Aber aus jedem vorgetragenen Angriff nimmt er das Tempo, verschleppt den Ball, verpasst den Moment für das Abspiel und verliert in aller Regelmäßigkeit den Ball. Auch Flanken sind selten in seinem Spiel zu sehen. Neuzugang Selke und Kapitän Ibisevic stehen somit über weite Strecken auf verlorenem Posten und verschwenden Ihre Kraft mit anspruchsvollem Verteidigen. In einigen Fällen fehlt Ihnen somit das letzte Prozent an Konzentration beim Torabschluss.

Die linke Seite steht somit sinnbildlich für Hertha komplettes auftreten – Einfallslos, Ideenarm, Ängstlich, Ungefährlich. Es entwickelt sich somit in den meisten Fällen für Hertha und neutrale Zuschauer ein langweiliges Spiel, mit wenigen spektakulären Szenen, Torraumaktionen oder Torchancen. Wer, wenn nicht seit vielen Jahren mit dem Verein verbunden oder Ultra, schaut sich das also regelmäßig von vor Ort an? Wer gibt dafür als Familie alle zwei Wochen mindestens 100€ für Karten und 50€ für Verpflegung aus? Berlin ist sexy, aber arm.

Die Arbeit von „Arbeiter“ Pal Dardai ist keine schlechte, aber es ist Zeit für den nächsten Schritt – leider schon seit zwei Jahren. Ich warte darauf, endlich wieder begeistert von einem Spiel erzählen zu können, das einen von den Hockern gerissen hat. Ein Spiel bei dem auch unsere Hertha, über volle 90 Minuten, ein Feuerwerk abbrennt und die Zuschauer mitreißt, sodass diese Ihren Freunden davon erzählen und in zwei Wochen zum nächsten Heimauftritt wiederkommen.

Ansonsten wird unsere „Alte Dame“ noch lange um Zuspruch gegen unattraktive Gegner, Pokal, Bundes oder Europa-League Spiele in der Woche zu einer späten Anstoßzeit oder Begegnungen bei kaltem Wetter kämpfen müssen. Wir haben leider nicht die Zuschauerbasics der Fußballverrückten Städte Dortmund, Gelsenkirchen, Dresden, Hamburg, Köln oder Gladbach und wir sind auch noch nicht so erfolgreich wie der FC Bayern – aber das kann alles noch kommen. Dagegen hilft auch kein neues Stadion, keine reine Fußballarena, vor allem nicht im Brandenburger Hinterland. Zu aller erst muss der BSC die Zuschauer ansprechen, das ist mit dem Spielermaterial durchaus möglich, es muss sich nur mal etwas getraut werden. Anschließend müssen weitere Zuschauer mit ansprechenden und attraktiven Angebote gelockt werden.

Aufrufe: 024.10.2017, 15:50 Uhr
Marcel PetersAutor