2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines

Vom Bosporus an die Nidda

HESSENLIGA: +++ Ali Yildirim vom FV Bad Vilbel ist ein Beispiel für Spieler, die über Deutschlands fünfte Liga den Anlauf für ein neues Karriereglück nehmen +++ Zu Galatasaray-Zeiten Training mit Lukas Podolski und weiteren Stars +++

Wesley Snijder auf Lukas Podolski, Podolski nimmt den Ball kurz an und gibt ihn weiter auf Ali Yildirim und der...Moment! Ali Yildirim? Im Gegensatz zu den aufgeführten ehemaligen Topstars ist der 23-Jährige, der inzwischen beim FV Bad Vilbel gelandet ist, natürlich keine Fußball-Legende. Und doch ist die eingangs geschildeterte Szene nicht albern, denn Yildirim kann bereits auf eine bewegte Karriere zurückblicken - inklusive vieler Trainingseinheiten mit "Poldi". "Manchmal muss man einen Schritt zurück gehen, um dann zwei nach vorne machen zu können", hat uns Yildirim verraten. Eine interessante Story mit offenem Ausgang.

Und die beginnt im Darmstädter Raum, wo der angehende Verkäufer mit 17 Jahren gerade seine Ausbildung begonnen hatte und nebenbei für Rot-Weiss Walldorf die Fußballschuhe schnürte. Bei einem Auswärtsspiel in Stuttgart wurde Yildirim von einem Scout angesprochen, und plötzlich tat sich eine ganze neue Welt für ihn auf: Ein mehrtägiges Probetraining könnte zu einer Zukunft bei Galatasary Istanbul führen, so die Aussage, und der klangvolle Name und die Aussicht, Profi werden zu können, ließen Yildirm nicht lange fackeln. "Ich habe alles liegen gelassen und voll auf diese Karte gesetzt, nachdem die Zeit dort gut anlief und man mir einen Zweijahresvertrag für die U19/U21 angeboten hat", berichtet der Abwehrallrounder.

In der Zeit in Istanbul kam es dann eben dazu, dass Yildirim plötzlich im Training mit Podolski, Snijder und den anderen Spielern der ersten Galatasaray-Mannschaft kicken durfte. Das war allerdings bis zum heutigen Tage das höchste der Gefühle für ihn, denn gemeinsam mit fünf anderen deutsch-türkischen jungen Spielern wurde er - für ihn überraschend- mit Vertragsende ausgebootet. "WIr haben zwei Stunden lang zusammen geweint", berichtet Yilidirim von diesem für ihn negativ prägenden Moment, "erst hat man zwei Mal am Tag Training, und dann plötzlich nichts mehr. So behandelt man als Verein einfach seine Spieler nicht, egal ob Star oder Nachwuchsmann." Die Zeit am Bosporus, sie war damit zu Ende.

Wenige Monate später landete er bei Ligakonkurrent Akhisarspor. Wieder hatte er eigentlich ein gutes Gefühl, wurde allerdings, als der Club in den Süper Lig-Abstiegskampf geriet, immer fester in die Reserve gesteckt, die in der 3. Liga spielte, in der es recht ruppig zugeht, was Yilidirm nach und nach den Spaß am Fußball nahm, ehe er sich auch noch folgenschwer mit einem Innenmeniskusriss verletzte. DIe Operation wurde in Deutschland durchgeführt, zu Beginn der Reha wechselte bei Akhisarspor dann die Sportliche Leitung, und wieder war Yildirim außen vor. "Dann bist du natürlich direkt wieder mental in einem Loch."

Doch jetzt hat sich der zumeist in der Innenverteidigung eingesetzte Youngster dazu entschlossen, der Karriere ausgerechnet in der Hessenliga neuen Schwung zu verleihen. "Die vierten und fünften Ligen in Deutschland, ob Bayernliga oder Hessenliga, da wird im Ausland ganz genau hingeschaut, denn es ist bekannt, dass man in Deutschland schon auf diesem Level sehr professionell trainiert und das spielerische Niveau hoch ist", erklärt Yildirim, warum es für ihn gar kein Problem darstellt, seine Karriere in Hessens fünfter Liga neu in Fahrt zu bringen. Im Gegenteil: "In Deutschland wird seriös gearbeitet und man kann sich durch Leistung immer den Weg nach oben freimachen - man muss es nur wollen", betont Yildirim.

Sein großer Wille ist auch der Grund, warum Bad Vilbels Coach Amir Mustafic bereit war, Yildirim im Februar eine Chance zu geben. "Es ist mir generell immer wichtig, dass die Spieler das wirklich wollen, und das war bei Ali auch mitentscheidend, auch wenn er noch einen weiten Weg vor sich hat nach der Verletzung", so der FV-Trainer, der gegenüber Yildirim stets mit offenen Karten gespielt hat. "Er hat gesagt: 'Okay, da ist noch Trainingsrückstand da, aber du kannst dich bei uns beweisen und erst einmal weitermachen", so Yildirim, der regelrecht von seinem aktuellen Coach schwärmt, ohne bislang ein Pflichtspiel für die Truppe von der Nidda gemacht zu haben: "Ich denke, dass er mich dahin bringen kann, wo ich war. Er ist emotional und akribisch, aber immer respektvoll. Ich habe es im Training nach der langen Pause regelrecht genossen, wenn er mich auch mal etwas deutlicher zur Ordnung gerufen hat."

Generell sei es eine super Mannschaft und Atmosphäre in Bad Vilbel, die älteren Spieler gingen immer nett und vorbildlich mit den Jüngeren um, egal, wer mal wann wie hoch gespielt hat. "Ich wohne im Odenwald, aber ich fahre total gerne nach Bad Vilbel, wenn es wieder weitergeht, weil es so Spaß macht", sagt Yildirim, der seine Stärken in der Zweikampfführung, der Schnelligkeit und beim erwähnten Willen sieht. "Er kommt eher über die Physis, das sehe ich auch so", bestätigt Mustafic, "technisch haben wir dagegen noch ein bisschen was vor uns."

In Corona-Zeiten ist nun aber ohnehin wieder ein eher ärgerliches Kapitel für Yilidirm hinzugekommen. Er will zeigen, was er kann, und an seine Topleistungen aus der Türkei anknüpfen, kann momentan aber nur individuell trainieren, keine Spielpraxis sammeln. Doch aufgeben oder nochmals verzagen ist nicht sein Ding: "Mein Vertrag geht hier zwar nur von Februar bis zum Sommer, aber ich denke nur an den Klassenerhalt mit Bad Vilbel, und wer weiß, vielleicht kann ich auch über die wenigen Monate hinweg hier bleiben". Wenn die Leistung wieder hundertprozentig stimme, wäre sein Traum inzwischen nicht mehr die Erste Liga, sondern eher Drittliganiveau. "Bayern oder Dortmund, da lacht mich doch jeder aus. Und das zurecht! So sympathische Dorfvereine wie Großaspach, oder wankende Riesen wie der FSV Frankfurt, das wären dagegen sicherlich auch gute Zeiten", träumt der bald 24-jährige vom Karrierehoch. Dafür muss er allerdings noch eine Menge ackern, und das weiß er auch. "Und ich empfehle allen Spielern mit ähnlichem Schicksal, immer dranzubleiben, sich nicht umwerfen zu lassen, und ruhig einen Neustart in der Hessenliga zu wagen."

Als bekannte Beispiele, wo es mit kleinen Umwegen zur guten Karriere geklappt hat, führt Yildirim abschließend eine Reihe an guten Bekannten auf: Onur Ayik und Tolga Ünlü, die nun SüperLig spielen, oder Ali Ibrahimaj vom KFC Uerdingen. Und wie war es nun eigentlich mit Poldi? "Ein klasse Typ. Er ist genauso, wie man ihn aus dem TV kennt", erinnert sich Yilidirim gerne an warme Worte und sogar finanzielle wie materielle Unterstützung vom Weltmeister-Spieler von 2014. "Ein authentischer Typ, für uns junge Spieler war er wie ein älterer Bruder". Podolski ist inzwischen zurück in der Super Lig, bei Antalyaspor. Ali Yildirim dagegen backt erst einmal kleinere Brötchen. Aber mit 23 hat er ja noch ein paar Jahre Zeit ...

Aufrufe: 020.4.2020, 14:45 Uhr
Dennis BellofAutor