2024-04-25T14:35:39.956Z

Ligavorschau
Torjäger Ali Jito hat eine bewegende Geschichte zu erzählen, die den 21-Jährigen letztlich nach Bad Kreuznach geführt hat.
Torjäger Ali Jito hat eine bewegende Geschichte zu erzählen, die den 21-Jährigen letztlich nach Bad Kreuznach geführt hat. – Foto: Martin Imruck

Die lange Reise des Ali Jito

Torjäger der SG Eintracht II kam vor vier Jahren aus Syrien nach Deutschland, weil er den Fußball liebt

Bad Kreuznach. Als der magere, hochgeschossene Junge auf das Boot kletterte, welches ihn sicher durch die Ägäis schippern sollte, hatte er kaum mehr als einen dünnen Turnbeutel bei sich. Nur mit dem Nötigsten. Den Rest musste Ali Jito, heute 21, in der Finsternis der Nacht der Mülltonne überlassen. Sein Hab und Gut, einen Sack, vollgestopft mit Trikots und Fußballschuhen, mit ausgewaschenen Erinnerungen an die staubigen Hartplätze Syriens. „Ich konnte eine Woche nicht schlafen“, erzählt Jito, mittlerweile in Diensten der Eintracht in Kreuznach, denn Fußball ist „alles für mich“. Auf dem winzigen Kutter, der versteckt im türkischen Hafen lag, später die griechischen Inseln ansteuerte, war der Platz einfach zu knapp.

Irgendwie, sagt der junge Syrer heute, war es eben die einzige Hoffnung. Auf ein besseres Leben, fernab des schwelenden Bürgerkrieges, der zwischen Milizen, Assads Armee, Aufständischen und dem IS in seiner zerbombten Heimatstadt Aleppo tobte. Am Ende drängten sich 42 Asylsuchende auf einem Boot, das 20 aufnehmen durfte. Kinder, Frauen, Frauen mit Säuglingen. „Ein Wunder“ sei es, erinnert er sich, „dass da nichts passiert ist“. Das Geschäft der Schlepper boomte. Jito, gerade 17, zechte 2000 Euro, die er als Hilfskoch in der Türkei zusammengekratzt hatte, ein Jahr lebte er dort. Übergangsweise, ohne Papiere. Immer wieder hörte er von Tumulten auf diesen Fahrten. Boote kenterten, Menschen starben.

„Am liebsten den ganzen Tag mit dem Ball“

Doch Jito kam durch. Und nach 22 Tagen Fußmarsch über den Balkan nach Deutschland. „Das war nicht einfach, wir sind den ganzen Tag gelaufen. Mit Glück kam mal ein Bus“, meint der höfliche Junge, der in vier Jahren außerordentlich gut Deutsch lernte. Vernarrt in das runde Leder ist er Zeit seines Lebens: Nach vier Monaten im Auffanglager Trier brachte man ihn in Winnweiler unter, eine Woche später stand er auf dem Platz. Und ging später für den ASV auf Torejagd. In dessen Abstiegsjahr in der Verbandsliga schoss er 13 Kisten, dann zehn in einer halben Landesliga-Runde – bis die Pfälzer auseinanderfielen, Jito letzten Winter nach Kreuznach wechselte. „Mir war schon früh klar: Oh, er macht gern Hacke, Spitze, eins, zwei, drei, und er ist sehr verspielt“, sagt Ex-Teamkollege Fabian Schmitt über einen „netten Typen“, der sich „sofort gut integriert“ hat. „Ich hab‘ ihm damals ein, zwei Möbelstücke gegeben, ihn paar Mal abgeholt. Er ist so einer, der am liebsten den ganzen Tag mit dem Ball rumläuft“, lacht Schmitt.

Im Sommer nun ereilte Jito das große Pech: Er knickte um, Bänderriss, zwei, drei Monate Zwangspause. Den Perspektivspieler des Kreuznacher Verbandsligakaders warf das zurück. „Er liebt den Sport und hat eine super Grundlage für oben. Ich traue ihm sogar Oberliga zu“, schwärmt Eintracht-Macher Ercan Ürün vor dem Derby beim TuS Hackenheim (So, 14.30 Uhr) von einem „Riesentalent“. „Wir haben ein, zwei Spiele ohne ihn gemacht, und schon ist kein Tor gefallen.“ In Ürüns Bezirksliga-Truppe mimt Jito, der jedes Mal von Winnweiler per Bahn anrollt, die Schlüsselfigur – mit 14 Treffern ist er Top-Torjäger der Liga, ein Phantom, schwer zu bremsen. „Natürlich fehlt da ein bisschen taktisches Verständnis, aber er ist jung“, mahnt der Coach. Denn was Jito manchmal abgeht: die Geduld. Statt zu warten, rennt er nach hinten, klaut sich die Kugel, dribbelt sich durch. Auch mal gegen die Anweisungen des Trainers, gibt er zu.

Jetzt empfiehlt sich der Syrer wieder für die Erste. Das sehen sie auch oben, in der Eintracht-Chefetage.
Rückblick, August 2016. Jitos erstes Match auf deutschem Boden, B-Klasse, für Dorfklub SV Alsenbrück-Langmeil. Alles Neuland. Im nordpfälzischen Gundersweiler breitet sich vor dem Syrer ein saftiger Rasen aus, alle Kameraden spielen im gleichen Trikot, ja, sogar ein offizieller Schiri pfeift. In der Heimat, wo Jito im Norden für das kurdische Afrin mit 14 in der zweithöchsten Liga stürmte, man im Krieg aber zu keinen Partien kam, gab es das selten. Nicht einmal Stollenschuhe hatte er. Erster Einsatz, erstes Tor.

Von der Sechzehnerkante flach ins Eck, 2:1-Sieg. Jito erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. „Nach ein paar Jahren ohne richtiges Spiel hat das alles für mich bedeutet“, sagt einer, der in der A-Jugend von Besiktas Istanbul wegen seines Flüchtlingsstatus‘ abgelehnt wurde. „Ich hab‘ in Syrien schon nichts anderes gemacht, als zur Schule und auf den Sportplatz zu gehen.“ Am Ende schien das zu gefährlich, zu oft dröhnte durch die Straßen Aleppos der Bombenalarm. Deswegen floh Jito. Auch, um einfach wieder normal Fußball spielen zu können.

Drei Duelle, die es in sich haben

  • SG Alsenztal – Karadeniz Bad Kreuznach: Der Stachel der Krise saß tief. Dann führten SG-Trainer Maxi Bauer und Co. die Trendwende herbei. Heute, nach acht Spielen in Serie ohne Pleite und 20 Punkten, schmiegt sich Alsenztal wieder an die Spitze. Auch Karadeniz ist in Form. Ein wahres Top-Spiel!
  • TSV Lalo-Laubenheim – SG Hüffelsheim: Am 20. Oktober noch stand der TSV in der Tabelle ganz oben. Bis er urplötzlich einbrach und die Abwehr Risse bekam. Nach fünf Nullnummern in Folge müssen Punkte her – und was wäre ein besserer Zeitpunkt als das Heimspiel gegen den Liga-Primus?
  • FC Brücken – SV Winterbach: Auf den Zetteln vieler Klubs prangte der FCB anfangs als einer der großen Titelanwärter. Wer hätte gedacht, dass diese Partie kurz vor der Pause ein Duell auf der Kellertreppe wird? Einen Punkt rangiert der SV vor Brücken. Der sonst so explosive FC-Sturm: bis dato blutleer.
Aufrufe: 029.11.2019, 10:00 Uhr
Peter-Pascal PortzAutor