2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview der Woche
Dankbare Spitzensportler: In der Praxis von Prof. Dr. Stefan Hinterwimmer hängen etliche Grüße von Profis an der Wand. Der Kniespezialist operiert neben Leistungssportlern auch Amateurspieler. Marcus Schlaf
Dankbare Spitzensportler: In der Praxis von Prof. Dr. Stefan Hinterwimmer hängen etliche Grüße von Profis an der Wand. Der Kniespezialist operiert neben Leistungssportlern auch Amateurspieler. Marcus Schlaf

Diagnose Kreuzbandriss: „Comeback nach sechs Monaten unmöglich“

Professor Dr. Stefan Hinterwimmer im Interview

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Während bei einem Hobbykicker die Saison nach einer Operation oft gelaufen ist, kämpfen sich Profis im Eiltempo an die Spitze zurück. Werden Leistungssportler unverantwortlich früh zurück auf den Platz geschickt? Oder Amateure nicht ausreichend behandelt?

Immer schneller kehren Fußballer nach einer schweren Verletzung zurück. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Für Aufmerksamkeit sorgte der Fall von Sami Khedira: Knapp sechs Monate nach seinem Kreuzbandriss spielte er bei der WM in Brasilien. Handeln Ärzte unvernünftig, wenn sie Profis so schnell wie möglich zurück auf das Feld schicken wollen? Zu welchem Zeitpunkt sollte dagegen ein Hobbykicker zurückkehren? Prof. Dr. Stefan Hinterwimmer operiert Leistungssportler und Amateure nach schweren Verletzungen, wie den Stürmer des VfB Hallbergmoos-Goldach, Anselm Küchle. Wir haben den Facharzt für Chirurgie in seiner Praxis in München getroffen.

Nach einer schweren Verletzung stellen alle Fußballer die gleiche Frage: Wann kann ich wieder spielen? Wie antworten Sie einem Profi und wie einem Amateur?

Ich lasse mir die Frage immer präziser stellen: Wie lange wird was dauern? Bis ein Sportler wieder fit ist, hat er viele Stufen vor sich. Er braucht deshalb mehrere Antworten. Wie lange ist er im Krankenhaus und im Anschluss auf Krücken? Wann kann er wieder beschwerdefrei gehen? Wann kann er wieder joggen und ins Training einsteigen? Die Antwort, wann er wieder spielen kann, ist im Profi- und Amateursport relativ ähnlich.

Tatsächlich?

Um wieder spielen zu können, braucht der Fußballer ein Bein oder ein Kniegelenk, das stabil, beweglich und kräftig ist. Ansonsten gehen die Anforderungen natürlich auseinander. Ein Amateur wird nie so viel Kraft haben und so schnell sein wie ein Profi. Aber in seiner Liga ist er nach der Reha wieder leistungsfähig. Dem Profi sage ich bei einem Kreuzbandriss: Vor acht Monaten wird es nichts. Dem Amateursportler sage ich dagegen: Wir vergleichen dich mit einem Profi. Der macht den ganzen Tag nichts anderes, nur um wieder fit zu werden. Du kannst es in acht Monaten schaffen. Wahrscheinlich wird es aber ein bisschen länger dauern.

Warum kehren dann viele Amateursportler erst deutlich später zurück?

Das hat vor allem existenzielle Gründe. Der Profi lebt davon. Er will wieder spielen und von der Zahlungsliste der Berufsgenossenschaft runter. Der Amateur realisiert im Laufe seiner Reha, welchen Stellenwert sein Knie für seine Gesundheit hat und dass er darauf aufpassen muss. Bereits kurz nach der OP ist es ihm gar nicht mehr so wichtig, so schnell wie möglich wieder auf dem Platz zu stehen.

„Sami Khedira vor der WM 2014 war ein Ausreißer nach unten“

Steht bei einem Amateur eine frühe Rückkehr bei der Behandlung gar nicht im Fokus?

Eine Rückkehr Ja, denn die Rückkehr als Ziel motiviert. Eine möglichst frühe Rückkehr Nein.

Warum sind die Heilungsverläufe selbst bei Profis zeitlich so unterschiedlich?

Die Geschichten, dass ein Profi sechs Monaten nach einem Kreuzbandriss wieder auf dem Platz stehen kann, stimmen nicht. Sami Khedira z. B. vor der WM 2014 war ein Ausreißer nach unten. Es gibt eine eindeutige Studie, die belegt, dass ein Sportler mit einem Kreuzbandriss nach acht Monaten zurück auf dem Platz ist. Für den Profi ist das ernüchternd, weil er glaubt, dass es schneller geht. Für den Amateur ist es dagegen ein enormer Ansporn.

„Wenn der Arzt sagt, der Spieler ist in acht Wochen fit, will ich ihn in sieben Wochen haben.“ Ist diese Forderung von Pep Guardiola vermessen?

Nein. Es ist auch mein Ziel, intern eine Zeitspanne zu formulieren und diese möglichst zu unterbieten. Als Arzt verbünde ich mich mit meinem Patienten, sobald er sich mir anvertraut. Der Profi will gesund werden und zurück in sein Team. Dort hat jeder Spieler ein Standing und es gibt eine Hackordnung. Je kürzer er vom Mannschaftstraining fehlt, desto besser ist es für ihn. Vor allem psychisch.

Besteht so nicht die Gefahr, dass ein Profi zu früh ins Training einsteigt?

Dafür werden sie gesteuert. Niemand handelt in diesem Bereich unvernünftig oder geht ein Risiko ein. Wir versuchen mit intensiver Betreuung und Behandlung Heilungsverläufe abzukürzen. Jeder Sportler bekommt einen realistischen Zeitrahmen, um wieder fit zu werden. Im Idealfall bekommen wir ihn immer ein bisschen schneller wieder hin.

Heikle Gespräche nach schweren Verletzungen „auf keinen Fall am Anfang“

Wann raten Sie einem Fußballer, mit dem Sport aufzuhören?

Wenn wir z. B. nur einen isolierten umschriebenen Knorpel- und/oder Knochenschaden haben, heilt das bei jungen Patienten nach der OP meistens sehr gut. Denen würde ich nie raten, nicht mehr das zu tun, was sie lieben. Bei einem Schwerstverletzten sind der Knorpel kaputt, der Meniskus zerfetzt und die Bänder gerissen. Solche Sportler habe ich oft und die sind gerade mal 18. Mit ihnen muss ich das Gespräch führen: Ist Fußball wirklich alles in deinem Leben? Aber das mache ich auf keinen Fall am Anfang, sondern erst nach einem halben Jahr. Der Fußballer will nicht kurz nach seiner schweren Verletzung hören: Ab jetzt kannst du joggen gehen.

Erleben Sie in solchen Momenten den Mann von seiner emotionalsten Seite?

In der Phase der Früh-Reha zeigt er noch mehr Gefühle. Aber davon bekomme ich nicht so viel mit. Kurz nach der Verletzung steht der Sportler unter Schock. Er kann nicht fassen, was auf ihn zukommt. In dieser Phase bringt es nichts, wenn ich ihm erkläre, wie lange er zum Beispiel sein Bein nur in einem gewissen Winkel halten darf. Ich erkläre dem Patienten, wie wir chirurgisch vorgehen. Alles weitere folgt nach der OP.

Hat es ein Amateursportler schwerer, wieder sein Niveau zu erreichen?

Schwerer ist das falsche Wort. Es ist anstrengender. Es gehört sehr viel Disziplin dazu, eine Reha neben einem Vollzeitjob durchzuziehen. Der Antrieb muss vom Sportler selbst kommen. Ihm wird nichts abgenommen. Das unterscheidet den Amateur vom Profi. Er muss viel selbstständiger sein.

Amateure müssen ihre Reha mit den selben Inhalte durchziehen wie ein Profi

Müsste ein Amateursportler dieselbe Reha absolvieren wie ein Profi, um wieder seine volle Leistungsfähigkeit zu erreichen?

Von den Inhalten ja. Aber von der Intensität kann er das nicht leisten. Er hat die Zeit einfach nicht. Zudem kann ich als Arzt dem Amateursportler bei gewissen Verletzungen nur eine begrenzte Anzahl an Rezepten ausstellen. Der Kassenpatient bekommt zwei Reha-Einheiten pro Woche über zwanzig Minuten. Somit ist es für ihn sehr viel schwerer, schnell wieder auf ein gutes Niveau zu kommen. Genau darin liegt das Problem. Ich sage selbst dem Spieler in der untersten Liga: Du kannst nicht nach der Winterpause zurück ins Training gehen und sofort voll einsteigen. Das ist ein Kaltstart. Die Gefahr, sich zu verletzen, ist extrem hoch. Der Spieler muss sich herantasten. Auch in kleinen Vereinen muss man jemanden finden, der mit einem Rückkehrer zunächst individuell trainiert. Ein Amateurtrainer muss in der Lage sein, diesen Spieler über ein Gruppentraining peu à peu zu integrieren.

Dafür fehlt bei vielen Vereinen das Personal.

Dann muss der Sportler selbst eine Einrichtung aufsuchen, in der das Know How da ist. Es gibt bereits Reha-Zentren, in denen Amateure auf Weltmeister treffen. Deren Credo ist es, die Erkenntnisse aus dem Profi- auf den Amateursport zu übertragen. Amateure müssen ihre Reha mit den selben Inhalten durchziehen wie ein Profi, nur eben mit einer geringeren Intensität.

Die Amateurfußballseite erscheint jeden Mittwoch. Autor ist Christoph Seidl, erreichbar unter christoph.seidl@ merkur.de

Aufrufe: 024.10.2018, 14:45 Uhr
Münchner Merkur / tz / Christoph SeidlAutor