2024-05-02T16:12:49.858Z

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Michael Wulzinger (r.) im Gespräch mit dem Moderator Roland Karle. Foto: bz
Michael Wulzinger (r.) im Gespräch mit dem Moderator Roland Karle. Foto: bz

"Ein Romantiker des Fußballs"

Spannende Lesung mit Michael Wulzinger zum Buch "Football Leaks - Die schmutzigen Geschäfte im Profifußball"

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Dass Robert Lewandowski diesen Sommer den FC Bayern München Richtung Real Madrid verlassen möchte, ist hinlänglich bekannt. Klar, der Bundesliga-Torschützenkönig will mehr Geld verdienen und seine eigene Marke stärken. Darüber hat er gar seine Bachelorarbeit mit dem Titel "RL9. Der Weg zum Ruhm" geschrieben. Man könnte spöttisch einwerfen, der Pole möchte der neue Ronaldo werden. Darüber, wie ein solcher Mega-Transfer über die Bühne geht, welche medienwirksamen "Schlachtpläne" der im Hintergrund schacherten Berater durchgezogen werden, ist der Bundesliga-Gucker wenig bis gar nicht informiert, beziehungsweise interessiert.

Michael Wulzinger, seit 1997 für den "SPIEGEL" als Sportreporter tätig, betrieb am Dienstagabend in der Sinsheimer Musikschule ein wichtiges Stück Aufklärungsarbeit darüber, wie der internationale Spitzenfußball und seine Machenschaften allmählich jegliche Bodenhaftung verlieren. Zusammen mit seinem Kollegen Rafael Buschmann hat er das Buch "Football Leaks – Die schmutzigen Geschäfte im Profifußball" geschrieben. Darin beschreiben sie die wichtigsten Enthüllungen, die sie aus einem gigantischen Datenberg von knapp 20 Millionen Dokumenten in monatelanger Recherchearbeit mit weiteren SPIEGEL-Kollegen zusammengetragen haben.

"So viele Daten zu bekommen ist Segen und Fluch zugleich", erläutertw Wulzinger im Gespräch mit dem freien RNZ-Mitarbeiter Roland Karle, der als Moderator durch die Veranstaltung der Volkshochschule Sinsheim führte. "Wir mussten erst einmal unsere Chefredaktion davon überzeugen knapp 50 000 Euro für die Anschaffung einer Analysesoftware aufzubringen, um die Daten verarbeiten zu können", verriet Wulzinger. Zum Vergleich: Die 1,8 Terabyte würden ausgedruckt der Größe von 500 000 Bibeln entsprechen.

Wie die Journalisten an dieses Material gekommen sind, ist im Buch auf spannende Weise beschrieben. Im Spätjahr 2015 begann die Internetseite Football Leaks Verträge internationaler Profifußballer zu veröffentlichen. Der Aufschrei innerhalb der Branche war groß, schließlich kamen auf diese Weise Vertragsgeflechte an die Öffentlichkeit, die die pure Gier im Fußballgeschäft Schwarz auf Weiß abbildete. Es dauerte mehrere Monate, bis es Buschmann gelang ein Treffen mit dem Whistleblower "John", sein echter Name ist nicht bekannt, zu arrangieren.

Alle Daten sind echt

Seitdem versorgt "John" den "SPIEGEL" mit prall gefüllten Festplatten. Wie und von wem er diese hat, darüber schweigt er bis heute. Doch eines ist sicher: Die Daten sind echt. "Alles was wir veröffentlichen durchläuft ausführliche Prüfungen, denn wir dürfen uns dabei keinen Fehler erlauben", erklärte Wulzinger.

Währenddessen treffen sich Buschmann und "John" in verschiedenen europäischen Städten. Stets unter strenger Geheimhaltung, denn "John" ist in der Branche ein unwillkommener Störenfried. Die Enthüllungen haben in Spanien dazu geführt, dass Cristiano Ronaldo von der spanischen Staatsanwalt vorgeworfen wird, über Briefkastenfirmen 14,7 Millionen Euro an Steuern am spanischen Fiskus vorbeigeschleust zu haben. Andere prominente "Opfer" sind José Mourinho, Luka Modric, Pepe oder Marcelo.

Während Wulzinger im glücklicherweise klimatisierten Dachgeschoss der Musikschule über die Enthüllungen spricht, ist die gespannte Aufmerksamkeit der 40 Zuhörer spürbar. Dementsprechend ausführlich verlief die abschließende Fragerunde der über zweistündigen Veranstaltung. Dem Journalisten war es wichtig zu erwähnen, dass "John" kein Geld des "SPIEGEL" für die Informationen erhält, "denn das würde ihn abhängig von uns machen. Ich kann so viel verraten, dass er mit relativ einfachen Mitteln auskommt. Er ist ein Romantiker des Fußball."

Bis zu 85 000 Pfund pro Tor für Roberto Firmino

Die meisten Verträge, die dem Recherche-Team vorliegen, sind nicht illegal, spiegeln jedoch die ständig wachsende Gier im überhitzten Geschäft. Besonders hellhörig wurden die Sinsheimer Besucher, als Wulzinger Details zum Vertrag des ehemaligen Hoffenheimer Roberto Firmino nannte, der jüngst mit dem FC Liverpool das Champions League Finale gegen Real Madrid verloren hat. 68 085 Pfund pro Woche verdient der Stürmer dort. In England sind wöchentliche Gagen üblich. Aufs Jahr gesehen sind das gut vier Millionen Euro. Interessant, besser gesagt obszön wird es, wenn man sich seine zusätzlichen Prämien zu Gemüte zieht. Die ersten fünf Tore schießt er für 25 000 Pfund. Bei den Treffern sechs bis zehn erhöht sich die Torprämie auf 45 000 Pfund, bei elf bis 15 auf 65 000 Pfund, und ab dem 16. Treffer auf 85 000 Pfund. Wohlgemerkt für jeden einzelnen Schuss der im Tor landet. Damit nicht genug, für Vorlagen gibt es außerdem reichlich Geld. 25 000 Euro "Assist Bonus", für die ersten fünf Vorlagen, 65 000 Pfund aber der elften Vorlage. Mit diesen Vertragspassagen wird der Gedanke des Mannschaftssports Fußball mit Füßen getreten.

Und warum kommt es nun zum erwarteten Wechsel von Lewandowski, der beim FC Bayern noch einen Vertrag bis Juni 2021 besitzt. "Lewandowski hat sich dieses Jahr mit Pini Zahavi einen neuen Berater zugelegt, der bekannt ist als ´Troublemaker´", begann Wulzinger seine Ausführung und folgert deswegen, "wenn man sich mit Zahavi zusammentut, will man wechseln." Der 74-jährige Israli ist so etwas wie die "Graue Eminenz" innerhalb der Berater-Branche. Beim Neymer-Wechsel zu Paris St. Germain hat er entscheidend mitgewirkt und selbstverständlich ordentlich kassiert. Letzte Woche hat er gezielt in der deutschen Boulevardpresse Zitate lanciert, um die Wechselabsichten Lewandowskis zu beteuern. Der erste Brand des "Troublemakers" ist gelegt.

Aufrufe: 07.6.2018, 11:57 Uhr
Christopher BenzAutor