2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview
Die Architekten des aktuellen Teams: Sportchef Gorenzel und der Ende Januar entlassene Köllner.
Die Architekten des aktuellen Teams: Sportchef Gorenzel und der Ende Januar entlassene Köllner. – Foto: IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON

Ex-1860-Mentaltrainer greift Köllner an: „Die Alleinherrschaft übernommen“ – Spieler als Marionetten

„Dieses Team ist vollkommen führungslos!“

Auch unter Maurizio Jacobacci gelingt dem TSV 1860 nicht der Turnaround. Die Gründe dafür sieht Alfred Böswald allerdings bei Michael Köllner.

München – Sind die Löwen ein Fall für die Psycho-Couch? Alfred Böswald, 60, zu Zweitligazeiten Mentaltrainer des TSV 1860, war am Samstag im Stadion, hat die Trainerpremiere von Maurizio Jacobacci live verfolgt. Was der Weilheimer beim 0:1 gegen Viktoria Köln beobachtet hat, lässt auf tief sitzende Probleme schließen.

Hoffnung kann es laut Böswald nur geben, wenn die Löwen aus der Misere die richtigen Schlüsse ziehen. Unser Interview.

Grüß Gott Herr Böswald, auch unter dem dritten Trainer in dieser Saison wirkt das Team der Löwen leblos, hilflos, teilweise mitleiderregend verunsichert. Was ist da los aus psychologischer Sicht?

Dieses Team ist vollkommen führungslos! Genau betrachtet gab es eine echte Hierarchie zuletzt, als Sascha Mölders Kapitän war. Dann kam es zum Zerwürfnis, und ab da hat Köllner quasi die Alleinherrschaft übernommen, gefühlt über den ganzen Verein. Das ging eine Zeit lang gut, aber konnte nur im sportlichen Desaster enden. Denn nicht der Trainer führt ein Team zum Sieg, sondern der Kapitän, der seine Mitspieler als Vorbild mitreißt.

TSV 1860: Spieler als Marionetten von Köllner?

Aber Köllner ist doch jetzt weg.

Köllner mag weg sein, aber die Probleme, die sein Führungsstil verursacht hat, sind nach wie vor da – und im Team eklatant sichtbar. Köllner war ab einem gewissen Punkt für keine Kritik mehr empfänglich. Überspitzt könnte man sagen: Köllner hat absolutistisch regiert – was zu einer dramatischen Abhängigkeit der Spieler von seiner Person geführt hat.

Sportchef Günther Gorenzel entließ ihn schließlich, glaubte, es besser als er hinzukriegen. Ein Irrtum.

Die aktuelle Mannschaft ist das Ergebnis von Köllners falschem Verständnis von Führung im Mannschaftssport: Die Spieler wurden unter ihm zu Marionetten, haben die Dinge nicht mehr selbst angepackt, haben auf Impulse von außen gewartet, anstatt instinktiv zu agieren. Aus dem Selbstbewusstsein der Spieler wurde Fremdbewusstsein. Spieler wie Jesper Verlaat wurden öffentlich gedemütigt, der Mannschaft die Klasse abgesprochen. Wenn aber Spieler nur noch von außen geführt werden, verlieren sie ihre innere Überzeugung. Sie übernehmen nicht mehr Verantwortung für das Spiel, sondern schieben sie ihrem Mitspieler zu. Und genau das erleben wir aktuell auf dem Platz.

Welchen Trainer hätten Sie in der momentanen Lage empfohlen?

Aus Respekt vor Maurizio Jacobacci verbietet sich eine Antwort. Der neue Trainer macht einen sortierten Eindruck, wird jetzt aber gezwungen sein, radikal das Übel der Führungslosigkeit bei der Wurzel zu packen.

TSV 1860: Transfercoup Raphael Holzhauser wirkt lust- und kopflos

Wie kann es sein, dass die Mannschaft aus den ersten sechs Saisonspielen 16 Punkte holt – und zu Beginn der Rückrunde gerade mal zwei Zähler, gegen dieselben Gegner?

Wenn man die Saison ehrlich betrachtet, stellt man fest, dass diese vermeintlich tolle Anfangsphase mit ganz viel Glück verbunden war. Die Wende kam am achten Spieltag, als wir von Elversberg regelrecht vorgeführt wurden. Und allerspätestens nach der 0:1-Niederlage im Totopokal beim Regionalliga-Schlusslicht Illertissen hätten die Alarmglocken schrillen müssen, so blutleer, wie sich das Team präsentierte. Stattdessen durfte Köllner die immer sichtbarer werdenden Missstände schönreden und Kritiker öffentlich beschimpfen. Hätte man zu Beginn der langen WM-Pause auf der Trainerposition reagiert, stünde Sechzig jetzt anders da.

Psychologe, Buchautor und Löwen-Fan: Alfred Böswald.
Psychologe, Buchautor und Löwen-Fan: Alfred Böswald. – Foto: Privat

Gefühlt sind alle Spieler schlechter geworden, teilweise nur noch ein Schatten besserer Tage. Wie kriegt man die Mannschaft wieder in die Spur?

Das Team braucht wieder einen Kopf, einen echten Anführer. Daher müsste Jacobacci jetzt zwingend Yannick Deichmann zum Kapitän machen – und der Verein als Signal Deichmanns Vertrag sofort verlängern. Um einen Typen wie ihn kann man die aktuelle Mannschaft neu ausrichten. Als Trainer würde ich mit ihm besprechen, wen er auf welcher Position sieht, wem er zutraut, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Du musst jetzt auf Typen setzen, die laufen, kämpfen, sich zerreißen wollen:. Lang, Morgalla, Greilinger, Lakenmacher – dazu Genies wie Boyamba und Vrenezi. Du brauchst einen Stamm von sechs, sieben Spielern, die sich einschwören, einander pushen, vorangehen.

Könnte es nicht sein, dass die Spieler innerlich gekündigt haben? Dass einige schon ausloten, wo es ab Sommer für sie weitergehen könnte?

Das glaube ich nicht, denn der eine oder andere Spieler wird es nie über die 3. Liga hinaus schaffen. Auf Raphael Holzhauser mag es vielleicht zutreffen, dass er mental woanders ist – so lustlos und kopflos, wie er auftritt. Aber auf das Gros der Spieler passt das nicht. Fußballer wollen nicht verlieren! Und wenn sie sich bei ihren Beratern ausheulen – wo will ein Berater diese Spieler denn dann hin vermitteln bei dieser aktuellen Leistung?

TSV 1860: Wird aus Aufstiegs-, Abstiegskampf?

Nach Jahren, in denen es ruhiger zuging, wird der Machtkampf der Gesellschafter nun wieder offen ausgetragen. Welchen Einfluss hat der interne Streit auf die Darbietungen der Mannschaft?

Viel wichtiger ist doch, ob Personen aus dem Gesellschafterkreis auf Spieler und Trainer Einfluss nehmen wollen, sich wichtigmachen. Aus meiner Sicht ist es bezeichnend und verheerend zugleich, dass man immer häufiger Funktionäre auf dem Rasen sieht, ob das jetzt der Präsident ist oder Anthony Power. Funktionäre gehören auf die Haupttribüne. Punkt.

Gibt es etwas, das Ihnen in der momentanen Lage Hoffnung macht?

Wenig – außer der Liebe und Treue der Fans zu ihrem Verein. Hoffnung hätte ich nur, wenn die Spieler endlich die gleiche Leidenschaft an den Tag legen wie die Fans, die weit reisen, viel Geld ausgeben und auch nach desaströsen Auftritten immer wiederkommen. Die Fans sind erstklassig, der Rest drittklassig!

Droht den Löwen ein Saisonende mit Schrecken, sprich: Abstiegskampf?

Davon muss man Stand jetzt leider ausgehen. Ich befürchte tatsächlich, dass wir froh sein müssen, wenn wir am Ende der Saison ein paar Punkte mehr haben werden als der Viertletzte. Es gibt zwar immer wieder Wunder im Fußball und es gibt auch Hoffnung, wenn die Führung aus der Mannschaft heraus so schnell wie möglich umgesetzt wird, aber viel Zeit bleibt da nicht. Und die Gesellschafter müssen ihr pubertäres Verhalten auf beiden Seiten ablegen. Alle müssen sich radikal besinnen, nur dann kann es noch was werden mit Münchens Großer Liebe!

Interview: Uli Kellner

Aufrufe: 08.3.2023, 07:22 Uhr
Uli KellnerAutor