2024-05-14T11:23:26.213Z

Interview
Beim Kreisligaspiel in Alzey ist dem fröhlichen Schiedsrichter Boris Pioch das Lachen vergangen. Aus seiner Sicht haben diese Vorfälle zugenommen. Foto: Privat
Beim Kreisligaspiel in Alzey ist dem fröhlichen Schiedsrichter Boris Pioch das Lachen vergangen. Aus seiner Sicht haben diese Vorfälle zugenommen. Foto: Privat

Pioch: "Die Eskalationen nehmen zu"

Ausführliches Interview mit Schiedsrichter Boris Pioch +++ Vorfall beim E-Juniorenspiel in Bad Kreuznach für ihn kein Einzelfall

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Der 42-jährige Boris Pioch aus Mainz-Ebersheim ist seit 28 Jahren als Schiedsrichter aktiv und war unter anderem auch schon mehrere Spiele als Assistent in der dritten Liga unterwegs. Sein schlimmtes Erlebnis auf dem Fußballplatz hatte der Unparteiische 2012 in der Kreisliga: Als er durchgriff und zwei Spielern von Hilal Spor Alzey rot zeigte, ereignete sich eine Hetzjagd, die für ihn glücklicherweise ohne Schaden endete. Aufgrund der Vorfälle bei dem E-Jugendspiel in Bad Kreuznach, als sein Schiedsrichter-Kollege von einem Zuschauer niedergeschlagen wurde, haben wir uns aus aktuellem Anlass mit ihm über die Thematik "Gewalt im Fußball" ausgetauscht und ihm zehn Fragen gestellt.

Hallo Boris, Was waren die ersten Gedanken, als du den Vorfall in Bad Kreuznach mitbekommen hast?

Boris Pioch: Ich fand das schockierend. Es ist unfassbar, dass das bei einem E-Jugendspiel passiert. Die Kinder erleben das ja hautnah mit. Das ist furchtbar und entrüstet mich.

Du bist seit 28 Jahren Schiedsrichter. Wie hat sich das Benehmen der Spieler und Zuschauer aus deiner Sicht entwickelt?

Die Eskalationen nehmen zu. Die Hemmschwelle ist auf jeden Fall runtergegangen. Und das ist allgemein so und hat nichts damit zutun, aus welchem Land die Leute kommen.

Was sind die Ursachen für diese Entwicklung?

Keine Ahnung. Die Frage stelle ich mir auch oft. Ich meine, dass der Respekt untereinander stark nachgelassen hat. Viele können keine Konflikte mehr lösen. Die Leute sind aggressiver geworden. Eine Kleinigkeit bringt sie schon auf die Palme. Das siehst du schon in der Bundesliga, die führen sich da manchmal auf wie ein Rumpelstilzchen.

Welche Maßnahmen könnten die Gewalt im Fußball mindern?

Trainer, Betreuer und Verantwortliche spielen eine entscheidende pädagogische Rolle. Wie der Verein, die Mannschaft, geführt ist, so sind auch die Spieler. Bei uns in Mainz-Weisenau spielten auch Fußballer, denen wollte ich nachts auf der Straße nicht begegnen, aber auf dem Platz haben sie sich benommen.

Wie empfindest du die Bestrafungen durch den Verband? Fallen die Urteile gegen solche Täter auf dem Fußballplatz zu lasch aus?

Die Urteile sind oft ein Witz. Da wird teilweise mit zweierlei Maß gemessen. Gerade vor negativ auffallenden ausländischen Mannschaften, wie seinerzeit Hilal Spor Alzey, hat der Verband einen Heidenrespekt. Da zieht der Verband oft den Schwanz ein.

Was denkst du über die geplante Aktion von Schiedsrichter Dominik Tyrankowski, der fünf Minuten ein Spiel unterbrechen wollte? Und wie empfindest du die Absetzung durch den zuständigen Schiedsrichterobmann Christian Wendel?

Ich finde die geplante Aktion wirklich nicht schlecht, aber sie hat auch nichts Nachhaltiges. Die Absetzung finde ich überzogen und halte sie für nicht nachvollziehbar. Zeichen müssen gesetzt werden.

Du selbst wurdest beim Kreisligaspiel bei Hilal Spor Alzey Opfer von einer Schiedsrichterattacke. Beschreibe.

Nach der Pause schossen die Gäste aus Eckelsheim das 1:0, das war ganz klar kein Abseits. Hilal hat da aber Abseits moniert und ein Spieler von ihnen hat mich als Nazi beschimpt. Deshalb habe ich ihm rot gegeben. Daraufhin kam ein weiterer Spieler auf mich zu und hat mich stark angegangen, sodass ich ihn mit gelb-rot vom Feld verweisen musste. Und dann gab es Tumulte, sie waren alle auf 180 und waren nicht mehr zu bändigen. Ich bin dann in die Kneipe geflüchtet, die wir abgeschlossen haben und habe gewartet bis die Polizei kommt. Ich hatte da schon Angst und Schiss, ich weiß ja nicht ob da jemand ein Messer aus der Tasche zieht.

Wie lange hast du gebraucht, um dich davon zu erholen und welche Konsequenzen hast du daraus gezogen?

Ich habe erstmal schon geschluckt und habe daran zu knabbern gehabt. Die Szene habe ich ja dann auf dem Platz mit dem Südwestrundfunk auch nochmal nachgestellt, da wurde mir schon mulmig. Den ISC Saulheim, zu dem viele der Spieler hingewechselt sind, pfeife ich nicht. Das möchte ich definitiv nicht mehr, das muss ich mir nicht nochmal antun - ich bin da vorsichtiger geworden. Ans Aufhören habe ich aber nicht gedacht: Es war klar, dass ich nächste Woche wieder pfeife. Dafür macht mir das Pfeifen zuviel Spaß und dafür habe ich zu viele positive Rückmeldungen bekommen.

Wie hast du die letztjährige Abmeldung von Hilal Spor Alzey wahrgenommen?

Ich habe gedacht: Das ist vielleicht besser so. Aber dann habe ich auch gedacht, die hören nicht auf Fußball zu spielen. Es ist ja nicht damit getan, dass die in einer anderen Mannschaft spielen.

Was bedeutet die Schiedsrichterei für dich? Warum pfeifst du immer noch?

Es ist mein liebstes Hobby. Für mein Leben hat es mir viel gebracht. Der Fußballplatz ist die Spielwiese des Lebens. Du musst gucken, dass du die Sprache der Spieler sprichst. Du hast 22 verschiedene Charaktere und alles muss in geregelten Bahnen ablaufen. Wichtig ist es, nicht mit Voruteilen ins Spiel zu gehen.

Aufrufe: 030.9.2014, 13:00 Uhr
Nico BrunettiAutor