2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Nierfelds Trainer Achim Züll
Nierfelds Trainer Achim Züll

"Wir sind keine Spitzenmannschaft mehr"

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Trainer Achim Züll glaubt, dass die großen Nierfelder Triumphe der Vergangenheit angehören- er nennt den Klassenerhalt in der Landesliga als derzeit vorrangiges Ziel und hält Fusionen von Vereinen für ein Mittel, mehr Nachwuchs zu fördern

Herr Züll, mit dem SV Nierfeld ist Ihnen zwei Mal der Aufstieg in die Fußball-Mittelrheinliga gelungen. Dort haben Sie die Klasse aber jeweils nicht halten können. Wie bewerten Sie rückblickend diese Zeit?
Achim Züll: Wir haben diese Erfolge gerne mitgenommen und neue Erfahrungen gesammelt, die alle Beteiligten weiter gebracht haben. Ich persönlich habe außerdem viele renommierte Kollegen, wie zum Beispiel Wilfried Hannes (Coach von Borussia Freialdenhoven, Anm. d. Red.), kennen- und schätzen lernen dürfen. Als Trainer würde ich es wieder probieren, in die Mittelrheinliga aufzusteigen, aber für einen Verein wie den SV Nierfeld ist diese Klasse auf Dauer nicht zu stemmen. Nur wer über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, kann sich dort behaupten. Elf oder zwölf gute Spieler reichen auf diesem Niveau nicht mehr aus.

Nach dem Abstieg wurde Ihre Mannschaft vor der laufenden Saison von vielen Experten zum Favoritenkreis der Landesliga gezählt. Die Zwischenbilanz nach der Hälfte der Spiele ist als Tabellenachter mit bereits 14 Punkten Rückstand auf Spitzenreiter SpVg Wesseling-Urfeld aber eher ernüchternd, oder?
Züll: Ich habe immer vor der Stärke dieser Staffel gewarnt. Uns ist es zwar gelungen, nach dem unerfreulichen Ende der vergangenen Saison für diese Spielzeit eine vernünftige Mannschaft auf die Beine zu stellen, doch die besten Leute haben aufgrund von Verletzungen, Sperren oder sonstigen Ausfällen bisher so gut wie nie zusammen auf dem Platz gestanden. Der Verein kann sich allerdings keinen breiten Kader mehr leisten. Und so muss man es so deutlich sagen: Wir sind kein Spitzenteam mehr.

Welches Abschneiden ist in der aktuellen Spielzeit realistisch?
Züll:Unser primäres Ziel ist der Klassenerhalt und das wird schwierig genug. Einzig das abgeschlagene Schlusslicht Westwacht Aachen hat aus meiner Sicht keine Chance mehr, doch dahinter gibt es viele Klubs, die es am Ende erwischen könnte. 36 Punkte werden nötig sein, um sicher in der Liga zu bleiben. Deswegen hoffe ich, dass uns Martin Kerkau schnell wieder helfen kann. Seine Torgefahr hat uns zuletzt enorm gefehlt.

Das klingt alles andere als euphorisch.
Züll: Ich möchte nicht jammern. Um mich herum arbeitet ein hervorragendes Trainer- und Betreuerteam, was für viele meiner Kollegen keineswegs selbstverständlich ist. Die Bedingungen mit unserem Vereinsheim und dem Kunstrasen sind auch gut, doch nun müssen dringend neue Strukturen geschaffen werden, um für die nächsten Jahre gerüstet zu sein.

Was meinen Sie konkret?
Züll:Wenn es so weiter läuft, wird es kaum möglich sein, in den nächsten Jahren noch in der Landesliga zu bestehen. Ich habe schon erwähnt, dass der Verein nicht mehr über das Budget verfügt wie in der jüngeren Vergangenheit. Trotzdem muss es gelingen, die Leistungsträger zu halten und – was noch viel schwieriger ist – talentierte Nachwuchskräfte zu finden, die uns weiterhelfen können.

Der SV Nierfeld ist immer noch das sportliche Aushängeschild im Altkreis Schleiden. Was macht die Suche nach gutem Nachwuchs so kompliziert?
Züll: Das Niveau in der A-Liga ist leider stark gesunken und die wenigen Vereine aus der Region, wie beispielsweise die SG Oleftal, kämpfen gegen den Abstieg. Im Juniorenbereich gibt es außer der SG SF 69 Marmagen/Nettersheim, die in den letzten Jahren höherklassig gespielt hat, keine Mannschaft, die auf diesem Level unterwegs ist. Der Sprung in die Landesliga ist für die Jungs einfach zu groß.

Wo liegen die Ursachen dafür? Gibt es in der Eifel keine Talente mehr?
Züll: Die wenigen richtig guten Leute gehen frühzeitig zu anderen Vereinen im Kölner Raum. Dort können ihnen ganz andere Möglichkeiten angeboten werden. Man muss leider auch feststellen, dass sehr viele Vereine im Euskirchener Fußballkreis geschlafen haben, allen voran der SV Nierfeld. Wir haben weder eine A- noch eine B-Jugend und müssen nun mehrere Jahre überbrücken, ehe die ersten Nachwuchsspieler in den Seniorenbereich aufrücken. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Wie lautet denn Ihr Lösungsansatz?
Züll: Nur über einen Zusammenschluss der Vereine ist ein sportliches Überleben möglich. Das A-Jugendteam aus der Region, das derzeit unter der Spielgemeinschaft SG Bronsfeld-Oberhausen/Oleftal läuft, muss mit ins Boot geholt werden, ebenso der Ort Gemünd, der über eine lange Fußballtradition verfügt. Wenn ich zu entscheiden hätte, würde ich mit Gemünd und Olef ab der kommenden Saison fusionieren – nicht nur im Jugend-, sondern auch im Seniorenbereich.

Dieser Vorschlag dürfte bei einigen auf Widerstand stoßen.
Züll: Womöglich schon. Fakt ist aber, dass es die jeweiligen Klubs alleine nicht mehr schaffen können, weil die Manpower fehlt und die Fußballverrückten – wie unser Vorsitzender Kalle Büser oder mein ehemaliger Trainer Peter Decker – immer seltener werden. Die Frage ist doch: Wer tut sich das heute noch an? Mit einer One-Man-Show ist auf Dauer niemandem geholfen.

Die Faszination für die Bundesliga ist dabei ungebrochen, der WM-Titel hat der Entwicklung gewiss nicht geschadet. Warum fehlt die Begeisterung der Menschen für die Basis?
Züll: Einerseits deshalb, weil die Qualität in den unteren Ligen gesunken ist. Wie oft höre ich bei einem Kreisklassen-Spiel den Satz: „Das kann man sich ja nicht mehr mit angucken!“ Uns sind die Zuschauer bislang treu geblieben, weil das Niveau noch in Ordnung geht. Das zweite große Problem ist, dass der TV-Sender Sky eine Menge kaputtgemacht hat. Wer läuft denn am Sonntag noch bei Wind und Wetter zu einem Amateurspiel, wenn er um halb vier die Bundesliga gemütlich auf der Couch verfolgen kann?

Auch bei vielen jungen Leuten hat man den Eindruck, dass die Couch – mitsamt der Spielkonsole und FIFA 15 – dem Fußball in natura immer öfter vorgezogen wird.
Züll: Die Bolzplatzmentalität ist nicht mehr da, das stimmt. Auch wenn man fairerweise sagen muss, dass die schulische oder berufliche Belastung und die räumliche Distanz sicher größer geworden sind als zu meiner aktiven Zeit, als vieles in der Nähe des Heimatortes passierte. Während wir als Kinder um 15 Uhr auf dem Sportplatz waren, sind heute viele noch in der Schule. Abends ist das Videospiel dann sicherlich die bequemere Lösung.

Wo rangiert der Vereinsfußball auf der Skala des Nachwuchses?
Züll: Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist der Stellenwert rapide gesunken. Heute hat jeder zahlreiche Interessen und am Wochenende steht überwiegend das Feiern im Vordergrund – und das nicht nur freitags, sondern auch bis morgens früh vor einem wichtigen Spiel. Auch meine Generation ist abends rausgegangen, doch wir waren eher im Bett und am Sonntag entsprechend fit.

Also ist es eine Sache der Einstellung?
Züll: Total. Ich war sicher nie ein Riesenkicker, doch zum Training bin ich immer gegangen. Was ein Coach von seinen Spielern mittlerweile an Entschuldigungen oder vielmehr Ausreden zu hören bekommt, ist wirklich zum Lachen. Zum Beispiel hat sich einer mal bei mir mit der Begründung abgemeldet, dass die Katze seiner Freundin Nachwuchs bekommen hat.

Der Trainerjob macht Ihnen trotzdem immer noch Spaß. Wie lange wollen sie diesen denn noch in Nierfeld ausüben?
Züll: Es ist kein Geheimnis, dass es Anfragen gab, doch ein Wechsel würde für mich einen wahnsinnigen Aufwand bedeuten. Deshalb ist das momentan kein Thema. Außerdem habe ich dem Präsidenten versprochen, ihn in der jetzigen Phase mit vollem Einsatz zu unterstützen. Entscheidend ist für mich, dass eine Perspektive vorhanden ist. Dann könnte ich mir auch durchaus vorstellen, mit dem SVN in der Bezirksliga zu arbeiten.

Das Gespräch führte Markus Brackhagen

Aufrufe: 016.1.2015, 20:28 Uhr
KSTA-KR/Markus BrackhagenAutor