SV Eyüp Sultan - SpVgg Nürnberg 4:3
Nach einer Dreiviertelstunde sieht es für die Spielvereinigung Nürnberg an diesem Spieltag aus, so trist wie der graue Himmel über der Bezirkssportanlage Steinplatte, aus dem an diesem Nachmittag immer wieder kalte Tropfen fallen. Nur fallen bei der Spielvereinigung auch Gegentore, vier Stück sind es bis zur Pause. Deshalb tröpfelt bald die ganze Partie nur noch so dahin. Man hat viel Zeit, sich ein wenig umzuschauen.
An die Fenster eines hölzernen Gartenhäuschens, in dem die Trainingsutensilien verwahrt werden, hat die Stadt dicke Eisengitter schrauben lassen. An der Rückwand der Kabinen hat irgendjemand bunte Buchstaben gesprüht. Es ist die richtige Kulisse für das, was nun, nachdem Schiedsrichter Kai Thiele etwas zu bedeutungsschwer zur Halbzeit gepfiffen hat, folgen wird.
Thiele läuft mit seinen Fahnenkindern gerade Richtung Kabine, eine Handvoll Zuschauer kaufen bei der Hausmeisterin wärmenden Kaffee, da kommt von links Wolfgang Diehm ins Bild gestapft. Er trägt eine Mütze und Trainingsanzug, klar, er ist der Coach der Gäste. 0:4 liegen die wie gesagt zurück, „klar, dass sich da Frust angestaut hat, oder?“, fragt er später. Es folgt ein kleines Wortgefecht, der Schiedsrichter droht mit Spielabbruch, Diehm mit einem Bericht, den er an den Verband schreiben will. Betreuer des Gastgebers in neongelben Warnwesten mit „Ordner“- Schriftzug beruhigen beide Streithähne. „Ich war schon als Spieler sehr emotional“, sagt Diehm, diesmal, erklärt er, habe ihn der Schiedsrichter beleidigt: „Halt deine Klappe“, findet Diehm, müsse er sich von niemandem sagen lassen.
Später gerät Diehm noch einmal kurz mit einem Spieler von Eyüp Sultan aneinander – entschuldigt sich aber postwendend: „Nummer elf“, ruft Diehm, „sorry“. Ein älterer Zuschauer in Winterjacke schüttelt trotzdem den Kopf: „Unserm Trainer müssen wir zu Weihnachten mal einen Benimmkurs schenken.“
Das ist vielleicht das einzige, was Wolfgang Diehm auf dem Sportplatz noch brauchen könnte. Ansonsten hat er in der Halbzeit offenkundig die richtigen Worte gefunden – nicht zum Schiedsrichter, sondern zu den eigenen Jungs: „Es ist kein Mülleimer geflogen, aber ich bin lauter geworden“, verrät er, „es ging darum, die Jungs aufzuwecken. Wir wollten uns nicht abschießen lassen.“ Die Spielvereinigung jedenfalls kommt dann wie verwandelt zurück unter den grauen Himmel, schnell fallen das 1:4 und 2:4, fünf Minuten vor Schluss sogar noch das 3:4. Diehm fuchtelt wild, beordert alle nach vorn. Aber es reicht nicht mehr. „Aufgrund der zweiten Halbzeit wäre vielleicht ein Punkt verdient gewesen“, sagt er dann, mit dem Schlusspfiff wird er schlagartig ruhig und besonnen. Das, obwohl der letzte Sieg seiner Mannschaft aus dem August stammt. Aus den vergangenen sieben Spielen gab es vier Remis und drei Niederlagen. „In Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden, bin ich zufrieden.“ Die Situation ist mit „unglaubliche Pechsträhne“ fast untertrieben beschrieben: Sieben verletzte Spieler in 180 Minuten, Diehm bekommt alle Szenen aus dem Gedächtnis gar nicht mehr zusammen: Einer hat beim Pressschlag den Zehennagel verloren, zwei sich in Fischbach die Bänder gerissen – „jedenfalls habe ich so etwas noch nie erlebt“. Nun müssen eben die Jungen ran, die aus der Zweiten. Die machen, findet Diehm, ihre Sache sehr ordentlich.
Nach vier Siegen zum Saisonstart standen sie noch oben in der Tabelle, überraschend, denn das Saisonziel hieß eigentlich Nichtabstieg. „Ich habe da schon ein wenig von der Bezirksliga geträumt“, gibt der Trainer zu. Mittlerweile verbietet sich das natürlich, die Spielvereinigung ist ins Mittelmaß zurückgefallen. Ohnehin wäre die Bezirksliga eigentlich gar nicht gut, findet Diehm: „Wir wären auch noch nicht so weit“, weiß er. „Erstes Jahr Klassenerhalt, zweites Jahr etablieren, drittes Jahr dann vielleicht.“ Bis dahin ist vielleicht auch schon der Benimmkurs absolviert.
Schiedsrichter: Kai Thiele (Gebenbach) - Zuschauer: 65