2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview
Dieter Rebel im Gespräch mit Fadi Keblawi (li.) und Christoph Benesch (re.). F. Staudt
Dieter Rebel im Gespräch mit Fadi Keblawi (li.) und Christoph Benesch (re.). F. Staudt

"Nirgends sonst war das so nett wie bei Dergah"

Dieter Rebel ist Sportdirektor bei Dergahspor. Und: Er lebt offen homosexuell. Ein Gespräch über Schwulenfeindlichkeit im Amateurfußball

Verlinkte Inhalte

Dieter Rebel lebt seit 1982 in Nürn­berg. Er war Schiedsrichter, Betreuer, Mäzen, Abteilungsleiter bei mehreren Vereinen. Auch in der Jugendarbeit hat Rebel sich engagiert. Seit zwei Jah­ren ist der 52-Jährige Sportdirektor bei Dergahspor. Seit seinem 15. Lebensjahr geht er offen damit um, homosexuell zu sein. In einen Spieler, sagt Rebel, war er aber noch nie ver­liebt. Ein Gespräch über Vorbehalte und Angst vor der Homosexualität im Amateurfußball.

Herr Rebel, Sie haben uns kontak­tiert, weil Sie gern etwas loswerden wollten zum Thema Homosexualität auf den Fußballplätzen.

Dieter Rebel: Richtig. Ich habe die­sen Artikel vor kurzem hier im Lokal­sport gelesen. Es hat mir gefallen, dass man sich traut, im Amateurfuß­ball das Thema offen anzugehen.

Das freut uns.

Rebel: Ich finde es sehr schade, dass man dieses Thema gern ausklammert, als würde es das nicht geben. Dabei gibt es das sehr wohl — nur eben wenige Leute, die, wie ich, sehr offen damit umgehen. Die meisten verheim­lichen und vertuschen das. Dabei bin ich der Meinung, dass jeder, der sich outet und offen damit umgeht, etwas für die Homosexualität an sich und gegen die Homophobie leistet.

„So tolerant ist die Gesellschaft nicht...“

Sie haben Ihre Homosexualität nie versteckt?

Rebel: Nein. Ich bin von Natur her unbekümmert und gehe damit sehr offen um. Ich habe das irgendwann festgestellt — und dann waren die Ers­ten, mit denen ich darüber gesprochen habe, die Mädchen in der Schule. Frauen generell haben mit dem Thema überhaupt keine Probleme.

Wer hat Probleme damit?

Rebel: Die sogenannten Hetero­Männer. Die sind manchmal sehr ver­spannt, gerade meine Generation. Die Jüngeren sind lockerer. Wobei, wenn man mal diskutiert und die Argu­mente ausgehen, sagen viele hinter dem Rücken: „Na ja, die Schwuchtel quatscht halt wieder“. Das hat es in allen Lebensbereichen schon gegeben.

Ist denn die Fußball-Gesellschaft besonders schwulenfeindlich, so wird sie ja immer dargestellt?

Rebel: Ich weiß ja nicht alles, was hinter dem Rücken gesprochen wird. Aber die, mit denen ich zu tun hatte, waren nicht so. Da habe ich immer mit Menschen zusammenarbeiten dür­fen, die offen damit umgegangen sind.

Und warum hält sich dann in der Öffentlichkeit dieser Eindruck, dass gerade die Fußballszene besonders ho­mophob ist?

Rebel: Ich glaube, das hängt mit der Enge zusammen; dass man automa­tisch denkt, wenn einer homosexuell ist, will der sicher anbaggern. Es hat mit dem gemeinsamen Duschen zu tun, all den Vorurteilen. Auch im Umgang mit jungen Menschen — da geht das so weit, dass Älteren unter­stellt wird: Oh Gott, der ist schwul und arbeitet mit Jugendlichen zusam­men. Dann, finde ich, darf ein Hetero-Lehrer aber auch niemals junge Mäd­chen unterrichten. Schwulsein ist doch nicht ansteckend.

Herr Rebel, Sie sind jemand, der im Amateurfußball polarisiert. Es geht so weit, dass Ihnen manche vorwerfen, Ihre Ämter nur zu bekleiden, um die Nähe zu jungen Männern zu suchen.

Rebel: Das weiß ich. Da gibt es einige, die, gerade unter Alkoholein­fluss, schon mal unter die Gürtellinie gehen und das sehr böse ansprechen. Aber, ganz ehrlich, da hätte ich doch genügend andere Möglichkeiten, wenn es mir um Nähe ginge.

Wie lebt man mit so schlimmen Vor­würfen?

Rebel: Entweder man versteckt sich — oder man lehnt sich zurück, genießt das Leben und macht das, was einem Spaß macht. Ich gehe mit diesen Be­hauptungen locker um.

Warum ist das überhaupt eine Be­sonderheit: Homosexuelle im Ama­teurfußball?

Rebel: Eben, es ist keine. Wir müs­sen darüber sprechen, damit diese Be­rührungsängste abgebaut werden. Dass man sagt: O.k., auch eine Lesbe oder ein homosexueller Mann können sehr gute Leistungen bringen, ohne dass immer ihre sexuelle Orientierung im Vordergrund stehen muss. Es gibt viele Spieler, Trainer und Funktio­näre, die schwul sind, glauben Sie mir, ich kenne da einige. Die trauen sich aber nicht, darüber zu sprechen. Jeder muss für sich entscheiden, ob er sich outet. Mir geht es um den Um­gang, der muss einfach lockerer wer­den.

Es ist ja auf dem Fußballplatz ge­bräuchlich, abfällig zum Beispiel vom „schwulen Pass“ zu sprechen.

Rebel: Das hört man ständig, das ist eingebrannt in das Vokabular. Spieler und Trainer, glaube ich, denken gar nicht lange darüber nach, was sie da sagen. Früher hat mich das er­schreckt. Mittlerweile akzeptiert man das und nimmt es hin.

Als Sie bei Süd 73 irgendwann sehr offen angefeindet wurden, hörte man auch schlimme persönliche Beleidi­gungen gegen Sie von der Tribüne. Hat Sie das schockiert?

Rebel: Natürlich tun Beleidigungen immer weh. Das ist unterste Schub­lade, ich finde, privat ist und bleibt privat. An diesem Beispiel kann man nur erahnen, was ein junger Profispie­ler ertragen müsste nach einem Outing in einem Stadion vor über 45000 Zuschauern. Dabei hat Sexuali­tät doch mit Fußball nicht das Ge­ringste zu tun.

Warum wird das Homosexuellen aber immer wieder unterstellt?

Rebel: Das ist eine ganz interes­sante Frage, die ich mir auch immer wieder stelle. Vielleicht sind da manchmal die Gedanken und die Fan­tasien schmutzig? So tolerant, wie sie sich gibt, ist die Gesellschaft offenbar nicht. Bei einem schwulen Lehrer wird weitergedacht: Oh! Kinder? Sportunterricht? Da muss was sein! Das würde man von einem heterosexu­ellen Lehrer nie denken, dass er die Mädchen irgendwie angeht.

Sie waren in einigen Vereinen, Herr Rebel. Wenn Sie neu zu einer Fußball­mannschaft kommen, thematisieren Sie da Ihre Sexualität?

Rebel: Nein, überhaupt nicht. Wenn jemand fragt, dann beantworte ich das schon. Aber es wird meistens gar nicht gefragt. Dergahspor, mein aktu­eller Verein, ist in vielen Bereichen sehr konservativ. Aber in den Vereins­statuten steht unter anderem auch drin, dass die Sexualität aller Men­schen respektiert wird. Dergahspor ist in allen Bereichen sehr offen, auch was die Religion anbetrifft übrigens. Es geht ihnen nur darum, dass man sich ordentlich benimmt, das Wohl des Vereins muss im Vordergrund ste­hen. Das ist wie in einer Firma.

Dergahspor hat einen islamischen Hintergrund...

Rebel: Richtig, da ist Homosexuali­tät verboten, weiß ich. Genau wie Alkohol. Dergahspor ist aber auch eine große Familie, die ein Familien­mitglied nicht ausschließt.

Es gibt keine Probleme?

Rebel: Ich bin da nicht direkt mit konfrontiert worden bislang. Aber ich schade doch auch niemandem mit meinem Glauben oder meiner Sexuali­tät.

Welche Reaktionen erwarten Sie, wenn die Menschen bei Dergahspor unser Gespräch lesen?

Rebel: Es wird welche geben, die sagen: finde ich gut. Es wird auch einige geben, die sagen: finde ich nicht gut. Mir ist die Sache an sich wichtig, deshalb möchte ich darüber sprechen; dass die Gesellschaft sich öffnet, die Fußballer sich öffnen. Die Reaktionen halte ich aus.

„Ach, jetzt pfeift die Schwuchtel wieder“

Muss man sich das Aushalten antrai­nieren — gerade in der Fußballszene?

Rebel: Ja, natürlich. Das würde ich allen Homosexuellen empfehlen, be­sonders im Amateurfußball.

Fragen Sie homosexuelle Fußballer und Funktionäre, warum sie nicht auch so offen wie Sie damit umgehen?

Rebel: Hab ich vor 20 Jahren schon gemacht. Aber die sagen, dass könn­ten sie nicht, das wäre ein Skandal. Manche sind in Vernunftehen einge­bunden, für die wäre das die schlimms­te Horrorvorstellung.

Ist es denn in der Realität wirklich so schlimm?

Rebel: Na ja, als Schiedsrichter habe ich schon einige spannende Momente erlebt: Ach, jetzt pfeift die Schwuchtel wieder, haben sie gesagt. Oder Schiri-Kollegen, die meinten: Nein, ich gehe nicht mit einem Schwu­len zusammen.

Wie, glauben Sie, würde eine Mannschaft denn damit umgehen, wenn sich, sagen wir, der Torwart outet?

Rebel: Na ja, alle würden erst mal ruhig werden. Dann „Ja, na und?“, fra­gen. Aber sie würden sich sofort an­ders verhalten. Es würde beim Duschen, beim Umziehen, auch im Streit Probleme geben, weil der Tor­wart immer wieder darauf reduziert würde. Alles wird leider sofort mit Sexualität in Verbindung gebracht, deshalb ist das auch so schwer.

Das heißt: Das öffentliche Bekennt­nis des Ex-Nationalspielers Hitzlsper­ger wird nicht viel ändern?

Rebel: Doch, es zeigt, unter welchem Leidensdruck Fußballspieler stehen.

Er hat diesen Schritt erst nach dem Karriereende gewagt.

Rebel: Geholfen hätte es der Sache mehr, wenn er es während der aktiven Karriere gemacht hätte. Bei den Frau­en wird das ja immer lockerer genom­men. Da tut man eher den Heterosexu­ellen Unrecht, indem man pauschali­siert, das wären Lesbenhaufen.

Warum wird es toleriert, wenn Fuß­ballerinnen offen lesbisch sind, Fuß­baller aber dürfen nicht schwul sein?

Rebel: Das ist eine spannende Fra­ge, die ich mir schon immer stelle. Eine Erklärung dafür habe ich nicht.

Glauben Sie, dass es in den Vereins­heimen besonders homophob zugeht?

Rebel: Ja, das ist so. Aber wenn ich reinkomme, wird oft das Thema gewechselt oder sanfter darüber disku­tiert. Es bleibt für viele einfach ein unangenehmer Bereich.

Herr Rebel, werden nach diesem Gespräch nicht viele Menschen auf Sie zukommen und sagen: Warum hast Du das nicht für Dich behalten?

Rebel: Natürlich. Aber ich bin der Meinung, es ist die beste Zeit, über das Thema zu sprechen. Damit auch die Amateurfußballer sich öffnen.

Sie werden demnächst vielleicht viel aushalten müssen.

Rebel: Vielleicht. Aber sollen sie sich das Maul zerreißen — machen sie doch sowieso immer über den Rebel.

Am 19. Januar sind Vorstandswahlen bei Dergah, Sie kandidieren.

Rebel: Ja, das war ehr­lich gesagt das Einzige, was mich in diesem Zu­sammenhang zum Nach­denken brachte. Einige werden sich überlegen, ob das Gespräch dienlich ist für den Verein. Ich hoffe nicht, dass ich wegen meiner Sexualität viele Stimmen verlieren werde. Sie sehen: Man fängt schon an zu überle­gen.

Aber ist es nicht auch hilfreich, wenn Sie vor dieser Wahl offen darü­ber sprechen, was Sie bewegt?

Rebel: Doch, das ist es. Aber ich überlege mir auch, welche Gefühle ich vielleicht verletze, gerade im Islam. Wissen Sie, bei Dergahspor fühle ich mich sehr, sehr wohl und bin froh, wie offen ich dort aufgenommen wurde. Nirgendwo sonst war das bisher so nett.

Aufrufe: 019.1.2014, 12:00 Uhr
Fadi Keblawi / Christoph BeneschAutor