2024-04-25T14:35:39.956Z

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Bringt sich ein, geht auf die Leute zu:  Lamin Colley aus Gambia spielt Landesliga. | Foto: Grant Hubbs
Bringt sich ein, geht auf die Leute zu: Lamin Colley aus Gambia spielt Landesliga. | Foto: Grant Hubbs

Lamin Colley: Über Sizilien und Basel nach Lörrach

Lamin Colley vom FV Lörrach-Brombach hat eine lange Reise hinter sich +++ Der Flüchtling stabilisiert beim Landesligisten die Abwehr

Nach der Flüchtlingskrise 2015 und den Nachbar-Boateng-Diskussionen wirkt das geflügelte Wort vom integrativen Fußball überstrapaziert. Die Geschichte des Gambiers Lamin Colley vom FV Lörrach-Brombach zeigt aber, dass Sport tatsächlich Brücken bauen kann. Eine Partnerschaft, die beiden Seiten nützt. Aber auf Zeit.
Die Serie hält: Seit der Auftaktniederlage gegen den FC Emmendingen (0:1) hat die Mannschaft von Trainer Ralf Moser in der Fußball-Landesliga nicht mehr verloren. Zwei Gründe ermöglichen das Hoch: Die fünf in die erste Mannschaft beorderten Jugendspieler sind komplett eingeschlagen. Und: Mit nur fünf Gegentoren hat der Primus die beste Verteidigung der Liga. Wie in einem Brennglas bündeln sich die Erfolgsursachen in der Person des Gambiers Lamin Colley.

Der 19-Jährige ist seit zwei Jahren in Deutschland. Vergangene Saison kickte er in der Jugend des FVLB und drängte sich vehement auf. So vehement, dass der Verein vor der Saison bereits ersten Abwerbeversuchen zuvorkommen musste. In den ersten drei Partien saß der quirlige Mittelfeldspieler auf der Bank, seit seiner spektakulären Startelf-Premiere in Weil (3:0) aber spielte er immer von Beginn an und stabilisiert die Defensive.

„Seine Entwicklung ist großartig.“ Ralf Moser

Den vorläufigen Höhepunkt der Entwicklung markierten seine beiden Tore beim 2:0-Erfolg über den FC Zell am vergangenen Samstag. „Seine Entwicklung ist großartig“, sagt Trainer Ralf Moser. Colley sei läuferisch stark und habe „seine Qualitäten in der Defensive. Zuletzt aber haben wir ihn auch immer wieder auf den Halbpositionen vorne eingesetzt, weil er da viel mitbringt“. Auch Vizepräsident Bernd Schleith ist angetan: „Lamin ist ein feiner, intelligenter, junger Mann.“

Schleith gehört zum FVLB wie der Bollenhut zum Schwarzwald. Von 1988 bis ’92 war er selbst Trainer der ersten Mannschaft, scheiterte in der Relegation zur Landesliga nur knapp. Er hat das Konzept der Jobbörse beim FVLB mit aufgebaut. Es soll helfen, Jugendspieler an Unternehmen von Sponsoren zu vermitteln: Dadurch erhalten die Arbeitgeber engagierte Jugendliche und die jungen Fußballer die Chance, Fußball mit der Berufsausbildung zu verbinden.

Colley profitiert davon. In Schopfheim hat er an der Volkshochschule deutsch gelernt, er spricht fließend. Wenn er redet, sprudelt es nur so aus ihm heraus. Über Fußball und den FVLB sagt er: „Fußball macht mir immer Spaß. Wir haben eine tolle Mannschaft.“ Klar, wäre eine Profikarriere schön. „Ich weiß aber, dass das vor allem ein Traum ist.“ 2015 hat er in Lörrach den Hauptschulabschluss gemacht, jetzt absolviert er die einjährige Elektrofachschule, um im nächsten Herbst eine Ausbildung in Steinen zu beginnen. Die Geschichte scheint perfekt. Zu schön, um wahr zu sein?

Schön ist besonders ihr Beginn nicht. Colleys Erzählung stockt, wenn er vom Frühjahr 2014 berichtet. Die Worte sprudeln weniger flüssig. Kurz nach dem Tod seines Vaters machte er sich auf nach Europa. „Es war nicht mehr sicher in Gambia“, sagt Colley. Gambia liegt an der Westküste, wird vom Senegal geographisch eingeschlossen und hat etwa die Größe Hessens. Es ist das kleinste Land Afrikas. Laut UN leben 60 Prozent der 1,9 Millionen Menschen dort in Armut. Gambia hat das prozentual höchste Flüchtlingsaufkommen Afrikas. Menschenrechtsorganisationen prangern Hass auf Homosexuelle, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und willkürliche Verhaftungen an. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zählte 2012 244 Flüchtlinge aus Gambia. Im vergangenen Jahr waren es 12 000. 2014 war Colley unter ihnen. Was aus seiner Mutter wurde, die er überstürzt verlassen musste, weiß er nicht. Ein Schlauchboot brachte ihn und „mindestens 100 andere“ nach Sizilien. Von dort gelangte er mit Bus und Bahn an den badischen Bahnhof in Basel.

Mittlerweile wohnt er in Atzenbach im Rahmen eines betreuten Wohnprogramms in einer Wohngemeinschaft mit drei weiteren Geflohenen. Im Sommer 2015 kam er über zwei E-Mails zum FVLB und wurde zum Leistungsträger – obwohl er in seiner Heimatstadt Farafenni nie geregelt gekickt hat. „Ich habe nur auf der Straße gespielt“, sagt Colley. Der Verein ist für ihn ein gutes Mittel zur Integration. „Viele kenne ich aus der Jugend. Mit denen verstehe ich mich besonders gut.“ Schleith lobt Colleys Engagement: „Er bringt sich ein, ist interessiert und geht auf die Leute zu.“

Doch er lebt im Ungewissen. Die Chancen auf politisches Asyl in Deutschland stehen schlecht: Von den 2014 eingereisten Gambiern durften lediglich zwei Prozent bleiben. Solange er zur Schule geht und einen Ausbildungsplatz hat, kann er recht sicher sein, bleiben zu können. Was danach kommt, ist aber ungewiss. Vorerst macht er weiter: Morgens Schule, mittags kochen, den Haushalt und Hausaufgaben machen, abends Training. „Ich will dem Team helfen“, sagt Colley. Der Spitzenreiter hat sich an Colleys fußballerische Künste gewöhnt. „Er ist unglaublich gereift“, sagt Schleith. Colley fühlt sich wohl in seiner neuen Heimat. Die Partnerschaft ist eine Erfolgsgeschichte. Allerdings wohl auf Zeit.
Aufrufe: 020.10.2016, 20:07 Uhr
Jakob Schönhagen (BZ)Autor