2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview
Helmut Rahner 1997 als gefeierter Club-Verteidiger, 2013 mit Jörg Litz auf der Bucher Bank und 2007 im feinen Anzug als CSU-Politiker. F: Sippel
Helmut Rahner 1997 als gefeierter Club-Verteidiger, 2013 mit Jörg Litz auf der Bucher Bank und 2007 im feinen Anzug als CSU-Politiker. F: Sippel

Helmut Rahner: Der Obama vom Knoblauchsland

"Wir wollen eine Show liefern"

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Helmut Rahner und sein Co-Trainer Jörg Litz sitzen zum Interviewtermin in einem Biergarten in Buch, der Himmel sieht ein bisschen nach Regen aus. Ein stattlicher Mann steht an ihrem Tisch, stellt zwei Schnäpse hin und klopft ihnen freundschaftlich auf die Schulter. „Das hier“, sagt Rahner (42) und begrüßt freundlich, „ist der wichtigste Stammtisch des Knoblauchslands“.

Der Ex-Profi spielte für den 1. FC Nürnberg und Bayer Uerdingen in der Bundesliga, in Italien und Schottland. 25 Jahre lang war der Franke Teil des Profifußballs, zuletzt acht Jahre als Co-Trainer im Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg. Jetzt hat er die Bremse reingehauen, Fußball soll erst einmal nur noch Hobby sein. Deshalb ist er jetzt Cheftrainer beim Landesligisten TSV Buch, der Nummer zwei in Nürnberg. Ein Gespräch über Passübungen beim FC Barcelona, Lachanfälle von Ulf Kirsten und die blaue Revolution. Und zum Abschied schenkt Rahner dem Journalisten noch eine Autogrammkarte.

Helmut Rahner: Eines muss ich vorneweg schon einmal fragen: Was verschafft uns eigentlich die Ehre, dass ihr über den TSV Buch ein Interview machen wollt?

Na ja, immerhin ist der TSV Buch Tabellenführer in der Landesliga. Und er hat mit Helmut Rahner einen prominenten Trainer.

Rahner: Ach so. Das ist ja toll.

Rahner und Litz prosten sich zu, trinken ihren Schnaps.

Ich sehe, es gefällt Ihnen im Knoblauchsland.

Rahner: Das ist super, legendär. Da muss ich mich jetzt ein wenig umstellen, als Profi musste man natürlich anders leben.

Warum überhaupt der Schritt zurück in den Amateurfußball?

Rahner: Ich hatte drei Jahre Vertrag beim Club, den hat man gemeint kündigen zu müssen, am letzten Tag, an meinem Geburtstag. Ich war ohne Job, habe dann ein Jahr Scouting für Sturm Graz gemacht, das war aber nicht so mein Fall, ich wollte wieder Trainer machen. Dann habe ich irgendwann mit dem TSV Buch gesprochen, da hatte ich gleich das Gefühl, das es passt. Ich kann zudem mit dem Fahrrad ins Training fahren und muss nicht wieder umziehen, wie ich das jahrelang machen musste.

Aber Fußball ist zum ersten Mal seit Jahrzehnten nur noch ein Nebenjob.

Rahner: Ja, das wollte ich auch mal ausprobieren. Jetzt bin ich hauptberuflich Projektleiter in der Autoindustrie und Fußball ist mein Nebenjob.

Ein großer Einschnitt im Leben von Helmut Rahner.

Rahner: Ja, das ist es. Es ist ein wenig wie damals, mit 18. Ich probier’ da jetzt mal etwas aus, mit allen Vor- und Nachteilen.

Haben Sie es auch schon mal von der Arbeit nicht rechtzeitig ins Training geschafft?

Rahner: Das kommt auch vor, ja. Dafür hab ich ja jetzt den Jörg Litz, den ich dann anrufe und sag’, mach’ mal das und das, bis ich da bin.

Fällt Ihnen das schwer, dass sich nicht mehr alles um Fußball dreht?

Rahner: Ja, das muss ich jetzt eben mal so ausprobieren. Es kann aber ja auch sein, dass ich irgendwann schon wieder zurück ins Profigeschäft gehe. Man sieht ja oft genug, dass das hin und wieder sehr schnell geht.

Politik wäre nicht noch mal was?

Rahner: Ja, das hab’ ich ja auchmal gemacht: die blaue Revolution, hab ich das genannt. Immerhin gab es 36 Prozent für mich und die CSU. Das war schon witzig.

„Obama vom Walberla“ hat man sie genannt, als Sie in Ihrer Heimatgemeinde Weingarts als Bürgermeister bei der Wahl antraten...

Rahner: Ich brauche immer mal wieder solche Herausforderungen, sonst wird das Leben doch langweilig.

Litz: (lacht) Das wissen wir ja alles noch gar nicht über dich.

Rahner: Das war so: Keiner wollte kandidieren gegen den amtierenden Bürgermeister, dann habe ich gesagt, es kann doch nicht sein, dass da keine Wahl stattfindet. Also hab’ ich kandidiert, im Sakko, da bin ich heute noch stolz drauf, mich da reingehauen zu haben. Drei Monate Wahlkampf...

Es hat aber nicht ganz gereicht.

Rahner: Wenn du in einem konservativen, christlichen 600-Seelen-Dorf als Fußballer antrittst, wird es schwer. Ich bin nicht verheiratet, hab’ keinen Hof, geh’ nicht in die Kirche, weil ich Sonntagfrüh trainiert habe – dann hast du auf dem Land keine Chance. In der Stadt hätte ich sechzig Prozent gemacht.

Wäre Bürgermeister wieder eine Option?

Rahner: Prinzipiell interessiert mich das immer, noch bin ich in Nürnberg aber nicht angesprochen worden.

Zurück zum TSV Buch; Sie sind jetzt ein paar Monate dort, gibt es einen, der es beim TSV noch schaffen könnte zum Profi?

Rahner: Es gibt einige, die eine gute Statur mitbringen: 1,90 Meter groß, schnell. Wenn die Jungs mit 15 oder 16 anders trainiert hätten, auch mal woanders als auf diesem Sandplatz, hätten sie es vielleicht geschafft. Aber da gehört natürlich auch Glück dazu.

Das sie damals hatten, bei der DJK Weingarts in der Fränkischen Schweiz.

Rahner: Ja, bei mir hat irgendwann jemand den Fritz Popp angerufen: Du, da ist einer, Linksfuß, 130 Tore, schau’ dir den mal an. Dann kam ich zum Club, nach Uerdingen. In den Neunzigern war das anders, da gab es keine Nachwuchsleistungszentren. Auch der Lebenswandel der Profis: Da hat man schon auch mal eins getrunken und nicht so auf Ernährungspläne geguckt wie heute. Und damit sind wir wieder beim TSV Buch; hier ziehen wir jetzt so eine Art Retroversion der 90er Jahre auf.

Herr Litz, Ihre Aufgabe war es auch, Helmut Rahner den TSV Buch näherzubringen. Wenn man das so hört, mit dem Lebenswandel, war eine lange Eingewöhnungszeit überhaupt nötig?

Jörg Litz: Eigentlich nicht, der Helmut hat sich schnell zurechtgefunden. Aber es ist ja nicht so, dass wir uns vor jedem Spiel besaufen, im Gegenteil, da geht dann keiner lange weg.

Hatte wirklich niemand Angst, dass unter einem Ex-Profi der Geist Buchs, der sich ja auch über die gemeinsamen Feste und Feierlichkeiten definiert, zerstört werden könnte?

Litz: Nein, im Gegenteil. Jeder ist schon jetzt völlig perplex, was der Helmut aus uns, aus jedem einzelnen, herausgeholt hat in der kurzen Zeit. Und: Er ist vor allem authentisch, das ist das Wichtigste. Ich persönlich bin außerdem froh, dass er mich als Co-Trainer wollte und ich so nicht mehr den Spielleiter machen muss, mit Fahrten zu Tagungen nach Neudrosselfeld...

Rahner: Du bist halt Fußballer. Der Co-Trainer ist für mich nicht nur Bindeglied, sondern auch eine Art großer Bruder der Spieler.

Litz: Wie gesagt, es macht die Sache einfach, dass Helmut authentisch ist.

Rahner: Naja, Menschenführung ist im Trainergeschäft das A und O. Ich muss vor allem schauen, dass ich mich auch mal etwas zurücknehme. Ich merk’ schon, wenn ich anfange mit meinen Geschichten von dem und dem, Ulf Kirsten, Hans Meyer und so, dann kriegen sie solche Augen...

Hat einer der alten Weggefährten Sie schon auf den TSV Buch angesprochen?

Rahner: Der Ulf Kirsten hat sich schlapp gelacht, dass ausgerechnet ich jetzt den Offensivfußball predige. Er hat gesagt, wenn wir so weiter machen, dann kommt er vorbei und macht mit meinen Jungs mal ein Stürmertraining zur Belohnung.

Hört sich so an, als wollten Sie hoch hinaus.

Rahner: Na ja, man darf die Jungs auch nicht überfordern. Mit Barcelona darf man nicht kommen, lieber mit einer Mischung aus den alten Tugenden und ein bisschen Jogi Löw, also dem Spielerischen.

Litz: Unter dem Landi (Ex-Trainer Roland Frey, d. Red.), das ist jetzt nicht böse gemeint, aber da gab es vor allem: Kämpfen und dann den Ball hoch und weit nach vorne. Unterm Helmut versuchen wir jetzt viel mehr zu spielen, kurze Pässe, auch von hinten raus.

Rahner: Sechzig, siebzig Prozent Ballbesitz und der Abschluss innerhalb von zehn Sekunden. Ansonsten, wenn du nur spielst, kannst du nicht gewinnen.

Herr Rahner, beim Fußballmagazin Elf Freunde werden sie unter den härtesten Verteidigern der Geschichte auf Rang zehn geführt...

Rahner: Nein, Platz acht.

...oh, ok, Entschuldigung! Dann passt die Frage ja umso besser: Was, außer Treten, können Sie den Jungs überhaupt beibringen?

Rahner: Fußball ist erst einmal Einstellungs- und Willenssache, meistens gehen diese Attribute sogar über Talent – siehe Oli Kahn, Bernd Hollerbach, Helmut Rahner. Ich habe es dank Einstellung und Willen mit meinen begrenzten fußballerischen Mitteln so weit gebracht, dass ein Ulf Kirsten, ein Dariusz Wosz, ein Giovanne Elber gesagt haben, sie werden nie mit dem harten Rahner ein Bier trinken gehen. Ich sehe das als großes Kompliment, unter 15000 Profis ist von mir etwas hängengeblieben.

Die Bucher Jungs sollen also wie verrückt kämpfen und grätschen?

Rahner: Nein. Ich sag immer: der Trend ist my friend. Als Magath Doublesieger mit Medizinballtraining wurde, habe ich in der Club-A-Jugend das genauso durchgezogen. Jetzt ist mehr Klopp, Guardiola gefragt. In Buch machen wir also die gleichen Passübungen wie beim FC Barcelona.

Braucht man diesen Spielertyp des beinharten Verteidigers, wie Helmut Rahner einer war, überhaupt noch?

Rahner: Die Gattusos und van Bommels und Simons, das ist eine andere Verpackung, aber der Kerntyp ist gleich geblieben. Auch gibt es dieses Mann-gegen-Mann nicht mehr, das Kohler gegen van Basten, das Rahner gegen Kirsten. Heute ist alles ball- und raumorientiert. Du brauchst aber immer noch den Individualisten, die Teamplayer, einen Kreativen im Spielaufbau und hinten Jungs, die zweikampfstark sind und auch mal einem weh tun können.

Haben Sie im Training eigentlich schon mal eine Grätsche ausgepackt?

Rahner: Noch nicht, aber das kommt noch. Spätestens dann, wenn die Jungs mir wieder nicht zuhören.

Nach dem Spiel gegen Trogen haben Sie gesagt, Buch möchte der FC St. Pauli der Liga sein. Jetzt ist er nach vier Spielen, vier Siegen und 18:2 Toren eher der FC Bayern der Liga. Ist das gefährlich?

Rahner: Ja, das ist aber normal. Ich habe es gestern im Training gemerkt, die Jungs hören mir auf einmal nicht mehr zu, meinen, sie können auf einmal alles. Die werden uns jetzt alle schlagen wollen, das macht den Reiz aus. Wir werden uns da reinhauen.

Mit den alten Tugenden?

Rahner: Na ja, vor mir war ein Defensivstratege in Buch, ich möchte das anders machen, mehr in Richtung Attacke. Bislang ist das aufgegangen, in zehn Spielen sind schon 52 Tore gefallen. Das ist der Weg, unser Stil. Wir wollen interessanten Fußball bieten und vor allem weniger Rote Karten kassieren als zuletzt. Und ein bisschen Show wollen wir auch liefern.

Show?

Rahner: Wir wollen mal ein Spiel machen, für das wir fünf Tore garantieren. Wenn’s nicht klappt, gibt es das Eintrittsgeld zurück.

Litz lacht.

Rahner: So gut wird in der Liga eben nicht gespielt, dass die Zuschauer von alleine kommen. Buch soll zu einem Treffpunkt werden, so wie der SC Feucht das mal war. Es soll heißen: TSV Buch, da geh’ ich hin, da ist immer was los. Gute Kicker sollen sagen: Da wird zwar kein Geld gezahlt, aber da will ich dabei sein, da geht was ab.

Aufrufe: 012.8.2013, 09:00 Uhr
Christoph Benesch (NN)Autor