2024-05-08T11:10:30.900Z

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Rund ein Dutzend Zuschauer verfolgte den Prozessauftakt im Strafjustizzentrum in Augsburg. 	F.: Christian Lichtenstern
Rund ein Dutzend Zuschauer verfolgte den Prozessauftakt im Strafjustizzentrum in Augsburg. F.: Christian Lichtenstern

Das »System Aindling« steht vor Gericht

Schwarzgeld oder reguläre Aufwandsentschädigung? Ein aktueller und drei ehemalige TSV-Vorstände müssen sich verantworten +++ Die Ehrenamtlichen selbst haben ihren Verein gesponsert

Alle vier arbeiten seit Jahrzehnten an vorderster Stelle ehrenamtlich für den TSV Aindling. Gab’s da eine Aufwandsentschädigung, will Simone Hacker, Vorsitzende des Augsburger Schöffengerichts, beiläufig wissen. Der befragte Ex-Präsident lacht: „Ich habe Tausende Stunden investiert und nie einen Kilometer Fahrtgeld beim Verein abgerechnet.“ Im Gegenteil, die vier auf der Anklagebank im Augsburger Strafjustizzentrum haben „ihren“ TSV selbst gesponsert. Der ehemalige Finanzvorstand sogar mit sehr hohen Beträgen. Andere im Verein sind dagegen bezahlt worden – nicht fürs Ehrenamt, aber fürs Fußballspielen.

Für das Bezahlsystem des langjährigen Bayernligisten und großen sportlichen Aushängeschilds der Marktgemeinde am Lechrain müssen seit gestern der aktuelle Präsident, zwei seiner Vorgänger und der langjährige Finanzvorstand den Kopf vor dem Amtsgericht hinhalten. Das ergibt sich schon aus der Vereinssatzung: Die Präsidenten haben als Verantwortliche des Vereins die Steuererklärungen unterschrieben und sie waren als „Arbeitgeber“ der Spieler für die Zahlungen an die Sozialkassen zuständig. Dem Vorstand Finanzen sind seit 2003 alle Finanzgeschäfte übertragen worden. Für die Staatsanwaltschaft Augsburg steht fest, dass an Spieler über Jahre hinweg Schwarzgeld ausgezahlt worden ist. Wie viel, das lässt sich der Anklageschrift nicht entnehmen und ist laut Prozessbeteiligten unklar.

Der Finanzvorstand hat generell bestritten, dass es sich um Schwarzgeld handelte. Ja, es sei Bargeld an Fußballer geflossen – gegen Quittungen. Bar deshalb, weil einige Spieler immer klamm gewesen seien und es am „liebsten cash wollten“. Einsatz- und Punktprämien und Fahrtgeld, das seien alles Aufwandsentschädigungen gewesen, die nicht zu versteuern und auch nicht bei der Sozialversicherung anzugeben seien, so der Finanzvorstand, Steuerberater von Beruf. Der Fehler sei gewesen, dass diese Aufwandsentschädigungen von der zuständigen Fußballabteilung nicht sauber deklariert worden seien. Dann wäre alles in Ordnung gewesen.

Punktprämien als Aufwandsentschädigung? Die junge Richterin Hacker runzelte da gestern die Stirn. Auch der aktuelle Präsident, der Anfang 2011 dieses Bezahlsystem übernahm und selbst noch Bargeld anhand von Listen an die Spieler auszahlte, hatte offensichtlich Bedenken. „Das war ein großer Fehler, das ich das gemacht habe“, räumte er vor Gericht ein. Erst langsam habe er das System durchschaut und dann auch geändert: „Leider“ nicht schnell und konsequent genug. Der damalige Hauptsponsor habe ihn gebeten, die Auszahlungen persönlich zu übernehmen. Und die Auszahlungslisten habe ein Mitarbeiter dieses Sponsors erstellt, übrigens ein früherer Trainer des Bayernligisten.

Der frühere Finanzvorstand war 2003 von allen Seiten bearbeitet worden, das Amt zu übernehmen. Aus seiner Sicht ist in seiner Zuständigkeit vielleicht nicht alles perfekt gelaufen, aber er habe keine illegale Zahlungen zu verantworten. Das Grundgehalt wurde an die Spieler als geringfügig Beschäftigte (Minijob) ausgezahlt. Ab 2003 waren so reguläre Zahlungen mit geringen pauschalen Steuern und Sozialabgaben von bis 5400 Euro im Jahr möglich. Dazu kamen dann die diversen Prämien und Fahrtkostenvorauszahlungen, die bar ausgehändigt wurden. Diese „Aufwandsentschädigungen“ summierten sich laut Finanzvorstand im Schnitt auf 4500 Euro im Jahr. Es habe aber auch „einige Ausreißer nach oben gegeben“.

Ein zusätzliches „Zuckerl“ sind die steuer- und sozialversicherungsfreien Übungsleiterpauschalen (heute 2400 Euro), die Spielern überwiesen wurden. Völlig in Ordnung, wenn die Fußballer auch wirklich Übungsstunden abhalten und zum Beispiel eine Schülermannschaft trainieren. Doch das sei bei den bezahlten Spielern des TSV Aindling eher die Ausnahme gewesen, wie der aktuelle Präsident offen einräumte: „Ein paar haben das gemacht und einige nicht – es ist nicht kontrolliert worden.“
Das alles addiert sich zu Spielerverdiensten von rund 10.000 Euro und in einigen Fällen auch mehr auf. Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall klar: Das waren keine Geringverdiener, sondern reguläre Arbeitnehmer. Die Strafverfolger rechnen jedenfalls die Schadenssumme dieser Zahlungen für Fiskus (rund 500.000 Euro) und Kassen (1,6 Millionen Euro) auf insgesamt 2,1 Millionen hoch.

Die hohen Summen ergeben sich neben den eigentlichen Nachzahlungen durch Strafzinsen und Säumniszuschläge, die draufgeschlagen werden. Insbesondere die Forderungen der Sozialversicherungen schaukeln sich durch die langen Fälligkeiten extrem hoch. Die vier Funktionäre sind angeklagt wegen Steuerhinterziehung in insgesamt 145 Fällen und Sozialversicherungsbetrug in zusammen über 600 Fällen in einem Zeitraum von 2003 bis 2011. In Nebensätzen ist in der Verhandlung immer wieder zu hören, dass dieses System aus früheren Zeiten übernommen worden ist. Die Staatsanwaltschaft verfolgt aber nur Fälle seit der Neuordnung des Vorstands im März 2003 bis zur Razzia Ende November 2011. Die schlug nicht nur beim Aindlinger Verein, sondern in der weiten Amateur-Fußballszene große Wellen.

Bereits im November 2014 scheiterte ein von den Verteidigern beantragte Erörterungsgespräch vor Gericht, informierte Simone Hacker in der Sitzung. Die Staatsanwaltschaft lehnte den Vorschlag der Verteidiger auf Bewährungsstrafen für die Präsidenten und eine Einstellung des Verfahrens für den Finanzvorstand vor der mündlichen Verhandlung ab. Eine Einigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ist immer noch möglich, um den Prozess abzukürzen. Zunächst sind aber 15 weitere Verhandlungstermine angesetzt und 30 Zeugen geladen. Ob der angeklagte Finanzvorstand immer im Saal ist, blieb gestern offen. Er ist seit Jahren immer wieder schwer krank und muss auch demnächst in die Klinik. Nächster Termin ist am Montag, 25. Januar.

Steueraffäre: Funktionäre stehen vor Gericht

Aufrufe: 012.1.2016, 11:39 Uhr
Aichacher Nachrichten / Christian LichtensternAutor