2024-05-10T08:19:16.237Z

Interview

"Das ist eine komplett andere Art von Arbeit"

+++ Daniel Steuernagel spricht über seinen neuen Job als Sportlicher Leiter in Siegen und drückt seinem alten Verein Watzenborn-Steinberg die Daumen +++

GIESSEN. Rund zwei Monate sind seit seinem überraschenden Rücktritt als Trainer beim Südwest-Regionalligisten SC Teutonia Watzenborn-Steinberg vergangen, jetzt ist er zurück im Fußballgeschäft. Daniel Steuernagel hat bei den in der Regionalliga West beheimateten Sportfreunden Siegen einen zunächst bis zum Saisonende befristeten Vertrag als Sportlicher Leiter unterschrieben und in dieser Woche seinen Posten angetreten. Gut erholt nach seinem Urlaub auf der kapverdischen Insel Boa Vista sprach der 36-jährige Aßlarer mit dem Gießener Anzeiger ebenso über die neue Aufgabe und seine weiteren Zukunftspläne wie über die Zeit in Watzenborn und seine Sicht auf das Thema Professionalisierung im Regionalliga-Fußball.

Herr Steuernagel, wie haben Sie die Zeit seit ihrem Rücktritt in Watzenborn verbracht?

Daniel Steuernagel: Ich habe Dinge gemacht, die ich vorher nicht machen konnte. Ich habe mich mit Leuten getroffen, dich ich länger nicht gesehen hatte, denn für Freundschaften bleibt in einer solchen Funktion nur wenig Zeit übrig. Und ich habe mich um die Familie gekümmert, da ich ein sehr familiärer Mensch bin.

Ende August haben Sie erklärt, eine längere Pause einlegen zu wollen. Etwas provokant gefragt: Haben Sie es ohne den Fußball dann doch nicht mehr ausgehalten?

Steuernagel: Klar ist, dass Fußball meine Leidenschaft ist und ich ein – im positiven Sinn – Fußballverrückter bin, aber ich bin ohne Fußball kein unglücklicher Mensch. Ich war auch auf keinem Sportplatz und habe das Geschehen von der Bundesliga bis hin zum internationalen Fußball vorm Fernseher verfolgt. Dann kam die Anfrage von den Sportfreunden Siegen, einem absoluten Traditionsverein mit viel Potenzial. Es ging auch nie darum, dass ich dort Trainer werde. Wir haben uns ausgetauscht, waren uns sympathisch und haben letztlich zusammengefunden.

Man kennt Sie als leidenschaftlichen Trainer, der sein Team an der Seitenlinie lautstark pusht. Da überrascht es von außen betrachtet, dass Sie gewissermaßen in den Hintergrund rücken und bei den Sportfreunden als Sportlicher Leiter beginnen. Zumal sich die Situation als Tabellenvorletzter der Regionalliga West mit lediglich sieben Zählern auf der Haben-Seite prekär darstellt.

Steuernagel: Grundsätzlich hat es mich schon immer interessiert, Dinge konzeptionell voranzubringen. Zu meinen Aufgaben zählen die Kaderzusammenstellung und Vertragsverhandlungen ebenso wie die Entwicklung einer einheitlichen Spielphilosophie. Das übrigens nicht nur für das Regionalliga-Team, sondern auch für die Frauen und die Jugendmannschaften. Es geht zum Beispiel darum, Trainingsinhalte zu entwickeln, die bei allen gleich sind. Wenn dann ein U19-Spieler hochrückt, kennt er die Abläufe und kann sich besser zurechtfinden. Das sind Dinge, die ich auf den Weg bringen soll. Überdies fungierte ich als Bindeglied zwischen Trainer Thorsten Seibert, der Mannschaft und dem geschäftsführenden Vorstand.

Lassen sich diese Aufgabenfelder besser mit ihrem Beruf als Grundschullehrer verbinden als eine Trainertätigkeit?

Steuernagel: Ja, und das war für mich sehr wichtig. Ich mache das nicht alleine, sondern arbeitsteilig mit dem Vorstand Sport Andreas Krämer. Ein Supertyp, auch Lehrer, mit dem ich sofort auf einer Wellenlänge lag. Es ist eine komplett andere Art von Arbeit, da ich zeitlich deutlich flexibler bin. Das kann man gar nicht miteinander vergleichen. Viele Dinge lassen sich vom Telefon aus regeln. Ich habe nicht mehr diese Belastung mit den Präsenzzeiten und muss nicht fünf Tage in der Woche auf dem Platz stehen.

Es halten sich hartnäckig Spekulationen, dass Sie in Watzenborn nicht nur deshalb aufgehört haben, weil Sie den Trainerjob zeitlich nicht mehr mit ihrer Vollzeitstelle als Grundschullehrer vereinbaren konnten. Da ist die Rede von unterschiedlichen Meinungen zwischen Ihnen und der Clubführung bezüglich Spielerverpflichtungen und der grundsätzlichen Ausrichtung des Vereins. Sie betonten beispielsweise, man müsse das Abenteuer Regionalliga mit etwas Demut angehen. Was sagen Sie zu diesen Gerüchten?

Steuernagel: Der Grund für meinen Rückzug lag einzig in der zeitlichen Komponente. Die zwei Jahre zuvor hatten zudem viel Kraft gekostet, meine Akkus waren einfach nicht voll. Ich habe trotzdem gedacht, dass ich es durchziehe, musste mir dann aber eingestehen, dass ich zeitlich an Grenzen stoße. Zu den Gerüchten: Es ist doch völlig normal, dass es unterschiedliche Meinungen gibt. Pep Guardiola wollte Mario Götze damals auch nicht verpflichten und er kam trotzdem. Mit „demütig“ meinte ich den Umstellungsprozess auf die neue Liga vor allem für die Spieler, die vorher nie öfter als dreimal trainiert hatten. Trotzdem wollte ich jedes Spiel gewinnen. Ich hasse es, zu verlieren – auch jedes Trainingsspiel. Aber für mich waren diese Aspekte kein Grund, um aufzuhören. Schließlich habe ich jahrelang sehr zielgerichtet darauf hingearbeitet, auf diesem Niveau trainieren zu können.

Die Fußballehrerlizenz, die Sie benötigen würden für ein Engagement ab der 3. Liga aufwärts, war ebenfalls ein Thema. Oder haben sich diese Pläne mit Ihrer Tätigkeit als Sportlicher Leiter in Siegen erledigt?

Steuernagel: Nein, ich habe schon noch im Auge, irgendwann wieder ab der Regionalliga aufwärts zu trainieren. Und ich möchte diesen Schein auf jeden Fall machen, denn er erlaubt, in allen Klassen zu trainieren. Dann wird man sehen, ob sich Türen öffnen. Ich möchte einfach die Chance haben, darüber nachzudenken, wenn es Angebote geben sollte.

Ihr Nachfolger in Watzenborn, Francisco Copado, treibt gemeinsam mit den Verantwortlichen um Geschäftsführer Jörg Fischer die Professionalisierung der Mannschaft voran. Zwei Einheiten am Tag, Training am Vormittag und frühen Nachmittag – Parallelen zum TSV Steinbach in Richtung Vollprofitum sind unverkennbar. Wie stellt sich die Situation in Siegen dar und ist die Regionalliga aus Ihrer Sicht nur unter den genannten Voraussetzungen zu stemmen?

Steuernagel: Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten, jeder Verein muss das für sich entscheiden. Ich denke, wenn ein Verein die finanziellen Mittel hat und in den vorderen Bereich der Regionalliga will, dann muss er auf das Profitum hinarbeiten. Wenn Profibedingungen bei der Konkurrenz usus sind, ist das schlichtweg der nächste Schritt. In Steinbach sieht man, dass sich die Umstellung sportlich positiv auswirkt. Bei Watzenborn ist das für die Spieler aus der Region natürlich schade, weil sie ja den Erfolg mit den beiden Aufstiegen gebracht haben. Aus Sicht des Clubs ist die Entscheidung jedoch nachvollziehbar, da er sich weiterentwickeln will. In Siegen ist die finanzielle Situation nicht gegeben, dass wir auf das Profitum umstellen können. Dort spielen Studenten, Berufstätige und Auszubildende, aber weniger Profis als in Watzenborn. In Siegen wird der Weg gegangen, der in Watzenborn zu Beginn der Runde gegangen worden ist.

Wie sehr verfolgen Sie noch die Entwicklung bei den Teutonen und wie beurteilen Sie die Aussichten auf den Klassenerhalt?

Steuernagel: Beide Seiten haben sich viel zu verdanken, deswegen verfolge ich die Entwicklung gespannt. Samstags sieht es bei mir immer so aus, dass ich mir die Ergebnisse bis runter in die Kreisoberliga anschaue. Logischerweise schaue ich auch nach Watzenborn, aber es ist nicht so, dass ich jeden Bericht lese. Ich wünsche mir natürlich, dass es erfolgreich weiter geht und halte die Chancen auf den Klassenerhalt für gut. Ich würde mich freuen, wenn der Verein weiter ein gutes Produkt in Mittelhessen anbieten könnte und die Leute die Möglichkeit hätten, sich Profifußball anzuschauen. Ich drücke auf jeden Fall die Daumen.

Christopher Schadeberg, ein Spieler, auf den Sie große Stücke halten, ist bei der Teutonia auf das Abstellgleis geraten. Zudem hat er bereits eine Siegener Vergangenheit. Könnte es sein, dass Sie ihn anrufen, um mit ihm über eine Rückkehr zu den Sportfreunden im Winter zu sprechen?

Steuernagel: Ich habe von Chris eine sehr hohe Meinung, aber es ist zu früh, um da eine Prognose abzugeben. Ich muss mir erst einmal einen Überblick über den Kader in Siegen verschaffen und schauen, ob und auf welchen Positionen wir Bedarf haben. Wenn dann auf seiner Position Bedarf ist, könnte Chris interessant werden. Aber in der Phase sind wir noch lange nicht. Am besten wäre natürlich für Chris, wie auch für Kian Golafra und Dennis Lemke, wenn sie in Watzenborn wieder Fuß fassen könnten. Ich wünsche es ihnen.

Wie realistisch sind die Chancen der Sportfreunde auf den Ligaverbleib?

Steuernagel: Es war klar, dass es eine schwierige Saison werden würde. Ein paar Punkte zu wenig haben wir schon auf dem Konto. Ein Abstieg wäre zwar bitter, aber manchmal bedeutet ein Schritt zurück auch zwei Schritte nach vorne. Allerdings ist das erst einmal kein Thema. Das Ziel ist kurzfristig der Klassenerhalt und mittelfristig, den Verein konzeptionell fit zu machen.

Aufrufe: 029.10.2016, 06:00 Uhr
Thomas Suer (Gießener Anzeiger)Autor