2024-04-25T14:35:39.956Z

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Beim Fußball liegt vieles im Argen.
Beim Fußball liegt vieles im Argen. – Foto: Nicole Seidl

„Von selbst wird sich die Fifa nicht entwickeln“

Beim Fußball-Talk von Rheinischer Post und dem Marketing Club Düsseldorf diskutieren prominente Vertreter der Branche,wie der Fußball der Zukunft aussehen kann – und darum, welche Hebel dafür umgelegt werden müssen.

Von der Kritik am Weltverband Fifa über den Vorwurf des Sportswashings bis zur One-Love-Binde: Gesprächsstoff bietet diese WM genug. Für viele Fans ist das Turnier in Katar der ultimative Ausdruck dafür, dass der Fußball nur noch ein Business ist, eine Gelddruckmaschine, mit der sich einige wenige bereichern und die den Fußball mehr und mehr von den Menschen entfernt, die ihn lieben.

Nun stellt sich natürlich die Frage, welche Hebel umgelegt werden können, ja müssen, um diesem Trend entgegenzusteuern. Wie kann das System Fifa verändert werden? Und welche Akteure können oder müssen sogar dafür eingreifen? Um diese und viele weitere Themen ging es bei der Talkrunde „Fußballbusiness, quo vadis?“, die die Rheinische Post in Partnerschaft mit dem Marketing Club Düsseldorf veranstaltete.

Stefan Klüttermann, Leiter der RP-Sportredaktion, diskutierte dabei mit prominenten Vertretern der Profi-Branche, darunter Alexander Jobst, Vorstandsvorsitzender von Fortuna Düsseldorf, Jonas Boldt, Sportvorstand beim Hamburger SV und Andreas Rettig, früherer Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und Manager diverser Profiklubs.

Dass die WM in Katar ein Paradebeispiel dafür ist, dass in der Branche so einiges in die falsche Richtung läuft, darüber waren sich die Experten schnell einig. Rettig kann deshalb auch den Unmut der Fans nachvollziehen. „Katar war der Tropfen, der das emotionale Fass zum Überlaufen gebracht hat, weil niemand versteht, warum eine Weltmeisterschaft dort stattfindet“, sagte der Funktionär.

Dabei geht es ihm nicht alleine darum, dass die WM für den Winter ausgelobt wurde, sondern auch um die Tatsache, dass Katar die schlechteste der fünf Bewerbungen abgegeben habe und trotzdem den Zuschlag erhielt. „Das ist auch der Grund, warum die Einschaltquoten bei dieser WM da sind, wo sie sind und warum die Leute nicht mehr mitmachen“, so Rettig, der schon vor längerer Zeit die Entscheidung getroffen habe, diese WM nicht zu verfolgen. „Aber nicht um mit dem moralischen Zeigefinger da zu stehen, sondern wegen der harten Währung im Fußball-Business, den Einschaltquoten und den Sponsoren-Erlösen. Es geht nicht darum, Katar zu geißeln, sondern darum, die Latte so hoch zu legen, dass es auch den Fifa-Funktionären schwerfällt, noch mal so eine irrsinnige Entscheidung zu treffen“, sagte der frühere Geschäftsführer der DFL auf dem Podium.

Interessanterweise sitzt währenddessen ein ehemaliger Fifa-Funktionär neben Rettig in der Talkrunde. Fortuna-CEO Alexander Jobst leitete von 2007 bis 2011 als Head of Sales die Sponsoring- und Lizenzgeschäfte des Weltverbands. In diese Zeit fiel auch die Wahl der Austragungsländer 2018 und 2022 – Russland und Katar. Doch nun boykottiert auch Jobst die WM im Wüstenstaat und stellt sich selber die Frage, wie man Veränderungen im Fußball herbeiführen kann. „Es kann nur durch politische Einflüsse passieren, denn von selbst wird sich das System Fifa nicht entwickeln“, behauptete Jobst.

Hausgemachte Krise beim DFB

Dem stimmte auch Rettig zu, der auch nicht davon ausgeht, dass der DFB in naher Zukunft große Veränderungen im Weltfußball anstoßen kann und wird. „Das Problem ist, dass sich der DFB in den vergangenen Jahren zu sehr mit sich selbst beschäftigt hat. Er konnte gar keine Allianzen schließen, weil dort alle naselang die Präsidenten gewechselt wurden. Wir hatten hier in Deutschland keine Kontinuität, keine Verlässlichkeit und keine richtigen Persönlichkeiten, die den Laden geführt haben“, sagt der 59-Jährige.

Dieser Kritik schloss sich auch Jonas Boldt an. Auch er bemängelte fehlende Führungsqualitäten auf der DFB-Ebene – und prangerte darüber hinaus auch die deutschen Nationalspieler aufgrund ihres Rückziehers bei der One-Love-Binde an. „Es ist einfach zu sagen: ‚Wir machen jetzt die Binde‘. Und dann knicken wir bei sowas ein. Das verstehe ich nicht“, sagt der HSV-Boss. Ein weiterer Grund, weshalb sich immer weniger Fans für die Nationalmannschaft interessieren, liege aus seiner Sicht aber auch an den Leistungen des DFB-Teams auf dem Platz. „Du hast eigentlich ein gutes Spiel gemacht gegen Spanien, aber irgendwie hast du auch das Gefühl gehabt – jedenfalls ging es mir so – das keiner sich mit Leib und Seele zerreißt. Und das ist auch ein Grund, warum viele den Fernseher auslassen“.

Doch welche Hebel könnte man nun konkret umlegen, um den Sport wieder attraktiver zu machen? Für Sportmoderator Ulli Potofski, der ebenfalls an der Talkrunde teilnahm, ist es zunächst einmal wichtig, dass der Amateurbereich noch mehr ins Zentrum des Fußballs rücken sollte. „Die kleinen Vereine in Deutschland sind letztendlich wichtiger, als die 36 Profi-Vereine. Warum? Weil da Millionen von Menschen Sport machen und es dort Hundertausende von Kindern aus allen möglichen Nationen gibt. Das ist das Herz und die Seele des Fußballs“, so Potofski.

Um die junge Generation wieder mehr für den Fußball zu begeistern, müsste es aber auch Änderungen im TV geben, sagte Thomas de Buhr, ehemaliger Deutschland-Chef des Streamingdienstes Dazn. Denn die Jugendlichen, die mit Smartphones und Sozialen Medien aufwachsen, wollen ein Sportereignis nicht mehr bloß 90 Minuten passiv konsumieren. „Es geht um kurze Formate, Angebote mit niedriger Aufmerksamkeitsspanne und um die ständige Verfügbarkeit“, so de Buhr.

Boldt würde sich dahingehend eine Regeländerung wünschen. „Fußball ist ja eine defensive Sportart. Es gibt keine andere Ball-Sportart, wo man erfolgreich sein kann, indem man das Spiel verhindert. Und das gelingt Mannschaften immer mehr, wodurch der Fußball unattraktiver wird.“ Die Nettospielzeit könnte aus seiner Sicht deshalb eine Lösung sein, um das Spiel wieder attraktiver zu machen.

Fortuna-Chef Jobst fordert wiederum eine größere Transparenz von allen Vereinen. „Welches Geld geht in die Infrastruktur? Welches Geld geht in die Jugend? Was geht in den Frauen-Fußball? Das muss in der Mittelverwendung zukünftig relativ klar sein und schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit.“

Andreas Rettig würde sich freuen, wenn sich erst einmal das Image der Bundesliga verändert. „Ich habe nie verstanden, warum wir immer der Premier League hinterherhecheln. Wir müssen den eigenen deutschen Weg gehen. Warum nicht die nachhaltigste, sozialste und bodenständigste Liga ausrufen“, gibt er am Ende zu Bedenken.

Aufrufe: 01.12.2022, 16:00 Uhr
RP / Nick DeutzAutor