2024-05-29T12:18:09.228Z

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– Foto: Holsten

Sittensen wirbt Fußball-Talente in der Region ab - Sorge um A/O/B/H/H

Harsche Kritik schlägt der Jugendfußball-Abteilung des VfL Sittensen für ihre Art der Talentwerbung in der Region entgegen. Das sagen Jugendtrainer aus dem Kreis Rotenburg - sie sorgen sich jetzt auch um den Jugendförderverein A/O/B/H/H.

Die Sorge im Fußballkreis ist bei vielen Vereinen groß. „Unser Jugendfußball geht so kaputt“, sagte ein Trainer aus dem Südkreis der „Zevener Zeitung“. Der Fußball-Leher möchte - wie einige andere Befragte - nicht namentlich genannt werden. Über „aggressive Abwerbeversuche“ wird geklagt und ein Verein steht in der Kritik: der VfL Sittensen.

Es sind sehr drastische Kommentare, die zu hören sind. „Wenn die so weitermachen, machen die nicht nur den Nachwuchsfußball in der Börde Sittensen, sondern auch den Jugendfußball in den Vereinen in einem Umkreis von 25, 30 Kilometern kaputt“, so ein langjähriger Jugendbetreuer eines Nachbarvereins.

Spieler per Mail zur Sichtung eingeladen

Überall hört man dieselben Geschichten und Sorgen: Von Rundmails ist zum Beispiel die Rede, die an Eltern talentierter Spieler im ganzen Kreisgebiet verschickt werden - mit Einladungen zum Sichtungstraining.

„Die sprechen so viele Kinder und ihre Eltern an. Was soll das alles? Gegen wen wollen die denn überhaupt noch ernsthaft spielen? Die machen damit auf Dauer die ganzen Vereine, die gute Jugendarbeit betreiben, kaputt“, so Frerk Lühmann, Jugendtrainer beim MTSV Selsingen, der auch als Vater schon Erfahrungen mit dem VfL Sittensen gesammelt hat.

Ähnlich äußert sich auch der Jugendobmann der JSG Oste, Torsten Gerken, „Ich finde nicht in Ordnung, was da abläuft. Die kleinen Vereine bleiben auf der Strecke.“

Fabian Tietjen, Fußballobmann in Gnarrenburg, hat eine ähnliche Sichtweise: „Ich halte in solchen Fällen gar nichts von solchen Abwerbeversuchen. Es schadet uns als kleine Vereine, wenn Spieler in dem Alter in der Masse abgeworben werden. Es ist sowieso schon schwer, genügend Spieler für eine Mannschaft zusammen zu bekommen.“

Sichtungstraining für Jahrgänge 2009 bis 2014 sorgt für Empörung

Vor kurzem fand in Sittensen ein Sichtungstraining für die Jahrgänge 2009 bis 2014 statt, das schon im Vorfeld für Aufregung und Ärger bei anderen Vereinen sorgte.

Die Kritik ist groß, auch wegen des Alters der jüngsten Spieler. „Da werden tatsächlich schon F-Jugendspieler gescoutet. Wollen wir wirklich solch einen Jugendfußball haben?“, so ein Trainer aus dem Südkreis.

Und ein anderer Jugendtrainer aus dem Rotenburger Raum fügt hinzu: „Wie lernen vor allem die jüngsten Spieler Fußball? Sie lernen voneinander. Wenn ich nun einer Mannschaft die besten drei Spieler nehme, können sich auch die anderen nicht weiterentwickeln. Das zerstört unseren Sport in der Breite.“

Die Kritik geht noch weiter: „Natürlich fühlen sich Eltern und Kinder gebauchpinselt, wenn sie zu so einem Sichtungstraining eingeladen werden. Aber den Leuten muss klar gemacht werden, auch in den anderen Vereinen wird gute Arbeit geleistet“, so Torsten Lüdemann, der Jugendleiter von Rot-Weiß Scheeßel. „Gut, Sittensen hat eine tolle Anlage, und das zieht natürlich. Für die Entwicklung - nicht nur die sportliche - eines Kindes ist es aber wirklich besser, wenn es in den ersten Jahren bei seinem Heimatverein bleibt. Das wird mittlerweile zum Glück auch in den meisten Nachwuchsleistungszentren so gesehen.“

Lange Fahrzeiten bedeuten hohen Aufwand für Eltern und Kinder

Nicht nur Thorsten Katt verweist auf die zum Teil langen Fahrtzeiten für die Kinder zum Training nach Sittensen. „Für uns zum Beispiel liegt Sittensen auch nicht gerade um die Ecke. Ist es wirklich zielführend, einen 11/12-Jährigen aus seinem Heimatverein zu ziehen, für mindestens dreimal die Woche von Gnarrenburg nach Sittensen - die einfache Strecke jeweils 45 Minuten? Wirklich überdurchschnittliche Spieler sollen ihren Weg gehen, eindeutig. Das werden wir immer fördern. Der Zeitpunkt die Spieler bereits in der U11 - früher E-Jugend - anzusprechen, ist allerdings deutlich zu früh und wird immer früher, da sind andere Vereine auf dem merklich falschen Weg“, so der Karlshöfener Jugendobmann.

Alle befragten Jugendtrainer betonen: Besondere Talente sollten besonders gefördert werden. „Wenn unsere Jungs gut genug sind, sollten sie selbstverständlich zu Vereinen gehen, in denen sie besser gefördert werden können“, so der frühere Tarmstedter Jugendobmann Joachim Kahrs, der 2022 mit dem DFB-Ehrenamtspreis ausgezeichnet wurde.

Vereinzelt sind in den letzten Jahren Talente aus Tarmstedt auch nach Sittensen gewechselt. „Das ist doch völlig in Ordnung. Der VfL ist doch mit dem FC St. Pauli verbunden. Da können sie besser gefördert werden“, meint Kahrs.

Verein kritisiert „dreistes“ Verhalten der Sittenser

In Selsingen sieht man das anders. Vom MTSV wurden zum letzten Sichtungstraining des VfL gleich acht Talente von der U11 bis zur U14 eingeladen - per Mail an den Gesamtverein. „Als wir das Schreiben bekamen, waren wir schon irritiert“, so Carsten Müller, Jugendobmann des MTSV.

„Wir wurden im Begleitschreiben gebeten, diese Einladungen an die Eltern weiterzuleiten, und haben das dann im Verein kontrovers diskutiert“, so Müller, der selbst eine klare Haltung hat. „Ehrlich gesagt, ich habe mich gefragt: Warum sollten wir das tun? Ich fand das Verhalten des VfL schon grenzwertig, ja dreist. Und sportlich macht das auch keinen Sinn.“ Selsingen hat das Glück, in diesen Altersklassen starke Jahrgänge zu haben. Noch ist kein Talent nach Sittensen gegangen.

Es werden ganze Gruppen aus einer Region nach Sittensen gelockt

Der Vergleich mit dem „alten“ Jugendförderverein Ahlerstedt/Ottendorf/Heeslingen wird von mehreren der Befragten gezogen. „Was Sittensen da macht, das sind alte A/O/H-Methoden“, so eine bestens vernetzte Jugendtrainerin. „Die machen dasselbe wie der JFV vor einigen Jahren. Da werden nicht gezielt einzelne Spieler angeworben, sondern da werden aus einem Verein oder einer Region mehrere Nachwuchsspieler nach Sittensen gelockt - auch um leichter Fahrgemeinschaften zu ermöglichen.“

Auch ein anderer Jugendtrainer erkennt Parallelen, reagiert aber deutlich gelassener: „Das ist doch eine alte Geschichte, die sich hier wiederholt. Früher hat man sich über A/O/H aufgeregt, und nun eben über Sittensen. Ich denke, die VfL-Verantwortlichen werden schnell aus ihren Fehlern lernen, und ich finde, die Jugendarbeit beim VfL hat eine hohe Qualität. Das sieht man einfach.“

Die Zahl der Jugendmannschaften hat insgesamt schon abgenommen

Der Unterschied zu früheren Zeiten ist: Es gibt bei weitem nicht mehr so viele Jugendteams und Nachwuchsspieler im Kreisgebiet. „Das ist seit Jahren eine bedenkliche Tendenz“, so ein Jugendobmann eines größeren Vereins. „Und der VfL wirkt mit seinem Verhalten wie ein Brandbeschleuniger. Wenn die zumindest in den unteren Altersklassen noch selbst ihre Spieler ausbilden würden. Aber das machen sie nicht richtig. Wo wollen die ihre ganzen Jugendspieler denn hernehmen?“

Die Nachwuchstalente, die in Sittensen spielen, kommen aus dem ganzen Kreisgebiet. Vor allem Stützpunktspieler sind dabei. Nur - so die Kritik - es würden junge Fußballer „auf der Strecke“ bleiben.

„Die holen sich ja nicht nur das Top-Talent einer Mannschaft, sondern manchmal sogar drei, vier Spieler. Die besten werden gebraucht, die anderen sitzen auf der Bank“,so ein Jugendtrainer aus einem Nachbarverein.

Talente aus dem Hamburger Umland verdrängen regionale Spieler

Im U14-Bereich kommen zudem Talente aus dem Hamburger Umland hinzu. „Die ersetzen dann auf Bezirksebene Spieler aus dem Kreis“, so die Beobachtung eines Spieler-Vaters. „Wo bleiben all die Spieler, die aussortiert werden? Die hören im schlechtesten Falle auf, gehen dem Fußball verloren. Ich weiß gar nicht, ob den Leuten im Gesamtverein klar ist, was da in der Jugendfußball-Abteilung gerade passiert?“

Mehrere Trainer machen noch auf ein weiteres Problem aufmerksam: Wie reagiert der Jugendförderverein A/O/B/H/H auf die neue Konkurrenz aus dem Kreis Rotenburg? „Ich hoffe nicht, dass sie darauf reagieren, indem sie sich genauso verhalten, befürchte es aber“, so ein Jugendtrainer aus der Bremervörder Region.

Frerk Lühmann äußert sich ähnlich: „Das wird ein Hauen und Stechen auf einem engen Raum geben, und alle anderen Vereine werden darunter leiden.“

Man kann es aber auch ganz anders sehen: „Konkurrenz belebt das Geschäft. Für die Entwicklung des Fußballs in unserer Region kann das nur gut sein“, so ein langjähriger Beobachter der Szene.

Bei der JSG Gnarrenburg droht bereits die Auflösung eines Teams

Nicht gut war diese „Entwicklung“ jedenfalls für die JSG Gnarrenburg. Die U12 der JSG wurde im vergangenen Jahr noch E-Jugend Kreismeister. Nun droht - aufgrund von Spieler-Abwerbungen - die Auflösung.

Im Sommer verließ ein Spieler Richtung Sittensen die JSG. Im Winter folgten kurz vor Ende der Wechselperiode drei weitere Talente, die sich dem Heeslinger SC anschlossen. Das hat gravierende Folgen für die Mannschaft: „Wir haben nun nur noch neun, zehn Jugendliche im Kader“, so Karlshöfens Jugendobmann Thorsten Katt. „Wir werden auf Dauer keine Mannschaft in diesem Jahrgang mehr stellen können. Ich befürchte, viele von den Jungs werden aufhören - und wir verlieren einen ganzen Jahrgang.“

Aufrufe: 024.4.2023, 17:00 Uhr
Zevener Zeitung | Andreas MeierAutor