2024-06-17T07:46:28.129Z

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Jan Olschowsky gehört zu den wenigen Eigengewächsen bei Borussia Mönchengladbach mit Spielminuten bei den Profis.
Jan Olschowsky gehört zu den wenigen Eigengewächsen bei Borussia Mönchengladbach mit Spielminuten bei den Profis. – Foto: Borussia Mönchengladbach

Liga-Vergleich verdeutlicht Nachwuchsprobleme

Borussias Jugendarbeit galt als vorbildlich, mittlerweile spielen eigene Talente nur noch selten eine Rolle. Wie es funktionieren kann, zeigen andere Klubs.

„So richtig realisiert habe ich es noch nicht, was das für ein Monat war“, sagte Jan Olschowsky. Als wären sein Bundesliga-Debüt in Bochum, der Sieg gegen den BVB und sein 21. Geburtstag im November nicht schon genug Grund zur Freude gewesen, wählten die Borussia-Fans den Torhüter zum „Spieler des Monats“ und krönten damit Olschowskys gelungenen Einstand. Zur Belohnung durfte Olschowsky sein Trikot in dieser Woche im Kabinentrakt des Borussia-Parks aufhängen, schließlich stammt er aus dem eigenen Nachwuchs und hat sein Profi-Debüt gegeben.

Olschowskys Geschichte mit zwei Startelf-Einsätzen in Folge hat Seltenheitswert bei Borussia, vor allem in der jüngeren Vergangenheit. Der „Kicker“ hat aufgeschlüsselt, wie viel Prozent der Pflichtspielminuten bei den Bundesliga-Klubs in dieser Saison Eigengewächsen zugeschrieben werden können. Die Auswertung dürfte vor allem Borussias sportlicher Leitung Sorgen bereiten, wenngleich das Ergebnis wenig überraschend ist. Im Liga-Vergleich belegt Borussia den zwölften Platz, Schlusslicht ist Union Berlin, wo in dieser Saison kein einziger Spieler aus dem eigenen Nachwuchs zum Einsatz kam.

Bei Borussia Mönchengladbach entfallen zwei Prozent der Spielzeit auf Eigengewächse. Wichtig ist hierbei die Definition des Begriffes – der „Kicker“ hat festgelegt, dass ein Spieler vor seinem 18. Geburtstag mindestens zwölf Monate bei dem Klub gespielt haben muss, um als Eigengewächs gezählt zu werden. Dadurch fallen Patrick Herrmann (aus dem Nachwuchs des 1. FC Saarbrücken) und Moritz Nicolas (Rot-Weiss Essen) raus. Beide kamen zwar in dieser Saison schon zum Einsatz, wechselten aber erst einige Monate nach ihrem 17. Geburtstag zu Borussia und haben sich ihre fußballerischen Grundlagen bei anderen Vereinen erarbeitet.

In den bisherigen 17 Pflichtspielen der Saison spielten in Jan Olschowsky, Tony Jantschke, Rocco Reitz und Yvandro Borges Sanches per Definition also vier Spieler für Gladbach, die relevant für die Statistik sind. 331 Einsatzminuten haben sie zusammen, der SC Freiburg ist als Spitzenreiter (7798 Minuten, 34,2 Prozent) weit entfernt und lässt auch den FSV Mainz 05 als Zweitplatzierten (4016 Minuten, 23,9 Prozent) mit großem Abstand hinter sich. Dass Freiburg unangefochten vorne steht, liegt unter anderem an Matthias Ginter, der auf 2059 Minuten kommt und in diesem Sommer von Gladbach zurück zu seinem Heimatklub gewechselt ist. Aber: Hinter Dauerbrenner Ginter und seinen Mannschaftskollegen Christian Günter (2049 Minuten) sowie Nicolas Höfler (1933) gesellen sich eine ganze Reihe an Talenten aus der Freiburger Fußballschule. Yannik Keitel (827 Minuten), Noah Weißhaupt (319), Kevin Schade (306), Noah Atubolo (210) und Robert Wagner (194) durften sich unter Freiburgs Trainer Christian Streich in der ersten Saisonhälfte immer wieder beweisen. Selbst Wagner hat mit der kürzesten Einsatzzeit immer noch länger gespielt als Olschowsky (180), der in Gladbach den größten Anteil hat. Bemerkenswert: Die Ansprüche und das Niveau sind in Freiburg mittlerweile gestiegen – und trotzdem schaffen sie es, Nachwuchsspielern Spielpraxis zu verschaffen.

Eigengewächse aus- und weiterzubilden, dafür war Borussia auch bis vor einigen Jahren bekannt. Unter Lucien Favre entfielen einst knapp ein Drittel aller möglichen Bundesliga-Minuten auf Eigengewächse (Anmerkung: Herrmann ist in dieser Statistik mit einberechnet), 2017/18 waren es schon nur noch 5,5 Prozent.

Nun ist das Nachwuchsproblem kein Borussia-spezifisches, andere Vereine in Deutschland haben ebenfalls Schwierigkeiten, Talente hervorzubringen. In Freiburg, Mainz, Werder Bremen, Borussia Dortmund und Bayern München gibt es in der Bundesliga aktuell nur fünf Klubs, bei denen im Schnitt immer mindestens ein Eigengewächs auf dem Platz steht.

Trotzdem muss Borussia sich die Frage stellen, ob wirklich alles dafür getan wird, jungen Talenten Einsätze zu ermöglichen. Konkret gefragt: Hätte ein Spieler wie Yvandro Borges Sanches (bislang 16 A-Länderspiele für Luxemburg) bei einem Klub wie Freiburg oder Mainz möglicherweise mehr Joker-Einsätze bekommen? Eine hypothetische, aber berechtigte Frage. Jordan Beyer kann ebenfalls als Beispiel herangezogen werden. Viele andere Klubs hätten einen deutschen U21-Nationalspieler aus dem eigenen Nachwuchs nach 17 Bundesliga-Einsätzen in der Vorsaison vermutlich nicht verliehen, sondern alles dafür getan, dass der endgültige Durchbruch im eigenen Stall erfolgt – den Beyer nun beim FC Burnley feiert.

Seit seinem Dienstantritt spricht Gladbachs Sportdirektor Roland Virkus oft von der „Borussia-DNA“ und dem „Borussia-Weg“, die beide explizit die Bedeutung des Nachwuchses hervorheben. Doch da ist lediglich die Integration externer Top-Talente lobenswert, die Manu Koné, Joe Scally und Luca Netz verkörpern. Sie haben in den vergangenen anderthalb Jahren zusammen 129 Pflichtspiele absolviert.

Aber: Eigene Talente sind immer seltener auf dem Trainingsplatz zu finden – und suchten zuletzt nach ein, zwei Spielzeiten in der U23 oft das Weite, um sich woanders durchzusetzen. Unter Marco Rose war es Usus, dass Spieler aus der U23 oder U19 im Profi-Training mitmischen durften. Die Corona-Pandemie erschwerte es zeitweise über Monate – aufgrund möglicher Ansteckungsketten – die Trainingsgruppe mit Nachwuchsspielern zu vergrößern, doch das ist mittlerweile kein Argument mehr. Unter Cheftrainer Daniel Farke durfte U23-Torjäger Semir Telalovic Anfang November in einer öffentlichen Einheit mitwirken, verschwand danach aber wieder von der Profi-Bildfläche.

Dass gute Leistungen in der Regionalliga nicht häufiger mit Trainingszeiten bei den Profis belohnt werden, dürften die U23-Akteure registrieren. Deren Coach Eugen Polanski war bis zum Sommer als Trainer für den Übergangsbereich unter anderem dafür zuständig, Spieler aus dem Jugendbereich im Training bei den Profis zu integrieren. Nach Polanskis Wechsel in die U23 ist die Stelle im Trainerstab bis heute nicht neu besetzt worden.

Stattdessen hat Polanski nun sein eigenes Team, in dem die meisten noch davon träumen, eines Tages für Borussia in der Bundesliga aufzulaufen. Doch aktuell deutet wenig darauf hin, dass es in Gladbach so schnell zur Nachwuchs-Wende kommt.

Aufrufe: 03.12.2022, 21:00 Uhr
RP / Hannah GobrechtAutor