2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Dennis Kutrieb musste sich nach seinem Wechsel nach England etwas umgewöhnen. Den Schritt würde er trotzdem jederzeit wieder so gehen.
Dennis Kutrieb musste sich nach seinem Wechsel nach England etwas umgewöhnen. Den Schritt würde er trotzdem jederzeit wieder so gehen. – Foto: Mehmet „Dedepress“ Dedeoglu

„Was ich gelernt und aufgesaugt habe, kann mir keiner mehr nehmen“

Dennis Kutrieb spricht über die ersten Monate seines England-Abenteuers. Warum es trotz Abstieg tabellarisch noch nicht läuft, woran er sich gewöhnen musste und wie er seine beiden ehemaligen TeBe-Schützlinge einschätzt.

Verlinkte Inhalte

Ein Interview von Marcel Peters - https://www.facebook.com/AmateurberichterstattungMarcelPeters/ - regelmäßig Berichte über Berliner und Brandenburger Amateurfußballer oder Vereine. Gesprächspartner: Dennis Kutrieb

Dennis, vor etwas mehr als sechs Monaten wurde die Meldung deines Wechsels zu Ebbsfleet United veröffentlicht. War, wenn du die Zeit Revue passieren lässt, der von dir prophezeite „logische“ auch der richtige Schritt?

Stand jetzt war es definitiv der richtige Schritt. Ich bin nach wie vor sehr beeindruckt mit welcher Professionalität unser Club und wie organisiert die National League arbeitet. Das wäre sehr schwer zu finden gewesen in Berlin und Umgebung!

Kurz nach deinem Wechsel gab es den ersten Rückschlag. Statt in der fünften, tritt die Mannschaft aufgrund der Quotienten-Abstiegsregelung in der sechsten Spielklasse an. Wie haben die Verantwortlichen, du und das Team dies auf- und angenommen?

Man hat mit mir während der Vertragsverhandlungen jederzeit offen kommuniziert, dass der eher unwahrscheinliche Fall eintreten kann.

Natürlich war niemand begeistert und es ist deutlich schwerer hoch ambitionierte Spieler in die Liga zu bekommen, aber wir haben hier schon eine Menge positives Feedback erhalten und wecken dadurch natürlich auch Interesse für talentierte oder ambitionierte Spieler.

Der Kader wurde fast komplett neu zusammengestellt, wir haben 19 neue Spieler und nur vier aus der letzten Saison.

Du wolltest mit der Mannschaft „erfolgreich sein“. Nach dem ersten halben Jahr hält sich dieser aber, nur tabellarisch betrachtet, in Grenzen. Mit welchen Schwierigkeiten hat man zu kämpfen?

Tabellarisch sind wir noch nicht da, wo wir sein wollen, allerdings haben wir auch erst zehn Spiele absolviert und müssen 19 neue Spieler schnellstmöglich integrieren. Wer die Tabelle sieht, wird erkennen, dass es vogelwild aussieht, da teilweise fünf Spiele Differenz zwischen einzelnen Mannschaften sind.

Das hängt mit der Corona Situation zusammen. Hier in England sind wir als Profisport deklariert und dürfen deswegen spielen und trainieren (ohne Zuschauer)!

Da einige Mannschaften, so wie wir, wegen Corona 14 Tage in Quarantäne mussten, sind dann eben mal drei Spiele ausgefallen. Da sind natürlich Schwierigkeiten vorprogrammiert, wenn man zwei, drei Wochen gar nicht spielt, dann aber vier Spiele in zehn Tagen absolvieren muss. Wir entwickeln uns prinzipiell in die richtige Richtung und arbeiten fleißig an unseren Fehlerquellen, um stabiler zu werden.

Können die Fans noch auf eine direkte Rückkehr in Liga 5 hoffen?

Zum aktuellen Zeitpunkt ist es nicht abschätzbar, ob wir zurückkehren werden. Es ist möglich, mit sehr viel harter und intensiver Arbeit. Die Chancen sind grundsätzlich auch größer, da hier am Ende der Saison Platz 1 direkt aufsteigt und Platz 2-7 Playoffs spielen. Die wollen wir natürlich, trotz 19 neuer Spieler, erreichen. Dazu muss am Ende alles passen und man benötigt auch in den entscheidenden Momenten das Quäntchen Glück.

Welche Unterschiede lassen sich zum Fußball in der NOFV Oberliga finden?

Es ist äußerst schwer einen Vergleich zu ziehen, da hier deutlich ambitionierter gearbeitet wird. Jeder Spieler hat eine deutlich höhere Grundfitness und meist auch Schnelligkeit.

Die Technik steht bei den gefragten Tugenden nicht im Vordergrund. Technisch gibt es sicher vereinzelt bessere Spieler in der Oberliga. Man versucht hier mit einer hohen Physis den Gegner über 90 min unter Druck zu setzen.

Woran musstest auch du dich vorerst neu gewöhnen?

Die Systeme sind grundsätzlich verschieden.

Es gibt von Liga 1-5 jeweils nur eine Liga und in Liga 6 sind es dann zwei Staffeln. Erst darunter geht es dann in die Breite.

In Deutschland geht es ja bekanntlich ab der 4. Liga komplett in die Breite mit der regionalen Aufteilung.

Gewöhnen musste ich mich vor allem an die Schiedsrichter, die hier bei weitem nicht so gut ausgebildet sind, wie in Deutschland. Mit etwas Abstand betrachtet, muss ich nun meinen Hut vor der Qualität der Schiedsrichter in Deutschland ziehen.

Hier bekommt man auch mal für ein harmloses Foul eine rote Karte oder glasklare Elfmeter werden übersehen. Das geht aber nicht in eine Richtung, dass jemand benachteiligt wird, sondern das zieht sich über die gesamte Liga. Die Schiedsrichter werden auch durchgängig von Trainern und Spielern beleidigt und es wird nicht sanktioniert. 90 Minuten wird auf den Schiedsrichter eingeredet und teilweise bewirkt das auch den gewünschten Effekt.

Da ich bekanntermaßen lernwillig bin, habe ich hier schnell dazu gelernt!

Mit dir sind zwei Schützlinge auf die Insel gekommen. Wie haben sie sich akklimatisiert und im Team zurechtgefunden?

Ich bin mit beiden bisher zufrieden. Sefa Kahraman ist unumstrittener Stammspieler und hat schon viel von den englischen Tugenden gelernt. Er ist noch sehr jung und entwicklungsfähig und wird noch viel stärker.

Alex Eirich hat knapp anderthalb Jahre kein Pflichtspiel bestritten. Bewundernswert, wie er sich zurückgekämpft hat. Er hat jetzt schon ein paar Minuten Einsatzzeit bekommen und braucht meines Erachtens noch ein, zwei Monate, bis er wieder da ist, wo er vor seiner Verletzung war. Natürlich ist er ungeduldig, aber er weiß, dass er mir vertrauen kann und wird es mit Leistung in den kommenden Monaten zurückgeben.

Am 02.01. geht es mit dem Ligabetrieb weiter. In Berlin ruht seit zwei Monaten den Ball. Genießt der Amateursport in England einen anderen Stellenwert?

Die Liga läuft hier durchgängig weiter, es gibt keine Pause, die Weihnachtszeit ist Zeit der großen Derbys. Boxingday oder Spiele am 01.01. genießen einen hohen Stellenwert und wir hätten (ohne Corona) vor mindestens 3000 Zuschauern am Boxingday ein riesiges Derby gespielt.

Leider ist das Spiel (ohne Zuschauer!) wegen positiven Coronatests bei unserem Gegners ausgefallen.

Der Stellenwert ist nicht ansatzweise vergleichbar. Die Menschen sehen diese Ligen als “ehrlichen Fußball” und nicht als Kommerz. Jeder hat einen großen Club in den oberen Profiligen, den er promotet, aber eben auch einen regionalen, in den unteren Ligen, wo man sich den Eintritt noch leisten kann und eben den “ehrlichen Fußball” sehen will.... In unserer Liga liegt der Zuschauerschnitt geschätzt so zwischen 1000-5000 normalerweise. Daran erkennt man den Stellenwert.

Würdest du die Entscheidung, auf die Insel zu gehen, erneut so treffen?

Natürlich vermisse ich meine Familie und meine Partnerin und es sind wegen der Pandemie sehr schwere Zeiten für alle, aber ich habe den Schritt bisher zu keinem Zeitpunkt bereut und würde sofort wieder so entscheiden. Was ich hier in vier, fünf Monaten gelernt und aufgesaugt habe, kann mir keiner mehr nehmen und das macht mich stolz. Mein persönliches Ziel ist es, mich zu entwickeln und immer besser zu werden. Ich bin Perfektionist und der schlechteste Verlierer. Daher bin ich nie zufrieden und kann hier in England noch sehr viel lernen.

Aufrufe: 029.12.2020, 08:45 Uhr
Marcel PetersAutor