2024-06-14T14:12:32.331Z

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Selcuk Cinar (li.) jagt Ball und Gegner - und vor seiner Buchbacher Zeit einem großen Traum nach.
Selcuk Cinar (li.) jagt Ball und Gegner - und vor seiner Buchbacher Zeit einem großen Traum nach. – Foto: Johannes Traub

»War schon fast in Indien«: Wenn große Träume zerplatzen

Buchbachs Selcuk Cinar (24) hat eine Ochsentour durch die Niederungen des weltweiten Profifußballs hinter sich: Eine Abrechnung mit windigen Beratern - und sich selbst

Selcuk Cinar träumte von der großen Bühne - und landete unsanft im fußballerischen Nirvana. Im vergangenen Sommer tauchte der 24-Jährige wieder im bayerischen Fußball auf, nachdem er drei Jahre Ochsentour durch die Niederungen des Profitums hinter sich hatte. Im Gespräch mit FuPa rechnet er mit halbseidenen Beratern ab, die skrupellos die Träume junger Kicker ausnutzen, um den schnellen Reibach zu machen. Aber auch mit sich selbst geht er hart ins Gericht.

Selcuk Cinar hat mit 24 Jahren schon eine bemerkenswerte Reise durch die Fußballwelt hinter sich. Alles fängt mit einem Probetraining des gebürtigen Aschaffenburgers beim SV Wacker Burghausen an. Ein gewisser Markus Raupach ist damals noch im Nachwuchsbereich der Salzachstädter tätig. Der junge Selcuk Cinar weiß zu überzeugen im fernen Oberbayern, als B-Jugendlicher startet er bei der U19 durch und erzielt Tore am Fließband. Es läuft hervorragend für ihn, er darf sogar bei den Profis mittrainieren. Doch für den Verein geht es zeitgleich bergab, Wacker muss den Abstieg aus der 3. Liga hinnehmen. Und damit beginnt für Selcuk Cinar eine Odyssee.

Von Burghausen aus geht`s in den Osten - keine gute Idee.

"Ich habe mich falsch beraten lassen. Ich habe auf zwielichtige Personen gehört, die nur ihren eigenen Vorteil daraus ziehen wollten." Von Burghausen wurde er mit großen Versprechen zum Nordost-Regionalligisten VfB Auerbach transferiert. Der Sprung in den Osten der Republik stand von Anfang an unter keinem guten Stern. "Wie es damals genau war, kann ich nicht mehr sagen. Fakt war, dass meine Spielgenehmigung - warum auch immer - ewig lange nicht vorlag." In Auerbach wurde Cinar nicht glücklich, es folgte der Wechsel zum VFC Plauen. Doch auch im sächsischen Vogtland wollte die Karriere im Seniorenbereich nicht Schwung aufnehmen. Nach einem weiteren verlorenen Jahr kehrte er in seine Heimatregion Aschaffenburg zurück und lief für den Bayernligisten SV Erlenbach auf. Den Traum vom großen Fußball hatte er aber nach zwei desillusionierenden Jahren noch nicht aufgegeben - und ließ sich wieder auf ein Vabanquespiel ein.

In Indien hätte er nur noch unterschreiben müssen. Doch er tut es nicht.

Selcuk Cinar geht in die Türkei zum Drittligisten Kemerspor in der Provinz Antalya am Mittelmeer. Es läuft nicht schlecht, dann flattert ihm eine exotische Offerte ins Haus. "Mir lag ein Angebot vom Punjab FC aus der zweiten indischen Liga vor. Mir wurde geraten, es anzunehmen. Alles war vorbereitet, ich hätte nur noch hinfliegen und unterschreiben müssen. Ich war schon fast in Indien." Die Region Punjab liegt im Norden Indiens an der Grenze zu Pakistan - dem ewigen Erzfeind. Im glühend heißen Sommer steigen die Temperaturen regelmäßig über 45 Grad. Nicht unbedingt der angenehmste Ort zum Leben. Cinar entschließt sich, nicht in den Flieger zu steigen. "Letzten Endes war mir dann die sprachliche Barriere doch zu hoch." Seine Einflüsterer schicken ihn daraufhin nach Zypern. "Sprachlich natürlich deutlich besser, denn in Nord-Zypern wird türkisch gesprochen."

Doch der Karrierekick bleibt auch auf der Urlaubsinsel aus. Nach eineinhalb frustrierenden Jahren bei Lapta TBSK in der zweiten zypriotischen Liga löst er seinen Vertrag auf. Es passt ins Bild, dass er seine Rückkehr nach Deutschland verletzt antreten muss. Ein halbes Jahr steht er ohne Verein da. Dann erinnert sich Markus Raupach, der gerade das Traineramt beim TSV Buchbach übernommen hat, an seinen ehemaligen Schützling. "Ich stand immer in Kontakt mit ihm. Er hat mit ab und an geschrieben, wie es mir so geht, wo ich gerade bin." So schließt sich für Selcuk Cinar der Kreis.

Kicken in Buchbach, arbeiten in Ampfing: Eine neue Welt.

Der Stürmer heuert beim TSV Buchbach an. Eine andere Welt für ihn. "Der Verein ist sehr familiär", schmunzelt der 24-Jährige. Er lebt auch im Dorf im Landkreis Mühldorf, die große Fußballwelt ist weit weg. Die Umstellung fällt ihm alles andere als leicht. "Ich habe davor drei Jahre professionell Fußball gespielt. Jetzt muss ich nebenbei Vollzeit arbeiten gehen. Das ist anstrengend", erklärt er. Cinar schloss in Burghausen und später dann in Plauen eine Ausbildung zum Lageristen ab. Bei der Firma Kerbl in Ampfing, einem Sponsor des TSV Buchbach, erhält er einen Job. "Man kann es schon so sagen: Ich hatte den großen Traum, Fußballprofi zu werden, bin aber von der Realität ein Stück weit eingeholt worden", fällt sein Resümee ernüchternd aus. Große Karrierepläne habe er derzeit nicht mehr. Er möchte einfach wieder mal eine Saison guten Fußball zeigen, dann könne man weitersehen. Bis Corona kam, war er diesbezüglich auf dem richtigen Weg. In 16 Pflichtspieleinsätzen konnte er ordentliche sechs Treffer erzielen.

Selcuk Cinar (li.) gelangen in 14 Ligapartien bisher vier Treffer.
Selcuk Cinar (li.) gelangen in 14 Ligapartien bisher vier Treffer. – Foto: Klaus Rainer Krieger

»Ich hätte beim SV Wacker bleiben sollen.«

Die Frage ist hypothetisch, aber doch interessant: Was würde Selcuk Cinar anders machen, wenn er noch einmal 18 wäre? "Ich würde mich mehr in der Schule anstrengen, um einen besseren Abschluss zu erreichen. Ich habe mich zu sehr auf Fußball konzentriert und verlassen. Um ehrlich zu sein, habe ich aber auch nicht immer 100 Prozent gegeben. Das musst du aber, wenn du es schaffen willst. Und ich hätte beim SV Wacker bleiben sollen." Freilich, einen gewissen Groll hegt er auch gegenüber Beratern, die nicht das Wohl des Spielers Selcuk Cinar im Sinn hatten, sondern vielmehr ihr eigenes. Dennoch will er nicht die Verantwortung abschieben: "Ja, ich wurde schlecht beraten. Aber ich muss mich auch an die eigene Nase fassen. Ich bin schon auch selbst ein großes Stück verantwortlich dafür, dass es nicht geklappt hat."



Aufrufe: 029.4.2020, 09:00 Uhr
Mathias WillmerdingerAutor