Thomas Raßbach hat vor dem Finalturnier nicht besonders gut geschlafen. Ein Grund dafür war der TSV Buch. Beim Burgpokal einige Tage zuvor war es rund gegangen, Betreuer stürmten den Platz, es hagelte Rote Karten und Wasserflaschen. Nicht nur Buch war beteiligt. „Ein paar von uns haben da sicher überreagiert“, sagt Jörg Litz, der den TSV Buch in der Halle anstelle von Helmut Rahner betreut. „Der Alu“, sagt Litz, „der mag das nicht so mit der Halle.“
Dass alle Bedenken von Raßbach an diesem Samstagnachmittag umsonst waren, weiß als erstes Ludwig Beer, der Bezirksspielleiter: „Wenn du wegen diesen Schlagzeilen kommst“, sagt er, „kannst du gleich wieder gehen.“ Raßbach hat vorgesorgt. Die Schiedsrichter sind erfahren und regelsicher, pfeifen allesamt in der Landes- und Bayernliga. Äußern wollen sie sich selbst leider nicht, worauf es zum Beispiel ankommt als Schiedsrichter, was Futsal eigentlich so schwierig macht, wie man mit dem gleichberechtigten Unparteiischen auf dem Feld kommuniziert. „Wir dürfen leider nichts zur Presse sagen“, sagt einer, der seinen Namen auch nicht in der Zeitung lesen will. Da habe es schon einmal Ärger gegeben, Interviews gibt es seitdem nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung der Vorgesetzten.
Thomas Raßbach, der Kreisspielleiter, ist den Medien hingegen dankbar. „Mit den Vorkommnissen wurde kritisch umgegangen, da ist rübergekommen, dass wir da nichts dulden.“ Allein an den erfahrenen Schiedsrichtern aber liege es laut Raßbach nicht, dass sich plötzlich alle benehmen können. „Auch die Vereine leisten ihren Beitrag. Es geht sehr freundschaftlich zu.“ Darum hatte der Kreisspielleiter auch gebeten, in den E-Mails, die er gleich nach dem Burgpokal an die Mannschaften versendete, und in dem Gespräch, zu dem er alle Vereinsvertreter vor dem Turnier gebeten hatte.
So bleibt es angenehm ruhig an diesem Nachmittag, im Vordergrund steht diesmal allein der Futsal. Und der ist es auch, der Jörg Litz ein bisschen traurig macht. „Ach wissen Sie“, sagt der Trainer des TSV Buch, „wenn ich die Jungs so sehe und die Atmosphäre erlebe, da bekomm’ ich Gänsehaut. Dann tut es schon immer noch weh.“ 2011 hat er das letzte Mal selbst Hallenfußball gespielt, beim Endturnier in Herrieden. Ein langer Ball, Litz schnappt ihn sich, zieht ab — der Ball fliegt ins Tor, aber Litz zerstört sich dabei alles, was man sich im Knie zerstören kann. Und obendrein seine Zukunft als Amateurfußballer.
Jetzt ist der 31-Jährige selbstständiger Fliesenleger, nach dieser schweren Verletzung, als er sich Außen- und Innenmeniskus sowie das Kreuzband gerissen hat, ist es ihm zu riskant, regelmäßig Fußball zu spielen. Aushelfen ist alles, was er noch macht: „Wenn es wirklich nicht mehr anders geht, ein paar Minuten, den Ball annehmen und weiterspielen“, sagt Litz, das mache er noch. Mehr nicht. Trotzdem ist Litz immer mittendrin. Er ballt die Faust nach einem Tor, er rauft sich die Haare nach einer vergebenen Chance. Und er stürmt aufs Feld, um seinen Torhüter zu herzen. Wie man das eben so macht, wenn man ein Sechsmeterschießen und einen Pokal gewinnt.
Edin Kacar wird später am Abend der unglücklichste Mensch in dieser Halle sein. Davon weiß noch niemand etwas, als sich der 29 Jahre alte Spieler der Bayern Kickers nach dem letzten Gruppenspiel auf diese Gymnastikbank hinter dem Tor setzt und erzählt. Die Bayern Kickers haben ihre Gruppe beherrscht, nur ein einziges Gegentor kassiert — um 16.54 Uhr war das gegen Feuchtwangen. Um 14 Uhr hatte das Turnier begonnen.
Defensive, sagt Kacar, ist alles beim Futsal. So haben sie es mal nach fast ganz oben geschafft, die Bayern Kickers. 2011 war das, Deutscher Vizemeister im Futsal, als Kreisligist. „Man merkt schon, dass die anderen Mannschaften jetzt besonders motiviert sind, uns zu schlagen.“ 2011, da wusste kaum jemand, was das eigentlich ist: Futsal. Mittlerweile weiß es jeder, der Verband hat die Variante des Hallenfußballs, die vielmehr eine eigene Sportart ist, zur Pflicht gemacht.
Hallenfußball gibt es offiziell gar nicht mehr, „bis 2018“, sagt Ludwig Beer, der Bezirksvorsitzende, „soll es in Deutschland eine Futsal-Profiliga geben“. Trotzdem ist Futsal noch ziemlich unbeliebt, Zuschauer können die Regeln nicht nachvollziehen, auch manche Spieler wissen noch nicht, weshalb der Schiedsrichter beim Einschuss plötzlich zählt, warum man nicht grätschen darf. Das Tor ist klein, der Ball auch — und springt nicht richtig vom Boden ab.
Die Abneigung, sagt Kacar, kann er nicht verstehen. „Futsal sieht doch so viel schöner aus als Hallenfußball.“ Das allerdings nur, wenn man es kann. „Die meisten Spieler meinen, dass man da einfach rausgeht und draufloskickt. Wie früher eben.“ Dabei ist es so viel mehr: „Wir haben eintrainierte Spielzüge, die wir abrufen“, sagt Edin Kacar, sie haben sie sich selbst ausgedacht oder aus dem Fernsehen abgeguckt. „Einmal kurz, zweimal lang, Doppelpass — und du stehst allein vor dem Tor.“ Das klappt eigentlich immer. Auch an diesem Nachmittag, deshalb ziehen die Bayern Kickers ohne Probleme ins Finale ein. „Wenn du gegen eine gute Mannschaft Futsal spielst“, sagt Kacar, „dann merkst du das daran, dass du eigentlich nie den Ball hast.“
Die Gegner der Bayern Kickers haben so gut wie nie den Ball. So war das auch 2011, als sie wochenlang durch Deutschland tourten, von Turnier zu Turnier fuhren. Er denkt noch oft daran, sagt Kacar. Erst im Finale war Schluss, gegen Kroatia Berlin. „Viele haben uns unterschätzt, weil wir ja nur ein Kreisligist waren.“ Unterschätzt wird die Mannschaft seitdem nirgends mehr. „Das Niveau wird immer stärker, auch hier in Nürnberg.“
Einen Vorteil haben sie noch: Sie verstehen sich fast blind, „seit fünf, sechs Jahren spielen wir schon zusammen Futsal, das macht hier niemand sonst“. Für die Kreismeisterschaft reicht das aber nicht mehr. Landesligist TSV Buch schlägt die Bayern Kickers im Siebenmeterschießen. Edin Kacar hat seinen Strafstoß verschossen.