2024-06-03T07:54:05.519Z

Allgemeines
– Foto: Bernd Seyme

Vom Assistenten mit Rot vom Platz gestellt

Unsere Schiedsrichter, Teil 29: Benjamin Kraus vom SV Rasensport

"Beim ersten Anpfiff nach dem Lockdown werde ich Tränen in den Augen haben", sagt Benjamin Kraus, der seit 17 Jahren Schiedsrichter in den Kreisklassen der Stadt ist und sich beim SV Rasensport II zudem als Torjäger versucht. In Teil 29 unserer Serie erzählt der 39-Jährige Sportjournalist, wie ihm mal sein eigener Assistent in der Uni-Liga vom Platz gestellt hat und was die längsten zehn Sekunden seiner Schiri-Karriere waren:

  1. Wie bist Du Schiedsrichter geworden?

Hängengeblieben auf dem bis heute nicht vollendeten Weg zum Trainerschein. Der war das Ziel während des Studiums in Bamberg, dann hat im Angesicht der zweistelligen Semesteranzahl die Uni genauso Zeit und Energie gefressen wie meine freie Mitarbeit bei den Nordbayerischen Nachrichten. Für den Schiri-Schein hat‘s noch gereicht – dann bin ich dabei geblieben. Ich habe gemerkt, dass es mir Spaß macht, auch in dieser Rolle auf die Plätze zu fahren, Menschen zu treffen und zu entscheiden. Und ich hatte bisher zum Glück recht selten das Feedback, dass ich den Job wegen totaler Ahnungslosigkeit und Talentfreiheit bitte ab sofort komplett lassen soll.

  1. Was war das beste und größte Spiel, das Du bisher gepfiffen hast?

Geht man von den Zuschauern aus, war das sicherlich ein Viertelfinalspiel im privat organisierten Unipokal in Bamberg, da waren locker 600, 700 Leute da. Mit Bierchen bei Sonnenuntergang am Platz – ein Traum aus aktueller Sicht. Guten Gesprächsstoff gab es auch, weil sie mir einen völlig übermotivierten Linienrichter zugeteilt haben, der bei jedem sich anbahnenden Körperkontakt direkt wild mit seiner Fahne rumgefuchtelt hat. Weil ich als Schiedsrichter, wenn möglich, viel laufen lasse, habe ich den Kollegen viel ignoriert, was natürlich vielen dort aufgefallen ist. Die Rache des Kommilitonen kassierte ich aber zwei Tage später beim Viertelfinalspiel meiner Mannschaft - das er dummerweise leitete. Natürlich pfiff er alles gegen mich und stellte mich dann, als ich mich irgendwann beschwerte, einfach direkt mit Rot vom Platz. Eine Episode, die mir bewusstgemacht hat, wie wichtig es ist, dass man als Schiri-Gespann zusammen funktioniert und bezüglich der Spielleitung gleich tickt. Wobei ich mir selbst dazu nach dieser Nummer nie Gedanken machen musste – ich bin als Schiri bis dato nie in Ligen des Verbandes unterwegs gewesen, in denen es Assistenten braucht.

  1. Wie sieht für dich als Schiedsrichter das perfekte Spiel aus?

Es gibt kein perfektes Spiel. Eigentlich erinnere ich mich hinterher immer mindestens an eine Situation, die man entweder besser hätte lösen können, oder zu der ich unsicher bin, ob ich sie denn richtig gelöst habe. Im letzteren Fall helfen der Blick in die Regeln, die Suche im Netz oder das Fragen von Kollegen meist weiter. Gut ist es immer dann, wenn man hinterher respektvoll, sportlich fair oder vielleicht sogar noch mit einem kurzen Bierchen in der 3. Halbzeit auseinandergeht.

  1. Was war das lustigste/kurioseste Ereignis, das Dir als Schiedsrichter passiert ist?

Es gibt in wirklich jedem Spiel etwas, was mich begeistert oder amüsiert – Fußball ist das beste Spiel der Welt und gibt so viel her. Spontan fällt mir ein Spiel in Lüstringen gegen Espanol vor zwei Jahren ein. Da wollten die Gastgeber nach einer Verletzungsunterbrechung den Ball fair zum Gegner zurückspielen, einer der Lüstringer Jungs hat das aber nicht gespannt. Der ist gegen passive Abwehrspieler in den Fair-Play-Pass zum Espanol-Keeper reingesprintet und hat das Ding an ihm vorbei reingenagelt - zum 5:6 kurz vor Schluss. Dann natürlich das Erwartbare: Debatten, Vorwürfe, Rangeleien. Zum Glück haben die meisten Lüstringer eingesehen, dass nun was passieren muss, nach dem Anstoß keine Gegenwehr gezeigt und Espanol das 5:7 schießen lassen, sodass wieder alles in der Reihe war, in jeglicher Hinsicht. Zwei Lüstringer aber hatten dennoch versucht, den gesamten Gegner zu verteidigen, was bemerkenswerte 10, 15 Sekunden sogar geklappt hat – sicher die längsten Sekunden meiner Schiedsrichter-Karriere.

https://www.noz.de/sport/os-sport/artikel/1726879/fair-play-in-leeds-sc-luestringen-hat-es-vorgemacht

  1. Was sind die drei besten Gründe für Dich, Schiedsrichter zu sein/zu werden?

Zuerst der Spaß am Fußballspiel in jeder Rolle. Dann die Lerneffekte, wenn man besser dabei wird, Entscheidungen auch gegen Widerstände durchzusetzen. Schließlich das Miteinander mit den Menschen, weil nur der Fußball so viele verschiedene Leute auf einen gemeinsamen Nenner zusammenbringen kann.

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  1. Lange Winterpause – worauf freuest du dich am meisten, wenn du wieder auf dem Platz stehst?

Ohne Witz, beim ersten Anpfiff werde ich sicher Tränen in den Augen haben. Egal, ob ich den als Schiri mache oder einfach als Spieler oder Zuschauer höre.

  1. Einmal Meckern ist ok: Was nervt dich als Schiedsrichter auf oder neben dem Platz?

Maulen aus Prinzip nervt mich wirklich. Ich habe kein Problem damit, wenn es mal Diskussionen über Entscheidungen gibt, auch nach Abpfiff. Im letzten Spätsommer kam aber einer nach einem Spiel, das für ihn in letzter Minute verloren ging, auch wegen einem krassen Stellungsfehler, den er gemacht hatte. Dann fing er an, mir zu erzählen, wie schlecht ich doch dies und jenes und alles gepfiffen hätte. Als ich ihm dann eine Entscheidung erklären wollte, hat er gar nicht zugehört, mich unterbrochen und einfach weiter gemeckert. Ihm ging es gar nicht um die Debatte in der Sache, sondern nur darum, seinen Frust loszuwerden. Frust-Mülleimer zu sein, sehe ich aber nicht als Teil der Job-Beschreibung eines Referees, was ich ihm dann auch lautstark klargemacht habe. Dürfte insgesamt ein Unentschieden auf der Dezibel-Skala gewesen sein.

  1. Wer ist dein persönliches Vorbild als Schiedsrichter?

Blick: Pierluigi Collina. Körpersprache: Manuel Gräfe. Kommunikation: Bernd Heynemann. Coolness-Faktor: Deniz Aytekin. Passt ja mal überhaupt nicht zusammen, würde Tobias Stieler sagen. Vorbilder taugen sicher als Inspiration in gewissen Feldern, denke ich – aber am Ende geht es immer darum, den eigenen Weg zu finden.

Aufrufe: 022.4.2021, 11:00 Uhr
Lennart AlbersAutor