2024-06-06T14:35:26.441Z

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Neben einer Auszeichnung für seine fußballerischen Leistungen gelang es Nadir auch, seinen Master in Business Administration mit 1,0 abzuschließen.
Neben einer Auszeichnung für seine fußballerischen Leistungen gelang es Nadir auch, seinen Master in Business Administration mit 1,0 abzuschließen. – Foto: Ibrahim Nadir

Stu­die­ren in den USA dank Fuß­ball

Dank eines Sportstipendiums hat Ibra­him Na­dir den Sprung in die große Fußball-Welt geschafft. In den USA machte er seinen Bachelor und Master, parallel spielte er am College Fußball.

Ibra­him Na­dir ist ei­nes von vie­len Ta­len­ten, für die der Traum vom Pro­fi­fuß­ball ir­gend­wann zer­platzt ist. Nicht aber der, mit dem Fuß­ball die Welt zu ent­de­cken. Ame­ri­ka­ni­sche Col­le­ges lo­cken ge­zielt deut­sche Nach­wus­spie­ler mit Sport­sti­pen­di­um zum Stu­die­ren ins Land, um den Fuß­ball zu för­dern. Denn der wird im­mer po­pu­lä­rer.

Es ist ein Traum, der knapp zwei Mil­lio­nen Kin­der und Ju­gend­li­chen in Deutsch­land täg­lich be­glei­tet: Pro­fi­fuß­bal­ler. Es ist die gro­ße Ver­hei­ßung der glit­zern­den Fuß­ball­welt: Geld, Be­rühmt­heit, ge­sell­schaft­li­che An­er­ken­nung – und die Aus­sicht, die grö­ß­te Lei­den­schaft zum Be­ruf zu ma­chen. Vie­le sind da­für be­reit, die­sem Traum al­les un­ter­zu­ord­nen, sich in ei­nem der 56 Nach­wuchs­leis­tungs­zen­tren (NLZ) zum Er­folg trim­men zu las­sen. In der Rea­li­tät aber schaf­fen es selbst aus die­sem eli­tä­ren Kreis der Ta­lent­schmie­den nur die we­nigs­ten ganz nach oben: Zwi­schen 2010 und 2018 spiel­ten nur rund 3,5 Pro­zent der mehr als 5000 Ju­gend­fuß­bal­ler aus den deut­schen NLZs über­haupt in ei­ner der ers­ten eu­ro­päi­schen Li­gen, wie die ARD her­aus­fand. Doch für vie­le von ih­nen öff­nen sich mitt­ler­wei­le neue Tü­ren: Ame­ri­ka­ni­sche Uni­ver­si­tä­ten, die Keim­zel­len des US-Sports, le­cken sich die Fin­ger nach ver­meint­lich ge­schei­ter­ten deut­schen Fuß­ball­ta­len­ten und ver­ge­ben Sport­sti­pen­di­en.

Jugend für den großen Traum geopfert

Wie bei so vie­len Kin­dern vor ihm, kam auch bei Ibra­him Na­dir aus Wil­lich ir­gend­wann der Mo­ment, an dem es nicht mehr wei­ter­ging in der Kar­rie­re­lei­ter. Sein fuß­bal­le­ri­sches Ta­lent war früh auf­ge­fal­len, be­reits mit zwölf Jah­ren hat­te ihn der KFC Uer­din­gen ver­pflich­tet. „Seit­dem ha­be ich mei­ne kom­plet­te Ju­gend für den Fuß­ball ge­op­fert, aber ich war schon im­mer sehr ehr­gei­zig, ich woll­te es schaf­fen“, sagt Na­dir. Nach der Schu­le ging es mehr­mals die Wo­che mit der Bahn nach Kre­feld. Noch auf­wen­di­ger wur­de es, als ihn mit knapp 17 Rot-Weiß Ober­hau­sen in sein NLZ hol­te, vor 23.30 Uhr kam Na­dir meist nicht nach Hau­se. Nach zwei Jah­ren in der U19-Bun­des­li­ga, der Schwel­le zum Pro­fi­tum, stand er dann vor dem Nichts: Er hat­te schon ei­ne Zu­sa­ge für ei­nen Platz im Re­gio­nal­li­ga-Team von RWO, doch in letz­ter Mi­nu­te ver­pflich­te­te der Ver­ein noch ei­nen neu­en Spie­ler und wies ihm die Tür. Na­dir ließ sich da­von nicht un­ter­krie­gen: „Ich ha­be Pech ge­habt. Aber es war nicht so, dass ei­ne Welt für mich zu­sam­men­ge­bro­chen ist. Ich wuss­te, dass ich ei­nen an­de­ren Weg ge­hen wer­de und wei­ter Fuß­ball spie­len möch­te.“

Und die­sen Weg fand er. Heu­te, nur vier Jah­re nach dem fuß­bal­le­ri­schen Tief­punkt, hat er ge­ra­de in Ka­li­for­ni­en sei­nen Mas­ter in Busi­ness Ad­mi­nis­tra­ti­on mit der No­te 1,0 ab­ge­schlos­sen. Wie ist das mög­lich?

Ein neuer Anlauf

Al­les be­gann da­mit, dass er nach dem Aus­schei­den bei RWO beim beim Fünft­li­gis­ten DSC Deren­dorf in Düs­sel­dorf an­heu­er­te. Von Mit­spie­lern hör­te er von der Mög­lich­keit, sein fuß­bal­le­ri­sches Kön­nen für ein Stu­di­um in den USA zu nut­zen. Mitt­ler­wei­le gibt es zahl­rei­che spe­zia­li­sier­te Agen­tu­ren, die sich ein Netz­werk aus Col­le­ges auf der an­de­ren Sei­te des At­lan­tiks auf­ge­baut ha­ben und Aus­wahl­trai­nings ver­an­stal­ten, zu de­nen Col­le­ge-Trai­ner der Fuß­ball­teams ex­tra nach Deutsch­land ein­flie­gen. Na­dir be­kam so 2018 ein An­ge­bot für ein Voll­sti­pen­di­um am Ne­w­bur­ry Col­le­ge im Ost­küs­ten­staat South Ca­ro­li­na, wo er sei­nen Ba­che­lor be­gann.

Neu­es Land, neue Spra­che, an­de­re Kul­tur: „Wenn man plötz­lich auf der an­de­ren Sei­te der Welt oh­ne Fa­mi­lie wohnt, hin­ter­fragt man die Ent­schei­dung am An­fang schon, ist ängst­lich“, sagt Na­dir. Er be­zog ein Zwei­er­zim­mer mit ei­nem nor­we­gi­schen Team­ka­me­ra­den di­rekt ne­ben dem Fuß­ball­platz und freun­de­te sich mit ihm an. Schnell ge­wöhn­te er sich an die neue Um­ge­bung, wur­de selbst­be­wuss­ter im Um­gang mit Eng­lisch, auch, weil er merk­te, dass es den meis­ten in­ter­na­tio­na­len Stu­den­ten ähn­lich ging. In der ers­ten Elf sei­ner Mann­schaft spiel­ten fast nur Nicht-Ame­ri­ka­ner. Sie ka­men aus Eng­land, Ita­li­en, Ser­bi­en, Mon­te­ne­gro, Bra­si­li­en, Ko­lum­bi­en oder To­go. Na­dir muss­te gar fest­stel­len, dass die Teams, die in den Col­le­ge-Li­gen um die Meis­ter­schafts­run­den ein Wört­chen mit­re­den, fast nur auf aus­län­di­sche Stu­den­ten set­zen. „In den Col­le­ge-Sport wird so viel Geld rein­ge­pumpt, da geht es auch im Fuß­ball um Er­geb­nis­se, mein Trai­ner stand un­ter gro­ßem Druck.“

College hat enormen Stellenwert

Der Col­le­ge-Sport ist in den USA ei­ne gro­ße Sa­che. Hier wer­den die Foot­ball-, Bas­ket­ball-, Base­ball- und Eis­ho­ckey-Stars von Mor­gen aus­ge­bil­det, ih­re Spie­le wer­den im Fern­se­hen über­tra­gen, es wird mit ih­nen im gro­ßen Stil ge­wor­ben, ihr sport­li­cher Er­folg be­stimmt Re­nom­mee und Fi­nan­zie­rung der Col­le­ges. Und das gilt mitt­ler­wei­le auch für Fuß­ball, der aus dem Schat­ten der US-Sport­ar­ten er­wach­sen ist und bei den Ame­ri­ka­nern im­mer be­lieb­ter wird. Laut ei­ner Um­fra­ge des ame­ri­ka­ni­schen Mei­nungs­in­sti­tu­tes Gal­lup von 2018 hat Fuß­ball be­reits Eis­ho­ckey in sei­ner Po­pu­la­ri­tät über­holt, sie­ben Pro­zent der Ame­ri­ka­ner se­hen ihn als ih­ren Lieb­lings­sport an, Base­ball auf Platz drei ist mit neun Pro­zent nur noch mi­ni­mal be­lieb­ter. 18 Mil­lio­nen ak­ti­ve Fuß­bal­ler gibt es im Land – so vie­le, wie nir­gend­wo sonst.

„Es stimmt, dass der Fuß­ball in den USA to­tal im Kom­men ist. Er wird im­mer mehr in die Unis in­te­griert und das in­ter­na­tio­na­le In­ter­es­se wächst“, sagt Na­dir. Auch das Ni­veau wer­de im­mer bes­ser. Ei­ni­ge Top­teams in sei­ner Con­fe­rence, der Li­ga der Re­gi­on, hät­ten Spie­ler in den Rei­hen, die in der deut­schen Bun­des­li­ga der A-Ju­nio­ren be­stehen könn­ten, glaubt Na­dir: „Da gibt es un­fass­ba­res Po­ten­zi­al.“ Der Col­le­ge-Sport-Ver­band NCAA för­dert den Fuß­ball zu­neh­mend, der zu­dem von den über Jahr­zehn­te auf­ge­bau­ten hoch­pro­fes­sio­nel­len Struk­tu­ren an den Col­le­ges pro­fi­tiert.

Ein Le­ben zwi­schen Uni-Bi­blio­thek und Fuß­ball­platz: Ibra­him Na­dir, 23, stu­dier­te mit Sport­sti­pen­di­um in South Ca­ro­li­na und Ka­li­for­ni­en.
Ein Le­ben zwi­schen Uni-Bi­blio­thek und Fuß­ball­platz: Ibra­him Na­dir, 23, stu­dier­te mit Sport­sti­pen­di­um in South Ca­ro­li­na und Ka­li­for­ni­en. – Foto: Ibrahim Nadir

Selbst an der ver­hält­nis­mä­ßig klei­nen Uni­ver­si­tät in South Ca­ro­li­na fand Ibra­him Na­dir Trai­nings­be­din­gun­gen vor, die er aus Ober­hau­sen nicht kann­te. Ein Trai­ner­stab aus fünf Trai­nern, Psy­cho­lo­gen, Er­näh­rungs­be­ra­ter, Phy­sio­the­ra­peu­ten und Sport­ärz­te, da­zu ein gro­ßer Sport­kom­plex mit zahl­rei­chen Sport­plät­zen und ei­nem Hoch­glanz-Kraft­be­reich. Die Er­war­tun­gen sind dem­entspre­chend hoch. „Uns wur­de im­mer un­ter­schwel­lig ver­mit­telt: Ihr müsst ab­lie­fern, je­des Spiel“, sagt Na­dir. Wer das nicht konn­te, auf den setz­te der Trai­ner nicht mehr und be­kam das Sti­pen­di­um ge­kürzt. Für die meis­ten aus­län­di­schen Stu­den­ten be­deu­tet das, dass sie das Col­le­ge nicht mehr fi­nan­zie­ren kön­nen und ver­las­sen müs­sen.

Die Col­le­ge-Sai­son dau­ert von Au­gust bis No­vem­ber. In die­ser Zeit gibt es 18 Spie­le, meist zwei Mal die Wo­che. Hin­zu kom­men lan­ge Rei­sen zu den Aus­wärts­spie­len. Und auch die aka­de­mi­schen Leis­tun­gen dür­fen nicht zu kurz kom­men. Zwar be­kom­men Sport­ler von den Pro­fes­so­ren viel Frei­raum, dür­fen Klau­su­ren vor oder nach den Spie­len schrei­ben. Den­noch muss auch das Stu­di­um be­wäl­tigt wer­den. Nicht je­der ha­be mit dem Druck um­ge­hen kön­nen, sagt der Wil­li­cher mit ira­ki­schen Wur­zeln.

Ibrahim Nadir hat auf und neben dem Platz Gas gegeben

Ibra­him Na­dir aber hielt ihm stand. Vor Klau­su­ren schlug er sich manch­mal die Näch­te in der Uni-Bi­blio­thek um die Oh­ren und wur­de auch Mal um 6 Uhr mor­gens von über­rasch­ten Putz­frau­en auf­ge­fun­den. „Es gab Zei­ten, da war ich durch ein Sieg­tor in letz­ter Mi­nu­te der ge­fei­er­te Held und dann saß ich zehn Mi­nu­ten spä­ter zum Ler­nen in der Bi­blio­thek.“ Par­tys und ein ty­pi­sches Stu­den­ten­le­ben wa­ren nicht drin. Der Trai­ner, ein ehe­ma­li­ger Ar­my-Of­fi­zier setz­te auf Drill. Wer wäh­rend der Sai­son da­bei er­wischt wur­de, wie er fei­er­te und Al­ko­hol trank, der droh­te, aus der Mann­schaft zu flie­gen. Na­dir hielt sich dar­an, schloss sein Stu­di­um gar mit der No­te 1,1 ab und topp­te das im Mas­ter. Viel­mehr: Der schnel­le und drib­bel­star­ke Links­au­ßen wur­de 2019 in die Elf der Sai­son in sei­ner Col­le­ge-Li­ga ge­wählt und be­kam An­ge­bo­te von gro­ßen Uni­ver­si­tä­ten.

Er aber ging für den Mas­ter an ein klei­ne­res Col­le­ge in Oak­land, Ka­li­for­ni­en, weil er dort das Stu­di­um ver­kür­zen konn­te. Nun ist er wie­der in Wil­lich und erst 23 Jah­re alt. „Die In­ten­ti­on war von An­fang an, in die USA zu ge­hen und das Aka­de­mi­sche durch­zu­zie­hen, um da­nach ei­nen frei­en Kopf zu ha­ben. Die Frei­heit ha­ben, zu rei­sen, an­de­re Län­der zu se­hen und dort ne­ben­her se­mi­pro­fes­sio­nell Fuß­ball spie­len zu kön­nen“, sagt Ibra­him Na­dir. Skan­di­na­vi­en rei­ze ihn, nach Is­land ha­be er über Mit­spie­ler in den USA schon Kon­tak­te zu Ver­ei­nen. Aber auch Asi­en oder Aus­tra­li­en kä­men mit­tel­fris­tig in­fra­ge. Der Traum Fuß­ball spie­lend die Welt zu ent­de­cken – er lebt.

Wie man an ein Fuß­ball-Sti­pen­di­um ge­langt

Agen­tur Ver­schie­de­ne Sport­agen­tu­ren ver­mit­teln Fuß­ball­ta­len­te an die US-Uni­ver­si­tä­ten. Ei­ne be­kann­te ist Sport-Schol­ar­ships aus Mön­chen­glad­bach.

Pro­ze­de­re Man be­wirbt sich mit High­light-Vi­de­os, muss ei­nen schrift­li­chen Auf­nah­me­test be­stehen und bei Sich­tungs­tur­nie­ren über­zeu­gen. Dar­an ori­en­tiert sich die An­ge­bots­aus­wahl.

Aufrufe: 013.1.2022, 22:55 Uhr
RP / Julian BudjanAutor