2024-06-14T14:12:32.331Z

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Sein Herz schlägt ein Leben lang Blau-Rot

Soren Behrmann begibt sich auf eine Reise an seine Lieblingsplätze und erzählt dabei von seiner Zeit als Fußballer, Kapitän und Integrationsfigur.

Sören Behrmann hat seine aktive Zeit als Fußballer beim Regionalligisten SV Drochtersen/Assel beendet. Von Karriere möchte er nicht sprechen. Karriere, meint er, haben Leute wie Lahm oder Schweinsteiger gemacht. Weltstars. Dass Behrmann im überschaubaren D/A-Kosmos als Aktiver eine Nummer war, ist aber unbestritten.

Der weiße Aufkleber mit der Nummer 13 und dem Namen Sören Behrmann klebt noch an der Kopfleiste der Umkleidebank. Wenn man in die Kabine im Kehdinger Stadion kommt gleich rechts. In den vergangenen elf Jahren war Behrmann mindestens 1700 Mal in diese urige Kabine marschiert, um sich vor dem Training oder den Spielen umzuziehen. Die Zeit ist vorbei. Behrmann gab vor einigen Tagen das Ende seiner aktiven Laufbahn bekannt. "So langsam realisiere ich, dass ich nicht mehr kicken werde", sagt der langjährige Kapitän des Regionalligisten SV Drochtersen/Assel. Aber wenn der Schiedsrichter das erste Spiel der Saison am 15. August in Hamburg anpfeift, könne es sein, dass er noch mal emotional werde.

Die Bänke sind aus Holz, die Backsteinwände nicht verkleidet, ein paar Lamellen an der Decke sind lose. Der ein oder andere Neuzugang sitzt erst mal am Katzentisch, ohne Kleiderhaken, und muss sich hocharbeiten. "Wie die Kabine aussieht, ist nicht wichtig", sagt Behrmann. Die Akustik hat gestimmt. Der Lärm der Motivationsreden oder der Musik zum Einpeitschen, der Jubel nach dem Sieg waren ohrenbetäubend. Die Stille nach Niederlagen gespenstisch. "Manchmal ist es eskaliert hier drin", sagt Behrmann. Er selbst hat als einer der Chefs im Team viele dieser Motivationsreden gehalten.

Seinen Enkeln wird Behrmann später von den Bayern erzählen. Die Geschichte, als sich sein Lieblingsverein aus München am 18. August 2018 im DFB-Pokal im Kehdinger Stadion die Ehre gab. Von der Gänsehaut-Atmosphäre in der Halbzeit in der provisorischen Kabine, weil D/A seine eigentliche Kabine mit dem Rekordmeister tauschen musste. Von dem bitteren 0:1 zehn Minuten vor Schluss durch Robert Lewandowski. Davon, dass Mats Hummels nach Abpfiff nach Behrmann im ganzen Stadion gesucht hatte, um ihm sein Trikot zu schenken. Wenn D/A seine Umkleidekabinen nicht renovieren lässt, könnte Behrmann seinen Enkeln noch zeigen, dass Lewandowski direkt neben dem weißen Behrmann-Aufkleber in der Kabine sein Autogramm hinterlassen hat. Mit schwarzem Edding auf dem alten Holz.

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220 Mal spielte Behrmann in den vergangenen elf Jahren für D/A. 17 470 Minuten. Verletzungen ließen noch mehr Spiele nicht zu. Behrmann war Stammgast bei Physiotherapeutin Katja Sievers und Mannschaftsarzt Rik van den Daele. "Die beiden waren sehr wichtig für mich", sagt Behrmann. Doch zuletzt wurde der Aufwand zu groß, den Körper nach den Belastungen wieder einigermaßen fit zu bekommen. Wenn Sonntag ein Spiel war, merkte Behrmann die Nachwirkungen noch bis Mittwoch.

Als Kapitän führte Behrmann seine Mannschaft in den vergangenen Jahren durch den Tunnel unter der Haupttribüne hindurch und blickte sich meistens kurz in Richtung Zuschauer um. "Ich habe geschaut, wer da ist. Das war immer ein gutes Gefühl", sagt Behrmann. Die Fans in Drochtersen seien überragend. Vor dem Pokalspiel gegen die Bayern entdeckte er gut 30 Leute in der ersten Reihe. Familie, Freunde, Arbeitskollegen. Alle mit dem roten Behrmann-Trikot bekleidet.

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Der 31-Jährige begibt sich auf eine Reise an seine Lieblingsplätze und erzählt dabei von seiner Zeit als Fußballer, Kapitän und Integrationsfigur.

Behrmanns Freund, Kollege und Chef, Bodo Cordes vom gleichnamigen Stader Autohaus, gilt als einer der größten Fans des Innenverteidigers. Cordes mag die Einstellung seines Automobilkaufmannes. "Leistungssportler sind es gewohnt, sich ehrgeizige Ziele zu setzen. Von dieser Einstellung profitiert auch das Arbeitsleben", sagt Cordes. Als Behrmann 2010 bei Eintracht Braunschweig keinen Vertrag mehr erhielt, kamen der Arbeitgeber und der Lehrling ganz spontan zusammen. "Am Anfang war er noch ein bisschen schüchtern", sagt Cordes. Über die Jahre, vor allem seit D/A in den Pokalwettbewerben erfolgreich unterwegs ist, unterstützte Cordes Behrmann und den Verein. "Jeden Montag ist der Fußball Thema Nummer eins", sagt Cordes.

Dass aus Sören Behrmann mal ein Guter wird, hat sein erster Trainer, Matthias Mehlis, erkannt, als Behrmann mit vier Jahren bei ihm in der G-Jugend kickte. "Er war immer leidenschaftlich und fanatisch", sagt Mehlis. Schon als Kind sei er ein Führungsspieler gewesen, mit sieben, acht Jahren habe er es verstanden, die anderen mitzureißen und strategisch zu denken. Am Morgen nach dem letzten Auftritt Behrmanns, dem Pokalfinale gegen den SV Meppen, hing das Behrmann-Trikot an der Klinke von Mehlis’ Haustür. Mehlis ist dankbar. Das sei der Lohn dafür, was die Jugendtrainer in Drochtersen alles in den Nachwuchs investieren.

Wenn Behrmann als Kind nicht beim Training war, furchten er und seine Freunde den Rasen im Garten des elterlichen Hauses um. Ein paar Fensterscheiben mussten damals dran glauben. Einige Bälle prallten gegen die Wand der kleinen Scheune des Nachbarn. Behrmann war einer der Jüngsten, wenn acht oder zehn Kinder auf die beiden Tore bolzten. "Ich wollte immer Ballack sein", sagt Behrmann. Er musste sich durchsetzen gegen die Älteren.

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Sein Talent entging den Spähern der Bundesligavereine nicht. Mit 16 Jahren spielte Behrmann mit einer Ausnahmegenehmigung bei der ersten Mannschaft. Der Oberligist D/A gastierte in Ölper bei Braunschweig. Auf der Tribüne saß ein gewisser Torsten Lieberknecht. Der Mann, der bei der Eintracht in insgesamt elf Jahren als Trainer Kultstatus erlangt hatte. Am Montag nach dem Spiel rief Lieberknecht Behrmann an. Am Mittwoch unterzeichnete Behrmann den Vertrag. "Ihm hat wohl meine Einstellung gefallen", sagt Behrmann.

Behrmann verließ die Heimat. Er zog in eine WG mit Selim Aydemir, der bis zum Ende seiner Laufbahn vornehmlich in der Dritten Liga spielte, und Karim Bellarabi, heute gestandener Fußballprofi bei Bayer Leverkusen. "Ich war froh, diesen Schritt gegangen zu sein", sagt Behrmann. In einem Spiel in der Jugend-Bundesliga drohte Lieberknecht, Behrmann nach 20 Minuten auszuwechseln, wenn er den Zehner des Gegners nicht ausschalten würde. Schließlich wechselte der Gegner seinen Kreativen nach 55 Minuten selbst aus, weil Behrmann im Mittelfeld alles weggesaugt hatte.

Erst ein Mittelfußbruch stoppte das Talent. Als junger Mann den Traum vom Profifußball zu begraben, war nicht einfach. "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen", sagt Behrmann. Aber er habe gelernt, dass andere Dinge im Leben wichtig sind. Dass er als Amateurfußballer glücklich sein kann. Dass Job und Freunde glücklich machen. Behrmann wechselte wieder nach Drochtersen und reifte dort endgültig zur Führungspersönlichkeit, zur Identifikationsfigur mit "Legendenstatus", wie D/A-Präsident Rigo Gooßen vor einigen Tagen bei der Verabschiedung Behrmanns als aktiver Spieler erklärte.

"Sören ist natürlich ein Mentalitätsmonster, wie in Drochtersen immer so schön gesagt wird. Was Drochtersen stark gemacht hat, hat Sören verkörpert. Er stand sinnbildlich für die Mentalität. Im Moment sehe ich noch keinen, der die Rolle übernehmen kann", sagt D/A-Trainer Lars Jagemann. Jagemann war einer, der Behrmann geprägt hat. Gleiches gilt für seine Familie. Zu seinen Mentoren zählt Behrmann auch Weggefährten wie Enrico Maaßen, Jan Koch, Thomas Johrden, Danny-Torben Kühn oder Sascha Martens. Die Liste ist lang.Das erste Training ohne den Kapitän stand an einem Dienstag an. Behrmann kam in zivil. Die Kollegen fragten schon, ob er verletzt sei. Vom Ende seiner aktiven Zeit wusste nur ein handverlesener Kreis. "Es war schwierig, so lange nichts zu sagen", sagt Behrmann. Er zögerte, weil er sich sicher sein wollte. Am Mittwoch nach dem ersten Training der Saisonvorbereitung habe er ein gutes Gefühl gehabt, ein Gefühl der Erleichterung, dass seine Personalie jetzt endlich bekannt war.

Jetzt wechselt Behrmann ins Drochterser Teammanagement und entscheidet mit D/A-Präsident Rigo Gooßen und dem Trainer gemeinsam, wer in die D/A-Familie passt. Behrmann nutzt sein Netzwerk, seine Kontakte, um neue Spieler nach Kehdingen zu lotsen. "Ich freue mich auf die neue Aufgabe", sagt er. Wobei sie so neu gar nicht ist. In den vergangenen Monaten fädelte er bereits die meisten Wechsel ein oder führte mit den Spielern, die der Verein unbedingt langfristig binden will, Personalgespräche.

Behrmann sinniert am Elbstrand auf Krautsand über die vergangenen 27 Jahre als Fußballer. Am Anleger sitzt er oft. "Das fühlt sich wie Urlaub an", sagt Behrmann. Zum Abendessen gibt es Fitnesssalat oder Currywurst mit Pommes. Bilder schießen ihm in den Kopf. Wie er mit seinen Freunden Bootstouren nach Kollmar unternommen hat. Oder wie er schwimmend in einer wasserdichten Box, das Essen mit seinem Kumpel für die Freundinnen direkt bis zum Boot lieferte.

Behrmann lächelt. Er könnte auch ohne diesen ganzen Bahnhof um seine Person gut leben. Rigo Gooßen versuchte lange, seine Nummer 13 umzustimmen, was den Rückzug aus dem aktiven Geschäft angeht. Jetzt will ihm der Verein auch noch ein Abschiedsspiel schenken.

Karriereende? Das klingt für Behrmann völlig überhöht. "Karriereende ist, wenn Leute wie Lahm oder Schweinsteiger aufhören", sagt Behrmann. Für ihn sei der Fußball Hobby gewesen. Er habe viel für sein Hobby geopfert und dabei tolle Erfolge eingefahren. D/A-Neuzugang Tjorve Mohr, Innenverteidiger wie Behrmann, habe ihm vor einigen Tagen erzählt, er fühle sich, als spiele er schon zwei, drei Jahre in Drochtersen. "Solche Leute brauchen wir", sagt Behrmann. Sein Job ist es, diese Spieler zu finden. Diese Charakterköpfe.Wie er als Fußballer einer war.

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Aufrufe: 01.8.2021, 07:55 Uhr
Tageblatt / Von Daniel BerlinAutor