2024-05-16T14:13:28.083Z

Halle
Eines der wenigen fußballerischen Highlights: Natnael Tega mit dem FC Gießen gegen den MTV 1846.	Foto: PeB
Eines der wenigen fußballerischen Highlights: Natnael Tega mit dem FC Gießen gegen den MTV 1846. Foto: PeB

Neuausrichtung dringend gefragt

HALLE: +++ Gießener Hallenstadtpokal mit Akzeptanzproblemen / Zwei Tage als schlechte Entscheidung / TSV Kleinlinden bewirbt sich +++

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giessen. „Früher war mehr Lametta“. Opa Hoppenstedt wusste das schon 1976. Knapp 44 Jahre nach der Schöpfung durch den kongenialen „Loriot“ sind diese vier Wörter das Synonym für all das, was sich auf die vermeintlich „gute, alte Zeit“ beruft. Ob es die jemals gab, ist eine Frage der Perspektive, fast schon einen philosophischen Disput wert.

Zu hochtrabend sollte man aber nicht werden, denn hier geht es nur um Fußball, genauer: den Hallenstadt-Pokal. Loriots Spruch ist seelenverwandt mit der Aussage einer jungen Frau, die am zweiten Tag des 33. Gießener Stadtpokals vor der Osthalle sagte: „Hier haste‘ beim Rauchen mehr Unterhaltung als beim Fußball.“ Recht hatte sie, wenn man insbesondere die Qualität der Spiele vom Freitag nimmt. Zu stark die Leistungsunterschiede, die gar zu einem 12:0 des FC Gießen II gegen den FC Besa Gießen in zwölfminütiger Spielzeit führten, zu klar da schon, dass es nur das Endspiel MTV 1846 gegen den Verbandsligisten geben würde, was dann nur deshalb als vorgezogenes (Halb)Finale lief, weil Rödgen dem FCG mit 6:4 spektakulär in die Suppe spuckte. Dass Türkiyemspor dank überzeugender Auftritte schließlich im Endspiel stand, wenn auch 1:6 bei der Oneman-Show Natnael Tegas unterlag, versöhnte zumindest sportlich für viel Hallenkickerei auf Flachdachniveau. Froh sein durften die Zuschauer zumeist, dass mit Bande gespielt wurde, ohne wäre der Ball bei vielen Partien mehr im Aus als im Feld gewesen. Apropos Zuschauer: 500 bis 600 Tribünengäste bildeten eine enttäuschende Kulisse, was etwas über die abnehmende Akzeptanz der Traditionsveranstaltung aussagt.

Denn auch wenn Willi Klein, Klaus-Dieter Adams, Matthias Günther und viele andere Gießener Gesichter und Fußball-Heroes sich blicken ließen, ebensoviele „bekannte Nasen“ aus vergangen Zeiten fehlten. Vorbei die Zeit, als in der Osthalle um drei Uhr in der Frühe die letzten Stadtpokal-Partygäste aus dem Foyer gekehrt wurden.

Die Gießener Fußball-Familie feiert Weihnachten nicht mehr in der Osthalle, denn die prägenden Charaktere früherer Jahre, wie der unvergessene Ralf Rennert, Mocca Meyer, Michael Moser, Hubi Hess oder Andi Klein, um nur einen Bruchteil zu nennen, ist ja schon lange nicht mehr am Start. Die Rivalitäten zwischen „die“ Freie, dem ASV, Sachsenhausen oder auch Wieseck und VfB 1900 (den es gar nicht mehr gibt), sind längst zu Schein-Gefechten verkommen. Entweder hat jeder Akteur schon bei drei Vereinen gespielt oder ist zu jung, um die traditionsreichen Wurzeln noch zu kennen. Die Halle tobt nicht mehr, was im Fall der Fälle zwar auch verhindert, dass es an der Theke mal „Fratzengeballer“ gibt. Klar, das wollte und will keiner. Aber ganz ehrlich: Man muss durchaus zugeben, dass die Hochemotionalität zum Reiz der Veranstaltung dazugehörte. Nein, der Gießener Stadtpokal ist zu einem 0815-Hallenfußballtunier für und mit Gießener Mannschaften geworden. Einem Turnier, das in diesem Jahr zudem unter dem Modus litt. Das Programm an zwei Tagen durchzuziehen, was auch immer der Grund dafür war, war keine gute Idee. Die Vorrunden als Hängepartien in den Samstag mitzunehmen, war unklug, hatte auch zur Folge, dass am Freitag manches Team zu lange sitzen musste. Jeder, der mal gekickt hat, weiß, dass es nichts Schlimmeres gibt, als bei solch einer Veranstaltung unnütz lange herumzusitzen, ohne spielen zu können.

Auch der MTV als Veranstalter ließ es diesmal, nach zuvor ideenreicher Organisation, beim business as usual bewenden, keine Extra-Auftritte (der Cheerleader), kein Einlagespiel von Jugend oder ID-Truppe, kein Kuchenbuffet. Abnutzungserscheinungen im dritten Jahr als Ausrichter, nachdem beim ersten Event noch allerlei Innovationen das Fußballer-Herz erfreuten. Was freilich auch damit zu tun hat, wie viel für die Kasse bleibt bei so einem Aufwand. Es ist gelinde gesagt eine Zumutung, welche Auflagen ein Verein erfüllen muss. Höhepunkt des Katalogs an Unzumutbarkeiten ist dabei die Security, die verpflichtend nach dem Rechten sieht, und mit viel Personal ein Heidengeld kostet. Als der MTV in den späten 90ern das Turnier schon einmal ausrichtete, stellte man aus eigenen Reihen die Ordner. Damals war mehr los, mehr Lametta, ging es mehr zur Sache, geklappt hat es trotzdem reibungslos. Der Trend zur Gefahrenabwehr, der Hand in Hand mit Brandschutz und Sicherheitswahn unsere Gesellschaft im bürokratischen Würgegriff hält, schlägt erbarmungslos zu. Ein bisschen mehr (unbürokratische und finanzielle) Unterstützung stünde der Sportstadt gut zu Gesicht. Dafür dass es Stadtpokal heißt, kommt auch von der Stadt Gießen zu wenig.

Und die Vereine? Davon gibt es immer weniger, die das Ereignis noch stemmen können. Zu klein, zu zersplittert, auch da zu wenig Fußballfamilie. So darf man resümieren, dass der Gießener Stadtpokal nicht zwangsläufig am Ende ist, aber vor einer Wende steht. Der nächste Verein, der als Ausrichter das Event übernimmt, darf gerne auf die Ideen des MTV aus Jahr eins zurückgreifen, muss aber ansonsten auch strukturell etwas tun. Eine Öffnung weg vom reinen Gießener Stadtpokal wäre gut. Drei Tage anstelle der zwei besser. Gegebenenfalls auch eine vorgeschaltete Runde für die „kleinen“ Vereine und die Integrierung der Jugend. Derlei Überlegungen gibt es schon, wie zu hören ist. Der TSV Klein-Linden will sich für 2020 bewerben, eine Task Force inclusive Kreisfußballwart soll es geben. Ziel ist die Wiederbelebung der Traditionsveranstaltung. Auf dass wieder mehr Lametta ist, nicht so wie früher, aber anders. Und ähnlich glänzend.

Aufrufe: 031.12.2019, 08:00 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor