2024-04-29T14:34:45.518Z

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Volkan Tekin war einst Deutscher A-Jugend-Meister mit Mainz 05, doch Verletzungen und schlechte Berater hinderten ihn an einer Profikarriere. Heute spielt er in der Verbandsliga bei Dersim Rüsselsheim
Volkan Tekin war einst Deutscher A-Jugend-Meister mit Mainz 05, doch Verletzungen und schlechte Berater hinderten ihn an einer Profikarriere. Heute spielt er in der Verbandsliga bei Dersim Rüsselsheim – Foto: stock.adobe/Güney

"Ich hatte sehr viel Pech in meiner Karriere"

Serie - Teil 24: Mit Tuchel und Schürrle wurde Volkan Tekin 2009 Deutscher A-Jugend-Meister +++ Verletzungen und wenig Glück bei Transfers

Rüsselsheim. Eine Sache hat Volkan Tekin mit dem 96-fachen argentinischen Nationalkeeper Sergio Romero gemeinsam: Nur Mario Götze kam an ihm vorbei. Für Romero bedeutete dies 2014 ein verlorenes WM-Finale. Tekin war es egal. 2009, die U19 von Mainz 05 gewinnt 2:1 gegen den BVB, wird erst- und einmalig Deutscher Meister. Volkan Tekin steht im Tor, Volkan Tekin stemmt die Schale hoch.

Duell mit dem späteren Weltmeister: Tekin im Zweikampf mit Mario Götze, der die deutsche Nationalmannschaft fünf Jahre später zum WM-Titel in Brasilien schießen wird.
Duell mit dem späteren Weltmeister: Tekin im Zweikampf mit Mario Götze, der die deutsche Nationalmannschaft fünf Jahre später zum WM-Titel in Brasilien schießen wird. – Foto: imago/Alfred Harder

Die Nachwuchsleistungszentren wecken Träume. Man trainiert und spielt dort, wo auch die Profis zu Hause sind, sieht ihre ikonischen Bilder an der Wand, lernt sie kennen, trägt dieselben Farben, dasselbe Wappen. Auch die Rationalsten unter den Jung-Fußballern entwickeln da Sehnsüchte, Ambitionen. Sie alle müssen, weil es für die meisten nicht zu Profis, Bundesliga- und Nationalspielern reicht, mit Enttäuschungen klar kommen. Erst recht, wenn man mal die Schale in der Hand hielt, zum deutschlandweit besten Team seines Jahrgangs zählte.

Strahlender Champion: Tekin präsentiert die Trophäe für die A-Jugend-Meisterschaft.
Strahlender Champion: Tekin präsentiert die Trophäe für die A-Jugend-Meisterschaft. – Foto: imago/Martin Hoffmann

André Schürrle und Jan Kirchhoff, Petar Sliskovic und Eugen Gopko, die Namen sind noch präsent. Andere hatten und haben gute Amateur-Karrieren, wieder andere verschwanden komplett von der Bildfläche. Die meisten aus der Meister-Mannschaft halten Kontakt, über eine gemeinsame Chat-Gruppe, in der auch Nachwuchschef Volker Kersting oder der aktuelle U17-Trainer Sören Hartung sind. Zum Zehnjährigen gab es eine Feier. Die Jungs, die 05 zum Meister machten, das hallt nach, war im Rückblick für viele der Karriere-Höhepunkt. Für Tekin war es lange auch ein Ansporn. Fast ein Jahrzehnt dauerte es, bis er sich vom Traum, der damals, im Mainzer NLZ, geweckt wurde, lösen konnte.

"Zeit bei 05 war super"

Neulich, im Gespräch mit dem Wiesbadener Kurier, erinnerte sich Tekin noch einmal an Götzes Tor. Das von 2014. „Ich habe das Tor bejubelt, dann aber auch sofort gedacht: Mit den Jungs hast du zusammengespielt. Jetzt sind sie Profis und sogar Weltmeister, und du spielst in der Verbandsliga beim FV Biebrich“, sagte er damals. Das eigene Finale hallte nach. 28. Juni 2009, „bis zu diesem Tag lief alles super“. Als Fünfjähriger begann der gebürtige Wiesbadener bei Schwarz-Weiß Wiesbaden mit dem Fußballspielen, im Sturm, links hinten, im Tor. Alles ging. Als C-Jugendlicher trug er erstmals das 05-Dress, später auch die Kapitänsbinde. „Die Zeit bei 05 war super, hat mir sehr viel Spaß gemacht“, erzählt Tekin, „unser Teamgeist, unser Spielverständnis waren hervorragend.“

Tuchel nimmt ihn zu den Profis

Ein anderes Datum ist ebenfalls eingebrannt ins Gedächtnis: der 15. September 2009. U19-Meistertrainer Thomas Tuchel war zum Profi-Chefcoach befördert worden und nahm Tekin mit ins Profi-Training. Die Einheiten unter dem aktuellen Chelsea-Trainer waren etwas Besonderes, schon zu A-Jugend-Zeiten. „Er hat uns taktisch extrem entwickelt, gab der Mannschaft einen Riesen-Schub. Am Saisonanfang hätte ich nie gedacht, dass wir ins Meisterschaftsfinale kommen könnten.“ In der Vorbereitung wurden nur ganz am Anfang Runden gedreht, dann ging alles mit Ball. Hoch modern, hoch effektiv. „Wir haben ab der 60. sehr viele Spiele noch gewonnen.“

Nach Verletzung fällt er in ein mentales Loch

Vollgepumpt mit Selbstvertrauen und Ambitionen, startete Tekin in sein erstes Aktiven-Jahr, als Teil des Regionalliga-Kaders, aber immer wieder mit Gelegenheiten sich im Profi-Training zu behaupten. Bis ihm ein Mitspieler in einer Eins-gegen-Eins-Situation unabsichtlich, unglücklich aufs Schienbein fiel. Tekin musste vom Platz getragen werden. Starke Prellung, hieß es. In Wirklichkeit war das Syndesmoseband gerissen. Die Verletzung, die Fehldiagnose kosteten den jungen Keeper Monate, er fiel in ein Loch. „Danach habe ich lange gebraucht, um wieder auf mein altes Niveau zu kommen.“

"Hätte lieber einen deutschen Pass gehabt"

Bei Mainz 05 II blieb Tekin ohne Einsatz. „Ich hatte sehr viel Pech in meiner Karriere“, blickt er zurück. Schon im Winter seiner Meister-Saison lag ein Erstliga-Vertrag aus der Türkei auf dem Tisch. Tuchel riet ihm zum Verbleib, sah Potenzial. Mit dieser Entscheidung hadert Tekin nicht, Meister zu werden, das nimmt einem niemand. Mit vielen anderen schon. Als die türkische U21 und U23 riefen, habe er nicht abreisen dürfen, weil im Klub Torwart-Knappheit herrschte. „Ich hätte lieber einen deutschen Pass gehabt“, blickt der gebürtige Wiesbadener mit türkischer Staatsbürgerschaft auf seine Teenager-Zeit zurück. In der Südwest-Auswahl waren die Ausländer-Plätze reglementiert. „Als deutscher Jugend-Nationalspieler wäre meine Zukunft besser gewesen.“

Wehen Wiesbaden: Viele Versprechungen nicht eingehalten

Ein Jahr, nachdem er am Bruchweg die Schale in die Luft hob, verließ Tekin die 05er. Bei Wehen Wiesbaden II habe es viele Versprechungen gegeben, die nicht gehalten wurden. Nur ein Regionalligaeinsatz sprang heraus. „Ein Schuss ins eigene Bein“, sagt Tekin heute.

Im Dress vom SV Wiesbaden absolvierte Volkan Tekin 20 Einsätze in der Hessenliga in der Saison 13/14.
Im Dress vom SV Wiesbaden absolvierte Volkan Tekin 20 Einsätze in der Hessenliga in der Saison 13/14. – Foto: Tom Klein

SV Wiesbaden und Biebrich hießen die nächsten Stationen. Der Profitraum lebte, der Abstand wurde immer größer. In der Rückrunde 2014/15 ging es zurück nach Mainz, zu Oberligist SV Gonsenheim. Tekin präsentierte sich in glänzender Form, spricht im Rückblick von einer tollen Zeit. Sie brachte ihm einen Profivertrag, bei der Spvgg. Neckarelz.

Zugepackt: Volkan Tekin im Dress des SV Gonsenheim.
Zugepackt: Volkan Tekin im Dress des SV Gonsenheim. – Foto: Claus-Walter Dinger

Er schaffte es, den designierten Stammkeeper zu verdrängen. Doch das Pech blieb ihm treu. Der erste Fall, so fühlte es sich an, in den Amateurfußball war schwer für ihn. „Ich musste damit klar kommen, es nicht geschafft zu haben, dass die Blase geplatzt ist. Auch wenn die Hoffnung noch da war.“ Am Odenwald schien der Sprung doch noch zu klappen. Doch bald rückte die Steuerfahndung an. Es ging, im Juristendeutsch, um die nicht gesetzeskonforme Behandlung von Entgeltzahlungen im Rahmen von Arbeitsverhältnissen, und zwar in 645 Einzeltaten. Schon in der Winterpause suchten zahlreiche Spieler das Weite, in den folgenden drei Jahren ging es drei Spielklassen hinab. Tekin ging zum Saisonende.

Voller Einsatz als Profi: Für die Spvgg. Neckarelz läuft Tekin in der Regionalliga auf, wie hier gegen den SV Waldhof Mannheim und Philipp Förster, der heute bei Stuttgart in der Bundesliga spielt.
Voller Einsatz als Profi: Für die Spvgg. Neckarelz läuft Tekin in der Regionalliga auf, wie hier gegen den SV Waldhof Mannheim und Philipp Förster, der heute bei Stuttgart in der Bundesliga spielt. – Foto: Danny Galm

Der nächste Profivertrag, diesmal in der türkischen zweiten Liga, platzte, weil der Klub einer Transfersperre unterlag. „Da habe ich gesagt, es ist wahrscheinlich mein Schicksal.“ Eine Ausbildung hatte Tekin nicht, seine Lehre als Fitnesstrainer zu Wiesbadener Zeiten abgebrochen. „Ich dachte, es wird mit Fußball funktionieren.“ Nach dem Aus in Neckarelz wollte er vom Fußball nichts mehr wissen, schaute monatelang keine Spiele, reagierte nicht auf Nachrichten seiner Kumpels. Dann bat sein Bruder ihn, bei Karadeniz Wiesbaden auszuhelfen. „Spaß haben, ein bisschen kicken“, danach stand ihm der Sinn.

Fassungslos: Bei SKG Karadeniz spielt Tekin eine Saison in der Kreisoberliga Wiesbaden.
Fassungslos: Bei SKG Karadeniz spielt Tekin eine Saison in der Kreisoberliga Wiesbaden. – Foto: Tom Klein

So richtig warm geworden ist Volkan Tekin mit dem Amateurfußball noch nicht. Die Messlatte, die das Leistungszentrum am Bruchweg damals gesetzt hatte, hängt hoch. Ja, um die Ernährung hätte er sich mehr kümmern sollen. Und das mit der Pünktlichkeit war nie seine größte Stärke. Doch im Training, auch in der Kraftkammer, habe er sich nie hängen lassen. Pech habe er oft gehabt, schlechte Berater.

Mit Türk Gücü Rüsselsheim wird Tekin (weißes Trikot, ganz rechts) Meister in der Kreisoberliga Darmstadt/Groß-Gerau - in einem epischen Saisonfinale gegen den SV Dersim Rüsselsheim vor Tausenden Zuschauern.
Mit Türk Gücü Rüsselsheim wird Tekin (weißes Trikot, ganz rechts) Meister in der Kreisoberliga Darmstadt/Groß-Gerau - in einem epischen Saisonfinale gegen den SV Dersim Rüsselsheim vor Tausenden Zuschauern. – Foto: Dominik Claus

Spaß hatte er zwei Jahre als Torwarttrainer bei Hassia Bingen. Und Erfolge konnte er feiern, neben dem Sprung mit der Hassia in die Oberliga gelangen ihm als Aktiver drei Aufstiege mit Türk Gücü und Dersim Rüsselsheim. Schöne Momente, klar, aber viele Worte verliert er darüber nicht. Der Fokus liegt auf dem Beruflichen. Tekin, der im Raum Hanau wohnt, arbeitet in Außendienst und Akquise für das auf Waschraumhygiene spezialisierte Unternehmen CWS. „Ich hoffe und denke, dass ich jetzt angekommen bin“, sagt er. Ein lautes „endlich“ schwingt mit.

Nun läuft Tekin für den SV Dersim Rüsselsheim auf, der mittlerweile in die Verbandsliga aufgestiegen ist.
Nun läuft Tekin für den SV Dersim Rüsselsheim auf, der mittlerweile in die Verbandsliga aufgestiegen ist. – Foto: Dominik Claus
Aufrufe: 010.3.2022, 05:00 Uhr
Torben SchröderAutor