2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines
– Foto: Timo Babic

Für Blin­de ist ein Über­stei­ger brot­lo­se Kunst

Der deut­sche Na­tio­nal­spie­ler Da­ni­el Hoß gibt den U15-Mäd­chen und den U19-Jun­gen des SC Rhen­a­nia Hoch­dahl im Trai­ning ei­ne ein­drucks­vol­le Ein­füh­rung in den Blin­den­fuß­ball. Se­hen­de Ki­cker kön­nen von der be­ein­dru­cken­den Ge­schick­lich­keit blin­der Fuß­bal­ler ler­nen.

Skep­tisch nä­hern sich die U19-Jun­gen des SC Rhen­a­nia Hoch­dahl dem mit ma­gen­ta­far­be­nen Ban­den ab­ge­trenn­ten Spiel­feld auf dem Sport­platz an der Grün­stra­ße. Es ist Frei­tag­abend, die letz­te Trai­nings­ein­heit vor dem zwei­ten Co­ro­na-Lock­down und die jun­gen Her­ren wis­sen of­fen­kun­dig nicht, was sie an die­sem Abend er­war­tet. Ihr Trai­ner Chris­ti­an Schu­ma­cher, der zu­gleich Ju­gend­lei­ter im Hoch­dah­ler Ver­ein ist und die­se be­son­de­re Trai­nings­ein­heit der Deut­schen Te­le­kom für den SC ein­stiel­te, hat nur we­ni­ge In­fos durch­si­ckern las­sen und freut sich um­so mehr auf die Re­ak­ti­on sei­ner Schütz­lin­ge. „Das wird ei­ne kom­plett neue Sport­er­fah­rung für sie“, pro­phe­zeit Schu­ma­cher.

Mit­ten auf dem Feld steht Blin­den­fuß­bal­ler Da­ni­el Hoß mit Schal­ke-Cap­py auf dem Kopf be­reit und be­grüßt die Mann­schaft. Im Schat­ten des Vi­siers ist gar nicht zu er­ken­nen, dass der ge­bür­ti­ge Wup­per­ta­ler die Au­gen ge­schlos­sen hat. Er ist seit sei­ner Ge­burt blind, er­klärt er den ju­gend­li­chen Fuß­bal­lern. Ein kla­res Han­di­cap, aber kein Grund, sei­ner sport­li­chen Lei­den­schaft nicht nach­zu­ge­hen, ver­si­chert er den auf­merk­sam zu­hö­ren­den, aber of­fen­kun­dig un­gläu­bi­gen U19-Spie­lern.

Um den Ball oh­ne Au­gen­licht übers Feld zu ma­nö­vrie­ren und treff­si­cher ins Netz zu schie­ßen, ver­lässt sich der 33-Jäh­ri­ge auf sein Ge­hör, das in die­sem Fall wie ein Kom­pass funk­tio­niert. Im et­was an­de­ren, klei­ne­ren Fuß­ball ra­schelt es, so­dass Hoß zu je­der Zeit weiß, wo sich der Ball be­fin­det. Hin­ter dem Tor, er­klärt er wei­ter, be­fin­det sich beim Blin­den­fuß­ball ein so­ge­nann­ter Gui­de, der über sei­ne Stim­me den Blin­den­fuß­bal­lern ei­ne Ori­en­tie­rung bie­tet, in wel­che Rich­tung sie sich be­we­gen und wo­hin sie schie­ßen müs­sen. Auch die Ge­gen­spie­ler ma­chen sich über den Aus­ruf „voy“ (spa­nisch: „ich ge­he“) auf­merk­sam.

Als die Tech­nik er­klärt ist, geht es end­lich ans Ein­ge­mach­te: Die Fuß­bal­ler tei­len sich in zwei Grup­pen auf und er­hal­ten ei­ne Art gro­ße Ski­bril­le, mit der sie nichts mehr se­hen kön­nen. Die ers­te Übung: Ei­ne lus­ti­ge Po­lo­nai­se, zu­min­dest für die Zu­schau­er, die das un­be­hol­fe­ne Spek­ta­kel der Jungs be­ob­ach­ten. Sie stel­len sich auf und hal­ten sich an den Schul­tern ih­res Vor­der­man­nes fest. Al­le ha­ben die Bril­le auf der Na­se, au­ßer dem Letz­ten in der Schlan­ge. Er ist der Steu­er­mann und muss sei­ne Grup­pe durch das Feld na­vi­gie­ren. Die Rich­tung weist er ih­nen an, in­dem er die lin­ke oder rech­te Schul­ter sei­nes Vor­der­man­nes be­rührt. Das Si­gnal muss bis an den Kopf der Schlan­ge durch­kom­men, erst dann kann der Ers­te in der Rei­he die Rich­tung des mensch­li­chen Zu­ges än­dern.

Zu­ver­sicht­lich und schmun­zelnd star­ten die Jungs in den bei­den Grup­pen in die Chal­len­ge, um dar­auf­hin schnell fest­zu­stel­len, dass es gar nicht so ein­fach ist. Mehr­fach kra­chen die bei­den Zü­ge in­ein­an­der, was lau­tes La­chen beim Trai­ner aus­löst. So un­ko­or­di­niert und hilf­los hat Schu­ma­cher sein Team schon lan­ge nicht mehr ge­se­hen. Doch nach ei­ni­gen Mi­nu­ten sieht das Gan­ze schon ganz an­ders aus. Die Spie­ler schei­nen sich an die neue Si­tua­ti­on ge­wöhnt und ein­ge­spielt zu ha­ben. Na­he­zu pro­blem­los be­we­gen sich die bei­den Zü­ge durchs Feld. Zeit al­so für die nächs­te Übung, be­fin­det Chef­coach Hoß.

Beim Dribb­ling müs­sen die Ki­cker be­wei­sen, ob ih­re Sin­ne scharf ge­nug sind, um den Ball bis vors Tor zu brin­gen und dann hin­ein zu schie­ßen. „Mach ei­nen Über­stei­ger“, for­dert ei­ner der Jungs sei­nen Team­kol­le­gen am Ball von der Ban­de aus auf. Hoß horcht auf. „Was soll ein Über­stei­ger im Blin­den­fuß­ball brin­gen“, fragt er. Der Mann­schaft geht plötz­lich ein Licht auf. Sie müs­sen la­chen. Tricks und „Jo­go bo­ni­to“ brin­gen in die­ser Sport­art näm­lich über­haupt nichts. Ef­fek­tiv muss es sein und das klappt hier, wie üb­ri­gens auch im nor­ma­len Fuß­ball, durch Kom­mu­ni­ka­ti­on und Ko­or­di­na­ti­on.

Die­se Er­kennt­nis neh­men auch die Spie­le­rin­nen der U15 nach die­ser Trai­nings­ein­heit mit. „Das war schon sehr in­ter­es­sant“, sagt die 13-jäh­ri­ge Ame­lie. „Ge­lernt ha­be ich aus die­ser Er­fah­rung, dass wir, egal wie schwie­rig et­was zu sein scheint, es doch ma­chen kön­nen, wenn wir uns an­stren­gen.“

In­fo: Den Be­hin­der­ten­sport ver­ste­hen ler­nen

Die Deut­sche Te­le­kom bie­tet seit ge­rau­mer Zeit Ver­ei­nen die­se au­ßer­ge­wöhn­li­chen Trai­nings­ein­hei­ten im Blin­den­fuß­ball. Das in­te­gra­ti­ve För­der­pro­jekt soll Ju­gend­li­chen zei­gen, wel­che Leis­tun­gen be­hin­der­te Sport­ler er­brin­gen, in­dem sie selbst aus­pro­bie­ren, wie an­spruchs­voll ei­ne Ori­en­tie­rung oh­ne Seh­ver­mö­gen ist.

Das Kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­ter­neh­men en­ga­giert sich seit 2006 für den Be­hin­der­ten­sport.

Aufrufe: 08.11.2020, 11:00 Uhr
RP / Cristina Segovia-BuendiaAutor