2024-06-17T07:46:28.129Z

Interview
Der Sportpsychologische Experte Vincent Rödel. F: Bock
Der Sportpsychologische Experte Vincent Rödel. F: Bock

"Energie hat diesen großen Willen, gemeinsam aufzusteigen"

Sportpsychologische Experte Vincent Rödel im FuPa Brandenburg-Interview

Seit zwei Jahren berät und begleitet der Sportpsychologische Experte Vincent Rödel Regionalliga-Meister Energie Cottbus. Im großen FuPa Brandenburg-Interview haben wir uns mit Ihm über seine Arbeit, den Druck im Profifußball und die mentale Stärke des FCE unterhalten.

Herr Rödel, was genau sind Ihre Aufgaben als Sportpsychologischer Experte?

Das Aufgabengebiet ist sehr vielfältig. Es ist nirgendwo genau vorgeschrieben. Eine konkrete Aufgabe ist die mentale Gesundheit der Spieler und Trainer. Daran arbeiten wir. Ich habe aber auch schon häufiger gehört: ‚Vincent, du bist für die Einstellung der Spieler verantwortlich‘. Das ist aber nicht meine Aufgabe. Jeder Spieler ist für seine eigene Einstellung verantwortlich. Ich kann ihn dabei unterstützen, wenn jemand sagt, dass er nicht die richtige Einstellung hat und da wieder hinkommen muss. Ich bin eine Unterstützung des Trainerstabs im Bereich Sportpsychologie. Dazu gehören viele Themen, wie z.B.: Wie gehen wir miteinander um? Wie gehen wir miteinander um als Mannschaft? Wie gehen miteinander um im Verein? Was bedeutet es eigentlich, gut miteinander umzugehen? Wie kann ich mich und wie können wir uns gemeinsam weiterentwickeln?

Werden diese Themen im Team gemeinsam entwickelt oder arbeiten Sie mit einem fertigen Plan, der nur noch umgesetzt werden muss?

Jede Mannschaft und jeder Mensch ist unterschiedlich. Deswegen gibt es keinen vorgeschriebenen Plan. Es gibt aber Fragen, die man stellen kann. Ein Fragenkatalog wäre also ein solcher Plan, den man in einer bestimmten Situation stellen könnte, um jemanden zu seiner eigenen Entwicklung und Lösung zu bringen. Ich bin ein Angebot für Spieler, Trainer und Funktionäre, um Lösungen für Themen zu finden. Dieses Angebot kann jeder nutzen. Sie können mich kontaktieren und fragen, ob ich helfen kann. Dann nehme ich mir die Zeit und wir versuchen Lösungen zu finden. Denn wenn ich Lösungen für Themen finde, die in meinem Kopf sind, dann bin ich auch frei. Darum geht es schließlich: Einen freien Kopf zu haben im Spiel, um mich nur auf das Spiel fokussieren zu können.

Insgesamt geht es in meiner Arbeit auch noch um Themen wie mentale Stärke oder Wettkampfvorbereitung. Bei Energie haben aber die Spieler zumeist eine klare Vorbereitung, das sind Profis. Profi sein bedeutet für mich, dass sich Spieler und Trainer auf einen Wettkampf vorbereiten können, um an einem Punkt X topfit zu sein. Manchmal gibt es Situationen, wo das nicht mehr so funktioniert. Da wäre ich dann wieder da.

Was wäre das zum Beispiel für eine Situation?

Häufig sind es Dinge im Umfeld, die belasten. Zum Beispiel macht die Freundin Schluss oder ich bekomme ein Kind und kann damit nicht umgehen. Alle Probleme, die ein normaler Mensch hat, können zur Belastung werden. Wir überlegen uns dann gemeinsam, wie wir diese Last relativ schnell wieder loswerden. Ich stelle mir das immer vor wie ein Rucksack, den ich mit mir rumtrage. Wenn ich in diesem Rucksack zu viele Steine habe, muss ich welche loswerden. Wie werde ich Steine los? Indem ich darüber spreche und Lösungen finde. Damit wird der Rucksack leichter und ich bin nicht mehr so belastet.

Ich habe auch eine Weiterbildung in Notfallseelsorge gemacht. Das hört sich vielleicht verrückt an, aber ich bin mir sicher, das ist auch wichtig. Es können immer wieder Krisensituationen entstehen. Wen spricht man dann an? Ich bin in einer solchen Situation immer dafür da, Stabilität und Sicherheit zu geben.

Sind Sie auch der Ansprechpartner, wenn ich ein schlechtes Spiel gemacht habe oder als Torwart vielleicht mal daneben gegriffen habe?

Wäre ich schon. Am coolsten ist es aber, wenn der Spieler die Probleme selbst lösen könnte, indem er sich zum Beispiel mit den Mitspielern unterhält. Dann ist alles gut. Wenn er aber keine Lösung findet, kann ich auch einen Impuls geben, um den Spieler in die richtige Richtung zu schupsen.

Was in meinem Bereich auch wichtig ist: Zum einen ist es das Coaching. Es gibt aber auch noch das Feld der Personalentwicklung. Der Spieler ist in gewisser Weise Vereinspersonal. Wie entwickeln sich denn diese Spieler? Das haben wir vor einem Jahr bei Energie eingeführt. Inzwischen ist daraus eine feste Ebene mit regelmäßigen Terminen mit den Spielern entstanden. Wir sprechen zwei bis drei Mal im Jahr über dessen Entwicklung im Sport, aber auch darüber hinaus als Persönlichkeit. Ich überlege mir zum Beispiel immer wieder Situationen, wie ich das Selbstvertrauen der Spieler stärken kann.

Diese Entwicklung wird gemeinsam mit dem Trainerteam besprochen und ist damit auch ein Stück weit von den jeweiligen Verantwortlichen abhängig. Was passiert, wenn zum Beispiel der Trainer wechselt? Ändern sich dann auch die Entwicklungsstufen des Spielers?

Ich versuche den Spieler auch dahingehend zu entwickeln, dass er auch sein eigener Trainer ist. Klar gibt es ein Trainerteam drum herum, das Einfluss auf den Spieler hat. Aber im Grunde ist jeder erstmal für seine eigene Entwicklung verantwortlich. Wenn ich das lerne, weiß ich, dass ich unabhängig von Trainern bin. Jeder Spieler ist verantwortlich für seine eigenen Gedanken und Emotionen. Nur als eigener Trainer kann ich darauf reagieren und damit auch arbeiten. Der Trainer begleitet einen Spieler, dass er zu einem bestimmten Ziel kommt. In erster Linie ist der Spieler aber dafür verantwortlich, sich zu fragen, wo ich noch besser werden kann oder wo es noch Potenzial gibt.

Wie wird das Angebot angenommen? Psychologische Probleme und Betreuung wird nach wie vor oft noch tabuisiert. Wie nehmen das die Spieler wahr?

Ich nenne es deswegen gar nicht Probleme, sondern Themen. Ein Schwerpunktthema ist die Leistungsoptimierung. Wie komme ich dahin, in welchen Bereich kann ich noch optimieren? Sei es die Ernährung oder mit welchen Leuten ich rumhänge. Eine Kernfrage ist auch: Wo bekomme ich eigentlich die Energie her für die Dinge, die ich jeden Tag mache? Wie viel Regeneration brauche ich, wie viel Schlaf benötige ich, wie erholt oder belastet bin ich? Das sind wichtige Punkte, über die man mit jedem Spieler sprechen kann. Wichtig ist, dass jeder Spieler weiß, dass es niemandem danach schlechter geht, wenn er eine Stunde mit mir gesprochen hat.

Gibt es bei den Spielern eine spürbare Entwicklung in den Gesprächen?

Ja, das ist ganz normal. Eine Vertrauensebene muss erstmal da sein. Ich weiß gar nicht ob jeder weiß, dass ich der Schweigepflicht unterliege. Ich darf - genau wie ein Arzt - nicht darüber reden, was in dem Raum passiert. So entsteht Vertrauen innerhalb des Vereins. Diese Beziehung muss sich erst aufbauen. Den Großteil der Spieler in Cottbus kenne ich inzwischen seit zwei Jahren, die Jüngeren sogar schon seit vier Jahren. Die wissen, wann sie kommen können und über was wir reden sollen. Mein Wunsch ist, dass es ein Stück weit irgendwann Normalität wird, um am Ende den Kopf frei zu bekommen und guten Fußball zu spielen.

Ex-Nationalspieler Per Mertesacker hat vor kurzem in einem viel beachteten Interview über den hohen Druck im Profifußball gesprochen. Wie nehmen Sie den wahr?

Jeder nimmt Druck anders wahr. Da gibt es auch unterschiedliche Ansätze, wie man damit umgehen kann. Das wichtigste ist, dass die Spieler wissen, dass die Anspannung wichtig ist, um Leistung bringen zu können. Nur mit Druck ist auch Leistung da. Aber der Druck kann irgendwann zur Belastung werden, wenn er als zu groß empfunden wird. Für die, die einen zu hohen Druck empfinden, denen kann ich nur empfehlen, daran zu arbeiten. Das mache ich auch immer wieder zum Beispiel durch Entspannungstechniken. Es hängt auch davon ab, wie ich ein Spiel wahrnehme. Im Grunde ist ein Fußballspiel auch nur ein Spiel.


Fußball ist auf dem Profiniveau aber schon lange kein Spiel mehr. Das ist ein knallhartes Geschäft, da geht es um Millionen.

Das stimmt. Beim Fußballspiel steht der Gewinner nicht fest. Das ist das attraktive des Fußballs. Es ist und bleibt aber trotzdem nur ein Spiel. Natürlich ist es für viele ein Beruf oder eine Berufung. Geschäft heißt, ich muss Leistung bringen, sonst verdiene ich kein Geld. Aber fokussiere ich mich als Spieler auf das Geld? Oder fokussiere ich mich lieber auf mein Spiel? Wenn ich richtig gut spiele und mich auf meine Performance konzentriere, kann ich am Ende damit auch Geld verdienen. Der Fokus ist deswegen wichtig. Es gibt immer verschiedene Motive, warum ich etwas mache. Manche sind monetär motiviert, manche spielen einfach nur gerne. Da ist es wichtig, dass man in unterschiedliche Richtungen fördert. Das gibt es aber auch in jedem anderen Job.

Müssen eigentlich jüngere Spieler mehr gefördert werden als die alten Hasen?

Die Frage ist, wie ich jemandem fördern kann. Man kann auch einen älteren Spieler noch fördern, indem man sich gemeinsam überlegt, was er eigentlich nach seiner Karriere macht. Du kannst also immer fördern. Die Frage ist, wo der Spieler hin will. In meinem Bereich geht es darum, dass sie gut ausgebildet sind mit einer gewissen mentalen Stärke. Sie sollten wissen, was es bedeutet, Profispieler zu sein oder wie sie dahin kommen. Jeder sucht sich seine Förderer in bestimmten Bereichen. Das ist ganz wichtig, weil man manche Dinge einfach nicht alleine kann und Unterstützung benötigt.

Bei Energie Cottbus stehen das Pokalfinale und die Relegationsspiele unmittelbar bevor. In drei Partien entscheidet sich quasi die gesamte Saison und für viele Spieler dürfte diese Situation noch ganz neu sein. Greifen Sie in der Vorbereitung nochmal gezielt ein oder müssen sich die Spieler damit ein Stück weit selbst auseinandersetzen?

Ich bin ansprechbar in dieser Situation und vermittele dann auch Sicherheit und Stabilität im Hintergrund. Die Spieler haben in der Saison schon ganz viel Selbstvertrauen getankt. Da ist es wichtig, dass sie sich dessen nochmal bewusst werden, was sie schon erreicht haben. Ob deswegen noch ein Eingriff nötig ist, muss im Trainerteam besprochen werden. Insgesamt geht es darum, gut vorbereitet zu sein für diese beiden Spiele. Und ich habe das Gefühl, dass sie durch das, was sie in den letzten zwei Jahren erlebt haben, gut vorbereitet sind.


Wenn es also gut läuft, haben Sie weniger zu tun als bei Krisen?

Nicht unbedingt. Es gibt immer Spieler, die nicht spielen oder verletzt sind. Ich habe auch viele Gespräche mit dem Trainerstab über Themen. Es gibt immer etwas, was man lösen kann. Wenn es überhaupt nicht gut läuft, nehme ich wahr, dass es von außen auch Druck in meine Richtung gibt. Damit versuche ich so umzugehen wie die Spieler, bin eher ein Ruhepol und unterstütze, wenn es Phasen gibt, in denen es nicht so gut läuft. Solche Phasen hat übrigens jeder mal. Ich zeige dann demjenigen auf, wann es mal nicht so lief und wie er da wieder rausgekommen ist. Solche Phasen sind zum Lernen sehr wichtig.

Für wie wichtig halten Sie sportpsychologische Betreuung, gerade im Profibereich?

Wir sind Menschen, die häufig Leistung bringen müssen, egal ob beim Schreiben, in der Gesprächsführung oder auf dem Platz. Ich muss mich auf die Gespräche einlassen können und mental fit und ein Stück weit auch ein Vorbild sein, was die mentale Gesundheit und Stärke betrifft. Es ist aus meiner Sicht wichtig, dass es dafür eine Unterstützung gibt. Entwicklungsthemen sind häufig entscheidend. Man steigert dadurch auch seinen eigenen Wert, wenn man sich entwickelt. Ich kann die Rolle jedem Verein empfehlen. Die Frage ist, ob er es auch will. Einige Trainer zum Beispiel denken, sie können es selbst am besten.

Wurde dieser Bereich bislang vernachlässigt?

Ja. Um ein Beispiel aus meinem Alltag zu nennen: Wie führe ich eigentlich ein Gespräch? Bin ich mir bewusst, was ich mit meiner Frage in meinem Gegenüber auslöse? Weiß ich, wie ich ein Gespräch steuern kann? Wie locke ich jemanden und bekomme ihn zum Reden? Da haben viele in meinem Bereich inklusive mir noch eine Menge Entwicklungspotenzial. Das Thema Fragen stellen ist eine ganz wichtige Sache. Oder das richtige Zuhören. Das gehört alles zum großen Thema Wertschätzung. Das wird bei Energie Cottbus gelebt, gerade im Verein und in der Mannschaft. Daran hat das Trainerteam einen hohen Anteil, weil es einen Rahmen geschaffen hat, in dem die Spieler motiviert sind. Der Trainer und das Team müssen sich auf jemandem einlassen, der vielleicht auch eigene Ideen oder Lösungen hat, die sonst niemand hatte. Das kann viel Veränderung erzeugen, wenn sie offen dafür sind. Mit dieser Offenheit unterscheidet man sich von anderen Vereinen, die professionell arbeiten. Wichtig ist, wie ich diesen Menschen mit einbinde, damit alle etwas davon haben.

Kann man Ihre Rolle messen? Sie wissen, mit wem sie zum Beispiel unter der Woche gesprochen haben: Sieht man davon etwas im Spiel?

Mein Erfolg ist nicht messbar, ich bin nur ein kleiner Mosaikstein. Ich sehe es aber ab und zu auf dem Rasen, wenn dort jemand Fußball spielt und Dinge macht, die er vorher noch nie gemacht hat. Ich weiß natürlich nicht, ob es dann an mir lag. Ich sehe schon Veränderungen. Wenn es nicht an mir lag, nehme ich es aber nicht persönlich (lacht). Es macht einfach Spaß, Spieler zu begleiten und zu fördern. Ich versuche das aus der Vogelperspektive mit dem Blick von außen. So eine Rolle gab es bislang noch nicht. Ich versuche bei den Menschen, mit denen ich arbeite, bei Blockaden immer wieder Handlungsfähigkeit herzustellen. Und ihnen zu zeigen, wie ich den Fokus verändere, damit es mich nicht belastet. Auch in der blödesten Situation findest du immer noch irgendetwas positives, an dem man sich wie an einem Anker festhalten kann.

Ist Energie mental fit für den Aufstieg?

Ich habe selten so eine mental starke Mannschaft gesehen. Wie sie es schon die ganze Saison schafft, Leistung auf den Platz zu bringen, ist beeindruckend. Sie hat diesen großen Willen, gemeinsam aufzusteigen. Das kann die Mannschaft nochmal richtig pushen.

Mit Vincent Rödel sprach Sven Bock.

Aufrufe: 016.5.2018, 07:26 Uhr
Sven BockAutor