2024-06-12T11:40:35.807Z

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Spitzname "King Kong": Aleksandar Biedermann soll Wormatia Worms mit seinen Toren zum Aufstieg schießen. In der Hoffenheimer U19 konnte sich der wuchtige Stürmer einst nicht durchsetzen und für ein höherklassiges Engagement empfehlen.
Spitzname "King Kong": Aleksandar Biedermann soll Wormatia Worms mit seinen Toren zum Aufstieg schießen. In der Hoffenheimer U19 konnte sich der wuchtige Stürmer einst nicht durchsetzen und für ein höherklassiges Engagement empfehlen. – Foto: stock.adobe/Wormatia Worms

Aleksandar, der Große

Serie - Teil 23: In der Hoffenheimer U19 konnte er sich nicht durchsetzen, nun will der 92-Kilogramm-Hüne die Wormatia in die Regionalliga schießen +++ Straßenkicker aus Ludwigshafen

Worms. Und plötzlich steht er da. Aufgetaucht aus dem Nichts, aus der Düsternis der eisigen Wormser Nacht. „Letzte Minute, Männer!“, ruft Kristjan Glibo über den Kunstrasen, dann fällt der Abpraller vor Aleksandar Biedermanns rechten Fuß. Wie angezogen, als wäre das Schussbein des Stürmers ein Magnet. Der 1,87-Meter-Mann hebt den Kopf, zieht ab mit dem Innenrist, der Ball zischt ins Eck. Biedermann (27) grinst. Gelbes Leibchen über der Winterjacke, die Haare gebunden unter schwarzem Tuch, Atem, der gefriert. Im Trainingsspiel am Mittwochabend ist es das Tor zum 3:3 – nach 0:3-Rückstand. So ist das eben mit dem Biedermann. Mit dem unscheinbaren Kerl, der lieber schweigt als redet, der auf dem Platz aber die Tore für sich sprechen lässt. Auf einmal ist er da. Und gnadenlos.

An diesem Abend, um 19.20 Uhr, war es das. Kristjan Glibo klatscht, Tore verstauen, Kabine, duschen. Später wird der Cheftrainer von Oberliga-Primus Wormatia Worms über Biedermann sagen: „Ein Spieler, der mit dieser Wucht wie Aleks kommt, macht dich als Mannschaft unberechenbar.“ Im Wormatia-System war einer wie Biedermann das fehlende Puzzleteil, das letzte Steinchen fürs Mosaik – trotz einer überragenden Offensive, die zur Winterpause 54 Tore erzielt hatte. Der Klub aber suchte diese eine Sturmwaffe, die, nun ja, mit mehr Schmackes anrauscht. Glibo umschreibt das so: „Wir haben einen gebraucht, der in die Luft steigt und mal einen reinhämmert.“ Ein Kraftpaket eben, ein Koloss. Im pfälzischen Mechtersheim waren sie froh über genau diese Qualitäten: Für den Wormser Liga-Rivalen traf der 92 Kilogramm schwere Stürmer 16 Mal – bei 19 Auftritten.

Den Fußball lernt er auf den Straßen Ludwigshafens

Nun sind die Pfälzer, denen sich Biedermann im vergangenen Januar anschloss, in die Aufstiegsrunde eingezogen. Genau wie die Wormatia. Man muss sich aber natürlich fragen: Warum geht ein Angreifer, dessen Team den Erfolg durch seine Tore nährt, gerade jetzt? Wieso mitten in der Saison?

"Mich reizt die Aufstiegschance"

Die Katakomben unter der Wormser Haupttribüne, eine Kabine am Ende des Ganges. Rustikaler Charme, es riecht nach Fußballromantik, im Nebenraum wird ein Spieler auf der Massageliege durchgeknetet. Noch scheint Biedermann hier ein fremdes Gesicht zu sein. Eine Mitarbeiterin fragt vorsichtig, was er denn hier in der leeren Kabine suche. „Erste Mannschaft“, sagt er, alles gut. Das mit dem Wechsel aus Mechtersheim, erklärt Biedermann dann, das war so eine Fügung. „Nur mit der sportlichen Leistung hatte das zu tun. Mich reizt das, die Aufstiegschance in die Regionalliga. Ich will Fußball, immer mehr davon. Und ich will immer besser werden. Dafür ist es nie zu spät.“

Treffsicher: In 42 luxemburgischen Erstliga-Spielen knipst Aleksandar Biedermann (hier im Trikot von Victoria Rosport) 20 Mal.
Treffsicher: In 42 luxemburgischen Erstliga-Spielen knipst Aleksandar Biedermann (hier im Trikot von Victoria Rosport) 20 Mal. – Foto: imago/majerus

Man glaubt ihm das sofort – weil er verträumt lacht, wenn er das erzählt, dabei über den gefliesten Kabinenboden schaut. So, als würde er sich gerade an seine Kindheit erinnern. Als Fußball noch alles andere war als Profiverträge und Tausender-Gehälter, als harte Arbeit und quälenden Verzicht.

Straßenkicker der Industriestadt

Am 3. Januar 1995 kommt Aleksandar Peter Biedermann in Mannheim zur Welt. Im Süden Ludwigshafens wächst er auf, nahe des sagenumwobenen Südweststadions. Hier im Viertel tritt er auch das erste Mal an einen Ball. Auf den Straßen der Industriestadt wird er groß, barfuß und ohne Schuhe kickt er auf Spielplätzen. „Das habe ich immer gemacht – mit Bällen gespielt. So weit ich mich erinnern kann, gab es nie etwas anderes“, blickt er zurück.

Dann, mit acht Jahren, besucht der junge Biedermann sein erstes Training. Auf einem richtigen Sportplatz, mit richtigen Toren und richtigen Fußballschuhen. Er tritt in die F-Jugend des Ludwigshafeners SC ein, gleich ein Traditionsklub zum Start. Hier lernt er das Spiel, hier lernt er, sich gegen andere durchzusetzen. „Mein Bruder hat mich damals gezwungen, in den Verein zu gehen“, scherzt Biedermann, „dass das aber wirklich was werden könnte, hat man damals nicht gemerkt“. Doch es sollte wirklich was werden – spätestens ab der A-Jugend. Es musste ja irgendwie so kommen, die Fußball-Gene liegen in der Familie.

Onkel spielte bei Roter Stern Belgrad

Aleksandar Biedermann. Der Vorname kommt vom Balkan, der Nachname aus Deutschland, denn: Seine Mutter ist serbisch-mazedonischen Ursprungs, sein Vater jedoch stammt von hier. So war es Biedermanns Onkel mütterlicherseits, der einst in den goldenen Zeiten das Trikot von Roter Stern Belgrad trug, mit der Nummer 48. Heute, bei der Wormatia, erinnert auf dem Rücken des Neffen die gleiche Zahl an ein Vermächtnis. „Aus diesen Ländern habe ich meine Mentalität“, sagt Biedermann, „ich bin stur, aggressiv, ehrgeizig, habe aber vor jedem den nötigen Respekt.“

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Bei der TSG erste Erfahrungen im Profigeschäft

Im Sommer 2012, nach zehn Jahren beim LSC, ist er dann reif: Er wagt den Schritt in die U19 der TSG Hoffenheim. Erste Erfahrungen im Profigeschäft, ein leichtes Herantasten, ein Warmwerden mit Strukturen. Es ist noch nicht das große Glück, aber es ist ein neues Gefühl. Nach einem Intermezzo in Ludwigshafen widerfährt ihm 2014 schließlich eine Szene, die vermutlich der Grund dafür ist, dass er jetzt das rote Wormatia-Hemd überstreift.

Auf einem Parkplatz wird Biedermann von Kristjan Glibo angesprochen.

Im Südwesten hat er mehrere Stationen

Glibo, heute 39, hatte seine Profikarriere gerade in Sandhausen ausklingen lassen. Als Coach der Zweiten fällt ihm Biedermann im Spiel auf – er spricht ihn an, sie tauschen Nummern, der Stürmer wechselt. „Wir hatten ein sehr gutes Jahr mit ihm, sind aufgestiegen. Über die Jahre haben wir ständig Kontakt gehalten“, sagt Glibo. Acht Jahre danach werden sie wieder vereint sein. In Worms, bei der traditionsreichen Wormatia.

Während Glibo aber bis 2019 in Sandhausen bleibt, tingelt Biedermann durch den Südwesten: SC Hauenstein, Eintracht Trier – und von dort 2020 zum luxemburgischen Erstligisten Victoria Rosport. In 42 Spielen netzt er 20 Mal ein. Biedermann, die fleischgewordene Torgarantie. Bis heute hat er in 77 Oberliga-Einsätzen im Südwesten 38 Treffer geschossen.

Im Winter ablösefrei zu haben

„Er kommt über sein massiges Erscheinungsbild, er weiß, wo das Tor steht“, verrät Glibo, warum er den Angreifer unbedingt wollte. „Er erweitert einfach unsere Möglichkeiten und kommt gut an.“ Punkt. Der glückliche Umstand für die Wormatia: Im Winter nun war Biedermann ablösefrei von Mechtersheim zu haben – wohin er übrigens aus „familiären Gründen“ ging, wie er sagt. „Die Heimat hat mich zurückgeholt. Ich muss mich wohlfühlen. Ich habe alles hier vermisst.“ Den Ludwigshafener Süden, den Fußball auf der linken Rheinseite. Jetzt hofft Glibo auf seine Tore – für die Mission Regionalliga. Der Vertrag läuft bis 2023.

Warum, Herr Biedermann, hat es nicht für ganz oben, nicht für die Top-Ligen gereicht?

Ein Seufzen. Zwischen Rucksäcken, Badeschlappen und Trainingsjacken lehnt er sich nach vorne, Ellbogen auf die Knie. Dann wirft er das Beispiel ein, das für jeden Fußballer für den großen Traum steht: das von Jamie Vardy, dem Meistermacher von Leicester City, dem Weltklasse-Mann. Aus der siebten englischen Liga schoss er sich hoch. Warum solle ihm, Biedermann, das nicht auch gelingen? „Ich versuche, ein kompletter Spieler zu sein. Und ich denke, ich nähere mich dem Ziel an.“ Ein ruhiger Typ ist er, der Biedermann, aber selbstbewusst. Das weiß er, das will er. Da drückt er auch gerne mal Sprüche wie: „Schwächen hab’ ich keine“ oder „Ich bin hier, um zu helfen – und ich werde helfen“.

Öfter mal zur falschen Zeit am falschen Ort

Es sind Versprechen, die auf diese Art normalerweise Zlatan, der Große, Ibrahimovic zum Besten gibt. Biedermann aber beteuert: „Schwächen kannst du ausblenden. Du musst das tun, was möglich ist. Dann geht alles.“ Auch der Weg in die Spitze, der sich für den 27-Jährigen bisher nicht ebnete. Auf dem Markt sei er in den richtigen Momenten nie ablösefrei zu verpflichten gewesen, sagt er. Vielen Klubs war er zu teuer, nichts fürs Budget, Pustekuchen. Heute aber setzt Biedermann auf einen soliden Plan: In Leimen hat er sich gerade ein Haus gekauft, dort lebt er bald mit seiner Freundin, will sesshaft sein. Die Fahrt nach Worms, 40 Minuten, die sei es ihm wert.

Aleksandar Biedermann, den sie auf dem Platz „King Kong“ rufen, pflegt nach Toren einen speziellen Jubel. Er zeigt den nackten Bizeps, die Muckis. „Das bin ich“, sagt er, „selbstbewusst und stark“. Bei der Wormatia setzen sie Hoffnungen in ihn, und Biedermann kündigt Großes an. Nicht filigran soll er spielen, nicht chic. Er soll plötzlich einfach da stehen – und treffen.

Zur Serie: In dieser Reihe porträtieren wir ehemalige NLZ-Spieler, die den Sprung zum Profi nicht gepackt haben und nun bei Amateurteams aus der Region spielen. Sie erzählen uns, wie nah dran sie wirklich am großen Traum Profifußball waren und welche Ambitionen sie jetzt haben - sowohl auf als auch neben dem Platz.

- Teil 1: Linus Wimmer (SV Eintracht Trier)
- Teil 2: Lukas Fischer (TSG Bretzenheim)
- Teil 3: Lars Hermann (TSV Schott Mainz)
- Teil 4: Nik Rosenbaum (SV Alemannia Waldalgesheim)
- Teil 5: Joshua Iten (SG Hüffelsheim)
- Teil 6: Bilal Marzouki (FC Maroc Wiesbaden)
- Teil 7: Kevin Frey (VfB Bodenheim/TSG Mainz Futsal)
- Teil 8: Giorgio del Vecchio (TSV Schott Mainz)
- Teil 9: Marco Waldraff (SV Niedernhausen)
- Teil 10: Manuel Konaté-Lueken (RW Walldorf)
- Teil 11: Sandro Loechelt (Wormatia Worms)
- Teil 12: Marvin Esser (SG Walluf)
- Teil 13: Patrick Huth (TSG Pfeddersheim)
- Teil 14: Ilker Yüksel (Hassia Bingen)
- Teil 15: Tim Burghold (SV Niedernhausen)
- Teil 16: Noel Wembacher (RW Darmstadt)
- Teil 17: Tobias Schneider (RWO Alzey)
- Teil 18: Noah Michel (Türkgücü Friedberg)
- Teil 19: Marleen Schimmer (San Diego Waves)
- Teil 20: Deniz Darcan (SG Eintracht Bad Kreuznach)
- Teil 21: Max Pflücke (FC Basara Mainz)
- Teil 22: Jann Bangert (SV Rot-Weiß Hadamar)

Aufrufe: 08.3.2022, 06:00 Uhr
Peter-Pascal PortzAutor