2024-06-03T07:54:05.519Z

Querpass

60 Minuten sind mehr als 8!

4:4 endet das Revierderby zwischen Borussia Dortmund gegen Schalke 04. 4:4 endet auch die Partie des Herforder SV gegen SV Meppen in der Zweiten Bundesliga Nord der Frauen. Es scheint die Woche der torreichen Spiele und noch kurioseren Spielverläufe gewesen zu sein. Zu dieser Auffassung gelangt zumindestens Cheftrainerin Britta Hainke, als sie zu den Details der hochdramatischen Begegnung des vergangenen Spieltags befragt wird. Denn ihren Damen ist das Kunststück gelungen, was in dieser Saison bisher keinem anderen Verein vergönnt gewesen war: die Talentschmiede aus Potsdam zu besiegen. Und was sich da am 19. November ereignet hat, kann man getrost als ein Wechselbad der Gefühle auf höchstem Niveau bezeichnen. Am Ende war der FSV der lachende Gewinner.

Doch von Anfang an: „Wir haben 60 Minuten lang perfekten Fußball gespielt“, würdigt Hainke stolz das geschlossene und höchst disziplinierte Auftreten ihrer Elf. Mit viel Geduld und Ausdauer hatte sich der FSV in der Fremde vorgenommen, nicht allzu hoch zu stehen und damit die Räume eng zu machen, dass brandgefährliche und blitzschnelle Spielerinnen wie Lidija Kulis und Melissa Kössler nicht zum Zuge kommen konnten. Gerade Kulis, die seit Beginn der Zweitligasaison 2017/2018 aus der ersten Liga „runter“ zur Reservemannschaft gestoßen war, tut den Potsdamerinnen sichtlich gut und hat schon 10 Treffer für die „Torbienen“ erzielt. Der Plan Hainkes schien aufzugehen, sogar erschreckend gut. In der 8. Minute gingen die Gastgeberinnen in Führung. Josephine Giard hatte sich nach Zuspiel von Marie Pollmann gegen zwei Potsdamerinnen durchgesetzt und aus 20 Metern abgezogen! 1:0. Zwar schien Potsdam davon unbeeindruckt und erhöhte seinen Druck auf die Gütersloher Hintermannschaft. Sie kamen auch oft durch, doch zum Glück hatte das Schiedsrichterinnengespann gut aufgepasst und mehrmals den Angriff wegen Abseitsstellung zurückgepfiffen. Durch einen Elfmeter gelang dann aber Potsdam doch noch der verdiente Ausgleich. Kein Problem für die Gütersloherinnen, die durch diesen Gegentreffer wie beflügelt zu sein schienen und es schafften, bis zur Halbzeitpause einen 3:1 Vorsprung herauszuspielen. „Schuld“ an diesen klaren Spielverhältnissen waren vor allem das Dreiergespann Wolf, Aradini und Giard, mit denen die Potsdamer Hintermannschaft sichtlich ihre Probleme hatten. Sie bekamen diese Spielerinnen einfach nicht in den Griff. „Sie haben die Abwehrkette gut angelaufen und waren mutig in den Abschlüssen“, erklärt Hainke das Geheimnis der „dreisten Drei“. Und es sollte noch dicker für Potsdam kommen. Aradini und Giard, die beide einen Sahnetag erwischt hatten und sich munter abwechselten mit dem Toreschießen, erhöhten bis zur 58. Minute auf 5:1. „Ich dachte, ich bin im falschen Film. Was ist denn hier los? 5:1 gegen Potsdam?“, beschreibt die zu dem Zeitpunkt sichtlich ergriffene Trainerin die unglaubliche erfolgreiche Momentaufnahme. Doch dann schlug die Stunde Potsdams. Und das Herz eines jeden Fans von Minute von Minute schneller. Denn was sich in den darauffolgenden achtzehn Minuten ereignete, wird man kaum glauben können, wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen und erlebt hat: ein Torwartfehler von Rollo in der 68. Minute, die einen Flankenball unterschätzt und folglich fallengelassen hatte, ebnete den Weg für eine fulminante Aufholjagd: 2-5. Potsdam kam ins Rollen. Immer wieder gelang es ihnen über die rechte Abwehrseite durchzukommen, in den Rücken zu legen und dann eiskalt abzuschließen. Die Potsdamerinnen bewiesen gnadenlose Effektivität und drohten den FSV komplett Tor-Lawinenartig zu überrollen. 3:5 (70. Minute), 4:5 (76. Minute) 5:5 (77. Minute). „Ich habe am Seitenrand gestanden und nur noch rumgebrüllt und dachte nur, so: Was kann man jetzt machen?“, beschreibt Hainke die hochemotionale Schlussphase. Die Potsdamer Fans waren außer Rand und Band und feierten schon frenetisch eine mögliche Sensation, diewenig mitgereisten Fans wähnten sich am Rande eines Herzinfarktes. Am liebsten hätte Hainke sich ein Time – Out gewünscht, wie es beim Handball in solch dramatischen Spielmomenten möglich ist. Aber da es so etwas im Fußball nicht gibt, musste Hainke „machtlos“ ihren Spielerinnen vertrauen, die sich auf Initiative der Leitwölfinnen Hermes, Pollmann und Schmücker nach dem Ausgleichstreffer gemeinsam im Kreis versammelt hatten. Eine Maßnahme mit sichtlicher Wirkung. Die nötige (Körper-)Spannung kehrte in alle Mannschaftsteile wieder zurück und Ruhe und Konzentration zum Verschieben ein. Die Belohnung folgte prompt. In der 90. Minute krönte Aradini mit ihrem dritten Treffer des Tages eine sehenswerte Partie und stürzte Mitspielerinnen und Fans in einen Freudentaumel. Ein glücklicher Sieg, den da die Gütersloherinnen in sprichwörtlich letzter Minute eingefahren haben. "Wir haben ihn aber trotzdem verdient, denn 60 Minuten sind mehr als 8 Minuten, die den Potsdamerinnen gehört hatten!", weiß Britta Hainke mit einem breiten Grinsen fachmännisch nochmal festzuhalten.

Bildquelle: Martin Schledde (fupa.net)

Aufrufe: 026.11.2017, 15:14 Uhr
Nicu BurgheimAutor