2024-04-29T14:34:45.518Z

Spielbericht

Abwechslungsreiche Wasserschlacht

Ein Throwback

Hertha BSC Amateure Zwee – SG Blau-Weiß Friedrichshain 4:3

  1. Spieltag Bezirksliga Berlin Staffel 2 Saison 2021/2022

Sonntag, 22.08.2021 14:00 Uhr

Poststadion – Nebenplatz/Sandplatz

Ca. 35 Zuschauer

Jahrzehntelang war meine Stimmung für die Woche von Herthas Ergebnis am Wochenende abhängig. Gewannen die Mannen im blau-weiß-gestreiften Trikot, war ich vom Abpfiff bis zum nächsten Anpfiff im Grunde glücklich. Bei einer Niederlage war das natürlich andersrum. Jeder, der ebenfalls die Fahne der alten Dame im Herzen trägt, weiß daher, dass ich mehr schlechte als gut gelaunte Wochen hinter mir habe.

Dazu kamen dann auch immer die Kollegen, die sich Bayern-Fans nennen, einmal im Jahr ein Fußballspiel live sehen, aber dir erzählen wollen, was es heißt, mit seinem Verein zu leiden. Dann hast du immer, egal in welcher Firma, einen Unioner, der dich mit seinem Kiez-Club Blödsinn zulabert. „Bei Union ist das Ergebnis nie entscheidend“, ist sein Lieblingsspruch. Klar Keule, erzähl das dem Hauptmann von Köpenick. Und es gibt die, die sich gar nicht für Fußball interessieren, aber trotzdem gerne sticheln, wenn Hertha verloren hat. Aber all das war immer egal. Ich konnte das immer alles ertragen, weil ich meine Hertha liebe. Ich liebe sie bedingungslos und wäre ohne sie nicht der, der ich heute bin. Jobs und Beziehungen, die verlangten, dass ich sie verlasse, wurden beendet. Ohne Zweifel und ohne Diskussion. Auch als SAP und ein taurinhaltiges Getränk in der Dose Teile dieser Welt wurden, kamen mir keine Zweifel. Etwas genervt wurde ich dann als immer mehr Aktionen während eines Spiels von irgendeinem Sponsor präsentiert wurden. Vom Anstoß über eine Ecke bis hin zu einer Verletzungsunterbrechung. Für alles wirbt irgendein überflüssiges Produkt. Das Marketing der Hertha triggerte dann auch langsam sehr negativ. Von einem Verein der Berliner Malocher wollte offenbar keiner mehr was wissen. Ein Berliner Startup wollte man sein. Was für ein Müll. Trotzdem kein Grund, die Hertha zu verlassen. Doch ein Investor, der im Grunde zeitgleich mit der Einführung des Videobeweises in der Bundesliga bei Hertha einstieg – das waren die zwei Tropfen zu viel.

Die Corona-Pause gab mir viel Zeit, um über alles nachzudenken und nach und nach wurde mir klar, dass ich diesen Zirkus einfach nicht mehr ertrage. Für die Saison 2021/2022 werde ich mir keine Dauerkarte für die Profis von Hertha BSC mehr holen. Trotzdem liegt, genau neben meiner Tastatur eine neue Dauerkarte mit der wunderschönen Hertha-Fahne darauf. Sie berechtigt zu Besuchen von Hertha BSC III auch bekannt als die „Hertha BSC Ama Zwee“.

Ich war schon öfter bei dieser Mannschaft, die die erste Mannschaft des Hertha BSC e.V. ist. Nun werde ich, wie einige andere Fans auch, meinen Weg unter dieser Herthafahne fortsetzen.

Der heutige Morgen war trügerisch. Die Sonne ballerte nämlich mit voller Kraft auf den Kinderspielplatz, auf dem meine Frau, mein Sohn und ich den Vormittag verbrachten. Als der kleine Mann etwas später zu seinem Mittagsschlaf antrat, wurde es draußen deutlich dunkler. Und als Papa sich auf den Weg zum Poststadion machte, kamen bereits die ersten Tropfen vom Himmel.

Wieso fuhr Papa zum Poststadion? Auf dem eigentlichen Heimplatz der „Ama Zwee“ an der Behmstraße gibt es momentan ein Platzwartproblem und daher ist man gezwungen, seine Heimspiele aktuell auswärts zu bestreiten. Aber fast alle sind frohen Mutes, dass bald wieder im Schatten der Millionenbrücke gespielt werden kann. Dort sind Herthas Wurzeln, dort stand einst die Plumpe und dort soll die Zukunft der dritten Mannschaft Gestalt annehmen.

Nach einer kurzen Fahrt mit der Regio erreichte ich den Hauptbahnhof, wo mir Toby direkt in die Arme lief. Gemeinsam machten wir uns zu Fuß auf den Weg zur Spielstätte. Ein Späti auf dem Weg sorgte dafür, dass unsere Kehlen nicht zu trocken wurden. Wir hatten uns eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesehen und hatten viel zu bequatschen. Im Grunde waren wir mit der Liste von aufzuarbeitenden Themen noch nicht mal halb fertig, als wir schon das Areal des Stadions betraten. Hier ist in den letzten Jahren viel Neues entstanden und der ganze Bereich versprüht jetzt wirklich etwas Nettes und Modernes.

Das Spiel der „Ama Zwee“ sollte natürlich nicht im großen Poststadion, sondern auf einem der vielen Nebenplätze hier steigen. Diese Plätze hatten vor kurzem alle Namen Opfer rassistischer Übergriffe erhalten. So wurde einer der Plätze nach George Floyd benannt. Ein anderer wurde nach der Deutsch-Kurdin Hatun Sürücü benannt, die einem sogenannten Ehremord durch ihre Brüder zum Opfer fiel, getauft. Leider kann man nirgends erkennen, welcher Platz wie heißt. Daher hielten wir uns an die alten Namen und daran, dass das Spiel auf dem Lichtplatz steigen soll. Dort kickten aber gerade Novi Pazar gegen TuS Makkabi in einem Berlin-Liga Match. Bevor sich bei Toby und mir Verwirrung breit machen konnte, flatterte eine Nachricht von Ramon auf mein Handy: Das Spiel findet auf dem Sandplatz statt. In immer stärker werdenden Regen wechselten Toby und ich also auf den richtigen Platz und begrüßten alsbald die nach und nach eintreffende Fangemeinde der „Ama Zwee“.

Kurz bevor das Spiel angepfiffen wurde, verspürte ich das Gefühl, hier richtig zu sein. Zwar platschten immer wieder dicke Regentropfen in meinen Becher und drohten, mein Bier zu verwässern und meine Schuhe hatten auch längst aufgehört, das Wasser abzuweisen. Aber ich stand hier hinter der „Hertha BSC e.V.“-Fahne zwischen meinen Freunden und war im Begriff mir ein Herthaspiel ohne Videobeweis oder Investoren anzusehen.

Sportliche Highlights gab es im ersten Abschnitt kaum. Witzig war im Grunde nur, dass aufgrund der Anordnung der Plätze hier, zwei Bälle im ersten Abschnitt die Bezirksliga durch die Luft verließen und in der Berlin-Liga wieder den künstlichen Rasen berührten.

Erst kurz vor der Pause, in der 42. Minute, passierte auch etwas auf dem Feld. Leider nicht zu unserer Freude: Die Gäste von der Oberbaumbrücke waren in Führung gegangen. Aus einer leicht abseitsverdächtigen Position wurde der Ball in die Mitte gespielt und eingeschoben. Herthas Keeper war machtlos. Dann war Halbzeit und diese Pause will ich nutzen, um ein Lob an den Mann im Hertha Tor auszusprechen. Nominell ist er quasi der vierte Keeper der dritten Mannschaft. Eigentlich steht er im Kasten von Hertha BSCs Ü32. Trotzdem stärkte er heute seinem Team den Rücken und strahlte auch in stressigen Situationen eine routinierte Ruhe aus.

Hertha kam etwas druckvoller aus der Kabine und erzielte nach 52 Minuten den Ausgleich. Durch ein schnelles Umschaltspiel waren sie plötzlich in Überzahl vor dem Friedrichshainer Kasten. Ein schnittiger Pass in den Strafraum, eine beherzte Grätsche in die Laufbahn des Balles und es stand 1:1. Nur sechs Minuten später hatte Hertha das Spiel gedreht. Nach einer Ecke wurde die Pille mit dem Kopf ins lange Eck befördert. Der erste Angriff nach dem Wiederanpfiff brachte den Ausgleich für Friedrichshain. Mit voller Wucht wurde der Ball aus kurzer Distanz unter den Querbalken gedonnert.

Fünf Minuten nach diesem Ausgleich kam es noch dicker für alle, die es mit Hertha hielten. Durch einen Fehler im Aufbauspiel waren die Gäste plötzlich vor dem Gehäuse des Ü32 Keepers aufgetaucht. Eigentlich war die Situation durch Herthas Abwehr zwar schon fast bereinigt, aber irgendwie kam ein Spieler der SG doch noch an den Ball und versenkte ihn. Hertha rannte jetzt natürlich an und bekam in der 73. Minute einen Handelfmeter zugesprochen. Wir standen direkt hinter dem Tor der Friedrichshainer und hatten perfekte Sicht auf die Szenerie. Doch einig darüber, ob das wirklich ein Elfer war, waren wir uns nicht. Toby kommentierte unsere Regelunkenntnis: „In der Liga sind Regeln doch eh egal, oder?“

Egal war uns aber nicht, dass der Keeper den Elfer und den Nachschuss parierte. Erst recht nicht egal war uns, dass er danach in grober unsportlicher Manier den Schützen verhöhnte. Seine Mannschaftskollegen unterbanden das zwar recht schnell, doch wir hatten nun einen neuen „Liebling“ auf dem Platz. Und er sollte noch lernen, was Karma für eine Bitch sein kann. Nur vier Minuten nach seiner Aktion musste er sich von hinter seinem Tor fragen lassen, warum er denn jetzt nicht mitjubelt. Hertha hatte nämlich den erneuten Ausgleich geschafft. Eine Flanke war ungenügend geklärt worden und konnte von einem Herthaner aus relativ kurzer Distanz reingehauen werden.

Und dann kam die 92. Minute und machte dieses Spiel zu einem, welches du nie wieder vergisst: Sowohl Hertha BSC III als auch die SG Blau-Weiß Friedrichshain hatten das Visier in den letzten Minuten dieser Partie offen und wollten die drei Punkte. Dann kam Hertha in den gegnerischen Strafraum und es entstand ein heilloses Durcheinander. Bis plötzlich der Ball vor den Füßen von Herthas Nummer 10 landete. Der fackelte nicht lange, traf den Ball optimal und jagte ihn, durch die Hosenträger des Torhüters, in die Maschen. Der Jubel von Fans und Spielern dürfte locker halb Moabit aufgeschreckt haben. Mit heiseren Stimmen und gedrückten Daumen fieberten wir jetzt dem Abpfiff entgegen, der aber nicht mehr lange auf sich warten ließ. Die Mannschaft kam und bedankte sich für den Support, während wir uns natürlich für dieses geile Spiel bei der Mannschaft bedankten. Selbst ein Spieler der Gäste fand lobende Worte für die Fanunterstützung. Ganz so unsportlich ist dieser Verein also nicht. Der Keeper der Friedrichshainer verschwand heimlich und leise in der Kabine. Seine Laune dürfte sich dort aber nicht sonderlich gebessert haben, denn nebenan ballerte der Klassiker „Blau-Weiße Hertha“ aus den Boxen und unsere dritte Mannschaft grölte lauthals mit. Ich möchte mal wissen, ob es sowas bei den Profis auch gibt…

Völlig fertig, aber glücklich gab es dann noch das ein oder andere Bierchen, ehe mich Ramon dankenswerterweise nach Hause fuhr.

Ha Ho He Amateure Zwee

der Kutten König

Aufrufe: 022.8.2023, 21:07 Uhr
Jörn KutschmannAutor