2024-05-10T08:19:16.237Z

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Beim TV Lonsheim haben sich die Zeiten geändert. Nicht mehr Geld, sondern enge persönliche Bindungen unter den Spielern bilden den Kitt der Mannschaft. Viele sind miteinnander verwandt.	Foto: photoagenten/Axel Schmitz
Beim TV Lonsheim haben sich die Zeiten geändert. Nicht mehr Geld, sondern enge persönliche Bindungen unter den Spielern bilden den Kitt der Mannschaft. Viele sind miteinnander verwandt. Foto: photoagenten/Axel Schmitz

TV Lonsheim erfindet sich neu

Aus dem ehemaligen Verbandsligisten ist ein B-Ligist mit großem familiären Flair geworden

LONSHEIM. Ohne Übersetzer geht es im Fußball-Training des TV Lonsheim nicht. Vor allem einen Polnisch-Dolmetscher braucht Alfred Schumann, der Coach des B-Ligisten. Aber auch Syrisch und Chinesisch sind Sprachen, die dort neben dem Deutschen gesprochen werden: „Manchmal ist das ganz schön schwierig, sich verständlich zu machen“, reflektiert der Alzeyer: „Das ist eine richtige Multi-Kulti-Truppe.“

Erfolg bemisst sich nicht an Toren und Punkten

Schumann ist eigentlich ein ehrgeiziger Fußball-Trainer. In Lonsheim bemisst sich sein Erfolg jedoch nur untergeordnet in Toren, Punkten und Tabellenständen. Wichtiger ist, dass überhaupt Fußball gespielt wird. Und das wäre ohne die vielen Zuwanderer in Lonsheim kaum mehr möglich, sagt TV-Abteilungsleiter Rainer Scheuer. Alfred Schumann wusste um die besondere Situation, als er vor anderthalb Jahren den Trainerjob am Wiesenweg übernahm. Und obwohl er manchmal Zweifel hat, ob seine Worte bei allen Spielern Gehör finden, sagt er: „Das macht schon Spaß – auch zu beobachten, wie viel Zeit sich jeder Einzelne für sein Hobby Fußball nimmt“. Und welche Verbundenheit ausgerechnet die Spieler mit ausländischen Wurzeln zum TV Lonsheim entwickeln.

Viele Verwandte in einer Mannschaft

Daniel Granat ist ein Beispiel dafür. Als torgefährlicher Angreifer ist er von der Konkurrenz umworben. Den TV Lonsheim hat er trotzdem noch nicht verlassen. Doch was hält den Stürmer? Rainer Scheuer entgegnet: „Die Familie“.

„Die Familie“, das ist einerseits der Verein mit der Mannschaft. Das sind aber tatsächlich auch die Verwandten, die sich mit dem Klub identifizieren. Die Geschichte beginnt im Jahr 2013. Damals entschied sich ein Pole im gehobenen Alter, auszusiedeln. Als Landarbeiter fand er in Lonsheim Anstellung. „Peu á peu sind es dann immer mehr geworden“, schildert Scheuer.

Wenig später auf den Papa folgte Daniel Granat, der sich dem TV Lonsheim anschloss. Dass er sich schnell in der Region als Torschütze einen Namen machte, überraschte in Anbetracht seiner Biografie niemanden mehr. Daheim in Polen besuchte er eine Schule, in der ein Unterrichtsschwerpunkt der Fußball war. Eine Ausbildung, die auch sein Bruder und die Cousins genossen. Sie schnüren inzwischen ebenfalls die Schuhe für den ehemaligen Verbandsligisten.

Fingerspitzengefühl braucht Coach Alfred Schumann. Wegen der engen Verwandtschaftsverhältnisse. Denn, das ahnt er: Verscherzt er es sich mit einem seiner polnischen Spieler, ist die Gefahr groß, dass sich die gesamte Gruppe abnabelt. Aber, so sagt der Alzeyer: „Das ist in anderen Vereinen ja nicht anders. Überall gibt es Cliquen. Damit muss man umgehen.“

Spieler kümmert sich freiwillig um Platzpflege

Ohne die „Lonsheimer Polen“, wie Fabian Denne, der Kapitän des B-Klassisten die sechs Mitspieler respektvoll nennt, wäre es schwierig, den Spielbetrieb beim TV aufrechtzuerhalten. Rainer Scheuer verdeutlicht: „Wir haben im Grunde 19 aktive Spieler. Wären es sechs weniger, es wäre knapp“.

Die Osteuropäer sind nicht nur als Fußballer eine Bereicherung für den Verein, sagt Rainer Scheuer. Sie bringen sich in den Verein ein. Einer kümmert sich mittlerweile um die Pflege des Rasenplatzes, der heute prächtiger wirkt denn je. Eben dieses soziale Engagement, findet Fabian Denne, sei eine Eigenschaft, von der sich manch einer eine Scheibe abschneiden könnte.

Personalbindung über Geld nicht mehr zeitgemäß

Der TV Lonsheim hat in den vergangenen Jahren massiv seine Identität verändert. Zu Verbandsliga-Zeiten zelebrierten die Fußballer zwar bereits eine ausgeprägte „Wir sind wir“-Identität. Trotzdem spielte Geld eine große Rolle. Von dieser Form der Personalpolitik sei man inzwischen aber völlig abgekommen. „Das ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Rainer Scheuer.

Die übliche Alternative, um Fußballer für sich zu gewinnen, funktioniert über die Nachwuchsarbeit. „Damit“, reflektierte Scheuer, „tun wir uns aber traditionell schwer“. Mit dem ausgeprägten familiären Stil haben die Lonsheimer nun eine Marktnische besetzt. Und die einladende DNA des Turnvereins spricht sich offensichtlich herum.

Vereinsleben wie in früheren Zeiten

Nun hat sich ein Syrer dem Team von Alfred Schumann angeschlossen. Und ein junger Mann mit chinesischem Hintergrund. Der TV Lonsheim, derzeit Zwölfter in der B-Klasse, hilft ihnen, wo er kann. Von vielen guten Erfahrungen berichtet Rainer Scheuer in diesem Zusammenhang. Und ein weiterer unerwarteter Nebeneffekt: In der Gaststätte am Sportplatz herrscht ein Vereinsleben, das andernorts oft vermisst wird. Alfred Schumann: „Meine Spieler bleiben oft übers Training hinaus. Da sitzen wir dann noch ne Stunde zusammen, trinken etwas“. Und erzählen – immer häufiger ohne Dolmetscher.



Aufrufe: 07.10.2017, 18:00 Uhr
Claus RosenbergAutor