2024-05-02T16:12:49.858Z

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Emotional an der Seitenlinie: Reiner Maurer hängt noch am TSV 1860. Doch inzwischen hat er zum Verein eine gewisse Distanz aufbauen können: „Jetzt kann ich die Entwicklung dort entspannt anschauen.“ Rauchensteiner
Emotional an der Seitenlinie: Reiner Maurer hängt noch am TSV 1860. Doch inzwischen hat er zum Verein eine gewisse Distanz aufbauen können: „Jetzt kann ich die Entwicklung dort entspannt anschauen.“ Rauchensteiner

Ex-Löwen-Coach Maurer: „Bieten bei Türkgücü Profibedingungen“

Trainer spricht über neue Aufgabe und Ex-Verein

Reiner Maurer ist zurück im deutschen Fußball. Im Sommer übernimmt der ehemalige 1860-Coach den designierten Regionalligisten SV Türkgücü-Ataspor München. Einen Verein, bei dem die Erwartungshaltung ähnlich hoch ist wie bei den Löwen.

Reiner Maurer kennt den Druck. Und er kann damit umgehen. Wenn es um die hohen Erwartungen beim designierten Regionalligisten Türkgücü-Ataspor geht, kann er nur lächeln. Der Fußball-Trainer hat andere Zeiten erlebt: Beim TSV 1860 stand er kurz vor dem Aufstieg in die 1. Bundesliga. Ein Interview über seine Löwen-Vergangenheit, die Talent-Entwicklung und die Gründe, warum er mit 59 Jahren in der Regionalliga neu anfängt.

Von der Erwartungshaltung haben Sie sich mit Türkgücü-Ataspor den schwierigsten Amateurverein ausgesucht. Was ist Ihr Ziel?

Wir wollen nicht in die Regionalliga aufsteigen, um dort dann nur die Klasse zu halten. Das obere Tabellendrittel muss drin sein. Ich werde auf jeden Spieler individuell eingehen. Als Trainer ist es für den Erfolg einer Mannschaft wichtig, einen Spieler nicht zu überlasten. Den Trainingsinhalt und die Intensität muss ich auf jeden Spieler einzeln abstimmen. Wir bieten bei Türkgücü künftig Profibedingungen mit sechs Trainingseinheiten pro Woche. Wir haben aber auch Spieler wie Christoph Rech oder Yasin Yilmaz, die bereits arbeiten und nur abends trainieren werden. Und wir werden sicher auch einige Studenten in der Mannschaft haben, einen gesunden Mix quasi.

Wird im Sommer für dieses Ziel wieder ein Großteil der Mannschaft ausgetauscht?

Wir haben bereits mit einigen Führungsspielern die Verträge verlängert. Wir müssen aber allein aufgrund der U23-Richtlinie junge Talente holen. Diese müssen aber das Potenzial haben, in der Regionalliga spielen zu können. Ich brauche kein Talent auf der Bank, dass nur geholt wird, um die Auflagen zu erfüllen.

„Früher hat ganz Deutschland auf 1860 geschaut, wenn es um die Nachwuchsarbeit gegangen ist. Wenn heute jemand sagt, dass die Qualität dort mittelmäßig ist, ist das noch nett formuliert.“


Der Kampf um junge Talente im Münchner Umfeld ist groß. Wie können Sie einen Spieler überzeugen?

Indem ich ihm eine Perspektive aufzeige. Ich wollte schon zu meiner Zeit bei 1860 immer mit jungen Spielern arbeiten. Ich hatte damals sieben Spieler unter 23 in der Startaufstellung in der zweiten Liga. Ich muss schmunzeln, wenn ich heute bei 1860 oft lese: Wir haben eine junge Mannschaft. Dann müssen junge Spieler auch eine Chance bekommen. Über Kevin Volland haben damals Verantwortliche bei 1860 gesagt: Der ist klein, dick und zu langsam. Marcel Schäfer wollten sie nicht übernehmen, weil sie für die Position einen Neuzugang geholt haben. Bei Moritz Leitner hat man mich gefragt: Was willst du mit dem? Der ist Auswechsel-Spieler in der U19. Vier Monate später hat er bei Dortmund unterschrieben. Seine Ablöse hat 1860 gerettet, sonst hätte man alle Punkte auf Null gesetzt.

Wie sehen Sie die Talente-Situation bei den Löwen heute?

Früher hat ganz Deutschland auf 1860 geschaut, wenn es um die Nachwuchsarbeit gegangen ist. Wenn heute jemand sagt, dass die Qualität dort mittelmäßig ist, ist das noch nett formuliert. Ich kenne diesen Verein seit 50 Jahren und habe 30 Jahre für 1860 gearbeitet. Wenn ich dann miterleben muss, wie alles abgebaut wird, tut das schon sehr weh.

„Während meiner Zeit bei 1860 habe ich extrem viel Energie investiert.“

Ist es aus der Sicht eines Trainers ein Fehler, sich mit einem Verein zu identifizieren?

Nein, ein Fehler ist das sicher nicht. Es gibt auch genug Beispiele, wie zum Beispiel in Freiburg mit Christian Streich, wo das super funktioniert. Ich habe leider bisher die Erfahrung gemacht, dass die Dankbarkeit im Nachhinein fast bei null Prozent liegt. Aber das muss ja nicht immer so sein.

Wie sehr beschäftigt Sie 1860 heute noch?

Während meiner Zeit bei 1860 habe ich extrem viel Energie investiert. Der Aufstieg war immer das anvisierte Ziel, die Ansprüche im Verein und im Umfeld andauernd hoch, da gab es nie Zeit zum Verschnaufen. Aber gut, das ist 1860. Damit muss man lernen, umzugehen. Mit der Zeit bekommt man eine gewisse Distanz, jetzt kann ich mir die Entwicklung dort entspannt anschauen.

Ist es einfacher, Türkgücü nach oben zu führen oder 1860 zu trainieren?

Das werden wir sehen, noch arbeite ich ja nicht bei Türkgücü (lacht). Klar ist, dass ich bei Türkgücü nicht das ganze Theater drumherum habe. Ich kann auf dem Platz meiner Arbeit nachgehen und normal mit den Spielern sprechen. Bei 1860 musste ich jede Handbewegung abstimmen, weil am Trainingsplatz jeden Tag zwei Fotografen lauern. Trainer bei 1860 zu sein, ist eine extrem große Herausforderung. Eine falsche Geste kann dir sofort um die Ohren fliegen. Wenn ein Spieler nicht sofort funktioniert, hagelt es von allen Seiten Kritik. Gerade für ausländische Spieler ist das brutal schwer, da sie eh schon Probleme haben, sich zu akklimatisieren. Das zieht dann die ganze Mannschaft runter.

„Wir wollen nicht auf Gedeih und Verderb jeden Spieler haben.“

Werden Sie auch Spieler von 1860 zu Türkgücü-Ataspor holen?

Ich stimme mich hier intensiv mit Kaderplaner Robert Hettich ab, den ich noch von unserer gemeinsamen Zeit bei 1860 kenne. Wir wollen nicht auf Gedeih und Verderb jeden Spieler haben. Der finanzielle Rahmen muss stimmen, und der Spieler muss zu uns passen. Wir werden wohl einen kleinen Kader mit 20 Spielern haben, plus drei Torhüter. Früher hat man immer gesagt, dass ein Trainer eine klare Handschrift haben muss, um erfolgreich zu sein. Dabei ist aus meiner Sicht das Gespür für den Kader und das Umfeld entscheidend. Vitor Pereira ist das Beispiel. Er wurde Meister mit Porto, hatte bei 1860 den vierfachen Etat von mir, konnte sich Spieler aussuchen und steigt mit dieser Mannschaft ab. Warum? Weil sein System und die Spieler, die er geholt hat, nicht zu 1860 und zur Liga gepasst haben. Wir achten bei neuen Spielern darauf, dass sie die Regionalliga und das Umfeld kennen.

Kann ein Talent aus einem NLZ Ihre Mannschaft sofort voranbringen, wenn Sie vorne mitspielen wollen?

Warum nicht? Die Spieler verfügen meistens über eine gute Technik, haben das taktische Verständnis, am Zweikampfverhalten muss intensiv gearbeitet werden.

„Ich habe in Thailand viel als Trainer gelernt.“

Wie wollen Sie als Amateurtrainer diese individuelle Förderung stemmen?

Ich habe zuletzt in Thailand gearbeitet und dort sehr viel als Trainer dazu gelernt. Gerade was den Austausch mit Spielern angeht. Eine individuelle Kritik vor der Mannschaft wird dort zum Beispiel als öffentliche Demütigung empfunden. Hier muss man genau auf die Stimmung und auf Zwischentöne achten. Die Ernährung der Spieler widerspricht auch jeder Sportwissenschaft (lacht). Und doch hatte ich trotz der schwierigen Bedingungen das Ziel, jeden Spieler nach seinen Möglichkeiten zu verbessern.

Haben Sie keine Sorge, dass Ihre Ansprüche zu hoch sind für einen Amateurverein?

Nein. Die Spieler in dieser Liga haben aus meiner Sicht viel eher den Drang, sich etwas beweisen zu wollen. Sie sind hungrig und brennen für diese Chance. Mit meinem Konzept hebe ich mich auch von anderen Trainern ab. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, wie ich meinen Spielern ein abwechslungsreiches Training bieten und Inhalte besser vermitteln kann. Bis ich zum Beispiel einer Multi-Kulti-Truppe eine Übung in allen Sprachen erklärt habe, ist eine Viertelstunde vorbei und die Qualität des Trainings gesunken. Deshalb schicke ich ihnen vor jeder Einheit eine Animation der Übungen. Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit der Video-Analyse. Nach Spielen möchte ich der Mannschaft und jedem einzelnen Spieler aufzeigen, was gut war und was wir verbessern wollen.

Wie ist der Austausch mit Ihrem künftigen Co-Trainer Andi Pummer?

Sehr gut. Es ist ein sehr großer Verdienst von ihm, wie gut das Klima in der Mannschaft ist. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit.

Die Amateurfußballseite erscheint jeden Mittwoch. Autor ist Christoph Seidl, erreichbar unter christoph.seidl@ merkur.de


Aufrufe: 06.3.2019, 10:19 Uhr
Münchner Merkur / Christoph SeidlAutor