2024-05-10T08:19:16.237Z

Interview

Gino Lettieri: "Kein Grund für Trainerentlassung!"

Der 2. Teil des Interviews +++ Ihm beschäftigt die Problematik mit der Ausbildung des Fußballlehrers in Köln

Gino Lettieri beschäftigt die Problematik mit der Ausbildung des Fußballlehrers in Köln: „ Der Fußballlehrerlehrgang ist das Aushängeschild des DFB. Bei dem Lehrgang wird ein hohes Niveau verlangt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bildet ca. 25 neue Fußballlehrer pro Jahr aus. Warum trotzdem sehr viele ausländische Trainer den Posten des Chefcoachs in den Profiligen bekleiden, kann ich ich leider nicht beantworten.“

Der Fußballlehrer ist von den unterschiedlichen Trainertypen von Jose Mourinho und Pep Guardiola begeistert. „Mit seiner extrovertierten Art holt der Chelsea-Trainer sehr viele Emotionen aus seinen Spieler heraus und seine Akteure wissen genau, dass „Special One“ für sein Team durchs Feuer gehen würde. Der Gegensatz ist Pep Guardiola, der seine Philosophie auf Spielverständnis und Taktik legt. Seine Art ist introvertierter wie bei Mourinho. Wenn man die Philosophie von beiden Typen verinnerlicht, dann wäre dies die perfekte Mischung“, so Gino Lettieri.

Beim SV Darmstadt waren Sie nur drei Monate. Aus welchen Gründen war die Zusammenarbeit nur von kurzer Dauer?

Gino Lettieri: Ich habe zur dieser Zeit den Fußballlehrerlehrgang in Köln besucht. Somit hatte ich mir drei Prioritäten gesetzt. Die erste Priorität war der Erwerb des Scheines, dann musste ich meiner Arbeit beim SV Darmstadt nachgehen und das Wichtigste war die Familie. Zur der Zeit war meine Frau hochschwanger. Ich war fast nur noch mit dem Auto unterwegs von Bayreuth nach Köln, dann von Köln nach Darmstadt und zum Schluss von Darmstadt nach Bayreuth. Dieser Vorgang wiederholte sich ständig. Wegen dieser Problematik konnte ich nicht mit 100 Prozent Leidenschaft meine Arbeit beim SV Darmstadt verrichten. Deshalb gab es Gespräche mit der Vorstandschaft und wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir die Zusammenarbeit beenden und ich mich mit voller Konzentration den Lehrgang widmen kann. Ich hatte mir einfach zu viel zugemutet.

In der Zeit beim SV Wehen Wiesbaden waren Sie erst der goldene Retter vor dem Abstieg und zum Schluss wurden Sie heftig kritisiert. Wie haben Sie die schwierige Situation verkraftet?

Gino Lettieri: Bei dem Thema SV Wehen Wiesbaden muss ich ein wenig mehr ausholen (Lettieri grinsend). Als ich zum Drittligisten kam, war der SVW schon mit einem Fuß abgestiegen in die Regionalliga. Wir haben in meiner ersten Saison in Wehen, den nicht mehr geglaubten Klassenerhalt geschafft. In der nächsten Spielzeit hatten wir wegen einen Punkt, den Aufstieg in die 2. Liga verpasst. Zudem hat der SV Wehen Wiesbaden in dieser Saison den Hessenpokal gewonnen. Der letzte Titelgewinn war schon elf Jahre her. Ein echtes Highlight war auch das DFB-Pokalspiel gegen den VFB Stuttgart. Wir lieferten den Bundesligisten einen echten Kampf und wir mussten uns nur knapp mit 1:2 geschlagen geben. Nach dieser guten Saison wurden die besten Spieler verkauft. Daniel Brosinski ging zum MSV Duisburg, Fabian Schönheim wurde vom FSV Mainz 05 verpflichtet und der SV Sandhausen nahm Jan Fießer unter Vertrag. Dann kam noch hinzu, dass der beste Innenverteidiger der 3. Liga, Thorsten Barg seine Karriere wegen doppelten Achillessehnenrisses beenden musste. Auch die interne Sperre von Zlatko Janjic konnte keiner verstehen, auch war diese Aktion mit mir nicht abgesprochen. Die Abgänge waren überhaupt nicht notwendig, da der Verein finanziell abgesichert war. Ich bin davon überzeugt, dass wir wieder um den Aufstieg mitgespielt hätten. Leider wurde das Herz der Mannschaft auseinander gerissen. Zudem plagte uns das Verletzungspech. Ich musste zeitweise auf acht Stammspieler verzichten. Die Gründe der Entlassung verstehe ich bis heute noch nicht, da wir nur acht Punkte auf einen Aufstiegsplatz entfernt waren und auch die Abstiegszone war mit neun Punkten Vorsprung noch weit entfernt. Der Verein hat auch finanziell von mir profitiert, durch die Erfolge unter anderem im Hessenpokal oder beim ausverkauften DFB-Pokalspiel gegen den Bundesligisten VFB Stuttgart. Ich bin noch mit keiner Mannschaft abgestiegen und bin absolut überzeugt, dass ich auch in dieser Zeit beim SVSW nicht abgestiegen wäre. Deswegen gab es für mich keine Gründe für die Trainerentlassung.

In Deutschland wird ein Trainer öfters gewechselt, wie z.B. in England oder Spanien. Sind die deutschen Club zu ungeduldig? Was denken Sie über die Statistik?

Gino Lettieri: Die deutschen Vereine sind für mich zu ungeduldig. Egal in welcher Liga, ob Bundesliga, 2. oder 3.Liga. Ein schneller Trainerwechsel bringt meistens keinen Vorteil ein, da die Anpassungen an den neuen Coach zu lange dauern. Ein gutes Beispiel ist der FC Carl Zeiss Jena. Sie hatten in der Vergangenheit öfters den Trainer gewechselt, dennoch sind sie zwei Mal abgestiegen. Der Trainerwechsel ist meistens nicht die Beseitigung aller Probleme. Den Spruch: „Der Trainer ist das schwächste Glied in der Kette“, kann ich nicht mehr hören! Das es auch anders geht, haben Freiburg, Mainz und München bewiesen. Die Trainer Streich (SC Freiburg) und Tuchel (Mainz 05) haben in einer schwierigen Phase das Vertrauen der Vorstandschaft bekommen. Mit einer kontinuierlicher Arbeit haben sie die Zielsetzung des Vereins erreichen können. Das perfekteste Beispiel ist der Triple- Sieger FC Bayern München. Eine Saison zuvor hatte Jupp Heynckes alle Endspiele verloren und keinen einzigen Titel geholt. Bei anderen Topvereinen wäre er entlassen worden. Doch die Verantwortlichen des FCB gaben ihm das Vertrauen und eine Saison später gelang den Rekordmeister das Triple. Auch die Borussia aus Dortmund kann als Paradebeispiel aufgelistet werden. Trainer Jürgen Klopp hat acht Spiele in Folge verloren und war somit in der Abstiegsregion zu finden. Doch die Unterstützung des Vereins hat „Kloppo“ genutzt und jetzt ist der Club einer der beste Vereine in Europa. Ich bin der Meinung, dass sich kontinuierliche Arbeit meistens durchsetzt.

Sie haben mehrere Vereine in Deutschland und auch in Europa hospitiert. Welcher Club hat Sie begeistert? Welche Unterschiede sind zwischen den deutschen und europäischen Teams festzustellen?

Gino Lettieri: Die Zeit beim AC Florenz hat mich sehr fasziniert. Der Trainer war damals Giovanni Trapattoni. Zur der damaligen Zeit zwischen 1997 und 1998 war die Professionalität sehr weit ausgeprägt. Der Trainerstab war mit einem Athletiktrainer, einen Koordinationstrainer, zwei Co-Trainern und einem Cheftrainer ausgestattet. Die meisten deutschen Vereine sind heutzutage noch weit von dieser Philosophie entfernt, da sehr viele Bundesligisten nur einen Co-Trainer zur Verfügung haben. Bei einem Kader von ca. 26 Spielern braucht man mehr Personal als nur einen Assistenztrainer. Das Training kann man mit einem Co-Trainer, bei so einem großen Kader, nicht gerecht aufteilen. Somit hat nicht jeder Spieler die Möglichkeit sich zu verbessern. Bei Arsène Wenger (FC Arsenal) war ich eine Woche zu Besuch. Er hatte beim Training sechs Assistenten (für Abwehr, Mittelfeld, Sturm) auf den Platz. Der FC Arsenal oder auch Manchester United waren mit dieser Mentalität jahrzehntelang im Kreis der besten Vereine der Welt. Der FC Bayern München ist der erste Vorreiter der Bundesliga mit Star-Trainer Pep Guardiola, die jetzt auch einen größeren Trainerstab vorweisen können. Dennoch sind in dieser Thematik, die Teams in England oder Spanien den deutschen Clubs einen Schritt voraus.

Was war Ihr Highlight Ihrer Trainerkarriere?

Gino Lettieri: Die Aufstiege waren Highlights in meiner Trainerkarriere, da jeder Aufstieg was Besonderes hatte. Auch die DFB-Pokalspiele hatten schöne Momente zu bieten. Da fällt mir das Spiel gegen die Hertha aus Berlin. Dieses Spiel war in der Zeit, als ich beim SV Darmstadt unter Vertrag stand. Vor einer riesigen Kulisse konnten wir uns ein Remis innerhalb der regulären Spielzeit erkämpfen und durften uns noch in der Verlängerung beweisen. Eine Minute vor dem Elfmeterschießen, konnte sich der damalige Herthaner Yildiray Bastürk durchsetzen und versenkte den Ball zum 1:0 Siegtreffer. Auch wenn wir verloren haben, war diese Partie ein echtes Highlight. Aber die DFB-Pokalpartie mit der SpVgg Weiden gegen den Champions League-Finalisten Borussia Dortmund, darf man auch nicht vergessen. Der Kartenvorverkauf war innerhalb von ein paar Stunden schon beendet, da die Ticketanfragen extrem waren. Die Weidener Fans wandelten das Wasserwerk-Stadion zu einem echten Hexenkessel. Die Partie war bis zur 85.Minute offen, weil die Dortmunder nur 2:1 führten. Doch der damalige Dortmunder Tinga stellte den 3:1 Endstand für die Klopp-Elf her. Diese Ereignisse waren die Schönsten in meiner Trainerkarriere und ich hoffe, dass weitere unvergessene Momente dazu kommen.

Aufrufe: 024.1.2014, 05:00 Uhr
Sven und Uwe SelchAutor