2024-05-10T08:19:16.237Z

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Der Blick ist nach vorne gerichtet: Maximilian Riedmüller hat mit dem Profi-Fußball abgeschlossen. Foto: Leifer
Der Blick ist nach vorne gerichtet: Maximilian Riedmüller hat mit dem Profi-Fußball abgeschlossen. Foto: Leifer

Riedmüller: "Mir wurde die Pistole auf die Brust gesetzt"

SVH-Keeper beleuchtet die Schattenseiten des Profisports

Maximilian Riedmüller hat für seine Karriere alles gegeben. Beim FC Bayern war er dritter Torwart, hat das Triple gewonnen. Danach erlebte der Keeper eine Zeit, über die er heute sagt: „Als Profi konnte ich nicht mehr tiefer fallen. Zum Glück hatte ich einen Plan B.“

Als Maximilian Riedmüller noch zu den Gewinnern im Profifußball gehörte, fühlte sich alles leicht an. Der Champions League Pokal ist das Fliegengewicht unter den wichtigsten Titeln im Vereinsfußball. „Das glaubt kein Mensch. Aber die Meisterschale ist deutlich schwerer“, sagt Riedmüller.

Der Torwart feierte neben Manuel Neuer und Jerome Boateng, als der FC Bayern 2013 das Triple gewann. Was bleibt von seiner Karriere in Erinnerung? Die Momentaufnahme des Erfolges, ein Teil der besten Mannschaft der Welt zu sein? Oder einer der vielen Schicksalsschläge? Das Gefühl im Bein, wenn der Muskel im Oberschenkel vom Beckenknochen abreißt.

Vier Jahre liegt der größte Triumph in der jüngeren Vereinsgeschichte des FC Bayern zurück. Für Riedmüller gab es bis dahin nur eine Richtung: nach oben. Er war nie in einem Nachwuchsleistungszentrum. Riedmüller kickte in seiner Jugend beim TSV Forstenried. Doch ihm reichte eine Saison beim SV Heimstetten, um die Verantwortlichen des FC Bayern auf sich aufmerksam zu machen. „Als ich 2008 zu den Amateuren gekommen bin, dachte niemand, dass ich nur ein einziges Spiel mache“, sagt der Keeper. Doch Riedmüller spielte. Unter Mehmet Scholl, unter Hermann Gerland und unter Andries Jonker. Von den Amateuren packte er den Sprung zum dritten Torhüter der Profis.

Auf den Aufstieg folgte der Fall. Mit allen Schattenseiten, die ein Fußballer erleben kann. Riedmüller wechselte im Sommer 2013 zu Holstein Kiel in die 3. Liga. Nach 16 Spieltagen verletzte er sich im Training am Finger. Zur Vorbereitung war er wieder fit, doch der Stammplatz im Tor war weg. Erst am letzten Spieltag feierte er sein Comeback im Tor. Die 51. Minute gegen den SV Darmstadt wird Riedmüller in seinem Leben nicht mehr vergessen. Den Schmerz im Bein. Das Gefühl nach der Auswechslung. „Der Muskelabriss war der Knackpunkt meiner Karriere“, sagt Riedmüller rückblickend. Trotz der Schwere der Verletzung glaubte der Keeper weiter an seine Chance. Er kämpfte. „Ich wollte es allen zeigen, dass ich wieder zurückkommen kann.“ Doch als Riedmüller wieder mit der Mannschaft trainieren konnte, fand er eine neue Situation vor. Im ersten Training nach der Winterpause musste er zur sportlichen Leitung. „Mir wurde mitgeteilt, dass ich ab sofort nicht mehr Teil der ersten Mannschaft bin. Ich sollte meinen Vertrag auflösen. Ansonsten sei ich ab dem 1. Februar freigestellt.“ Noch heute kann Riedmüller nicht fassen, welche Szene sich in dem Büro des Vereins abgespielt hat: „Ich stand unter Schock. Ich konnte nur noch sagen, dass ich das schriftlich möchte. Als Spieler hörst du immer von solchen Geschichten. Aber ich habe nie geglaubt, dass mir sowas jemals passieren kann.“

"Ich hatte selbst Zweifel, wie es weitergehen soll"

Riedmüller fand keinen Verein, bei dem ein Wechsel für ihn Sinn gemacht hätte. Im Februar erhielt er von Kiel kein Gehalt mehr. „Ich habe keine Erklärung, wie ein Klub so mit einem Spieler umgehen kann. Mir wurde die Pistole auf die Brust gesetzt. Aber das habe ich nicht mit mir machen lassen“, sagt Riedmüller.

Mit 27 erlebte der Torwart die schlimmsten Monate seiner Karriere. Er musste einen Anwalt einschalten, um an sein Geld zu kommen. Trainieren durfte er nur noch bei der zweiten Mannschaft. „Jeder dachte, dass etwas vorgefallen sein muss. Aber ich habe niemandem etwas getan.“ Im Sommer blieb Riedmüller nur die Flucht nach vorne. Doch wer nimmt einen Keeper, der lange verletzt war und im Verein auf dem Abstellgleis stand? „Ich hatte selbst Zweifel, wie es weitergehen soll. So groß kann dein Selbstbewusstsein gar nicht sein, dass du diese Erlebnisse einfach abhaken kannst.“

Riedmüller absolvierte ein Probetraining beim damaligen Regionalligisten Jahn Regensburg. Doch mehr als die Nummer zwei im Tor stellte ihm der Verein nicht in Aussicht. „Ich wollte nicht drei Schritte zurück machen, nur in der Hoffnung, dass ich in ein paar Jahren wieder dort bin, wo ich schon war.“ Riedmüller hoffte vergeblich auf andere Angebote. Am Ende bleib nur ein Ausweg: Er versuchte über die Vereinigung der Vertragsfußballspieler einen neuen Verein zu finden – das Camp für arbeitslose Profis. „Ich war ganz unten. Nach der Verletzung und der Sache mit dem Anwalt dachte ich, dass ich nicht tiefer fallen kann. Außer ich verletze mich in diesem Camp erneut.“

"Du kannst als Mensch daran zerbrechen"

An den Moment, als sein Profi-Karriere endgültig vorbei war, kann sich Maximilian Riedmüller nicht mehr richtig erinnern. Nur an den Schmerz, den er bereits kannte.

Andere zerbrechen an solchen Schicksalsschlägen. Der Schritt in ein normales Leben fällt vielen Fußballern schwer, die einmal das Wappen eines Profiklubs auf der Brust getragen haben. Neben dem Traum vom Durchbruch fehlt der Plan B. „Ich habe viele Spieler kennen gelernt, die verpassten Chancen nachtrauern und nicht loslassen können. Für die gibt es nur Fußball“, sagt Riedmüller. Der Keeper ist Optimist. Selbst in der schwersten Stunde hatte er einen neuen Weg vor Augen: „Ich wusste schon immer, dass ich auch ohne den Fußball etwas aus meinem Leben machen kann.“

Riedmüller hat eine Ausbildung als Physiotherapeut begonnen. Für sein Comeback als Fußballer hat er erneut gekämpft. Seit der vergangenen Saison steht Riedmüller wieder beim SV Heimstetten im Tor. „Fußball wird immer ein wichtiger Teil in meinem Leben sein. Aber er bedeutet mir zum Glück nicht alles.“ Gerade deshalb kann Riedmüller zurückblicken. Auf die Erfolgsmomente. Und die Schicksalsschläge: „Ich bin dankbar, dass ich die Zeit als Fußball-Profi erleben durfte. Man muss aber aufpassen, dass man diese Zeit auch überlebt. Du kannst als Mensch daran zerbrechen.“

FUSSBALL-AMATEURE Die Amateurfußballseite erscheint jeden Mittwoch. Autor ist Christoph Seidl, erreichbar unter christoph.seidl@ merkur.de.

Aufrufe: 013.9.2017, 12:30 Uhr
Christoph SeidlAutor