2024-05-02T16:12:49.858Z

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Premiere als Trainer: Simon Ollert (r.) wird beim SV Pfeffenhausen vom Vorsitzenden Andreas Schiekofer vorgestellt. 
Premiere als Trainer: Simon Ollert (r.) wird beim SV Pfeffenhausen vom Vorsitzenden Andreas Schiekofer vorgestellt.  – Foto: svp

Simon Ollert: Das Ende ist der Anfang

Simon Ollert beendet Profikarriere

Simon Ollert beendet seine aktive Karriere als Profi. Der zweite gehörlose Profifußballer in Deutschland wird Spielertrainer in der Kreisliga.

Wien – Wer den Fußball bloß als diese große tosende Parallelwelt sieht, der hat ihn noch nie so erlebt wie Simon Ollert. Für ihn ist Fußball eine Romanze. Wenn er über den Sport spricht, spricht er viel von Liebe. „Ich spiele noch, weil ich es liebe“, sagt der Bad Kohlgruber etwa im Tagblatt-Gespräch. Solch schönen Worte hört man nicht oft von Berufskickern. Da war es nur richtig, seine Abschiedsbotschaft mit einem Herzen zu beschließen, einem großen roten Herzen am Ende der Nachricht an die Fans. Simon Ollert, der zweite gehörlose Profi in Deutschland, ging auf seine Art: leise und mit Stil. Auf Instagram, dem Sozialen Netzwerk, postete er eine kleine Collage aus sieben Jahre Profigeschäft, Bilder in den Trikots von Unterhaching, Ingolstadt, Memmingen, Pullach, Saalfelden, und dann stand da noch drunter: „Heute ist der Tag gekommen.“ Der Tag, an dem er seine Profilaufbahn abschließt. Das war am 25. Januar.

Simon Ollert: Entweder Profi oder Beruf?

Simon Ollert wird in diesem Jahr 24, im April. Mit etwas Glück – und er hatte angesichts seiner vielen Verletzungen deutlich weniger als andere – hätte er noch einige Jahre im Bezahlbereich vor sich gehabt. Irgendwo wäre er untergekommen, vielleicht in der Regionalliga, womöglich in der Dritten Liga oder in Österreich. Aber Simon Ollert hatte schon immer zu viel Grips im Kopf, um die Irrfahrt durch den Fußball-Strudel ohne Rettungsring anzutreten. Neben seiner Karriere studiert er eine Kombination aus Sportwissenschaft und Psychologie. Demnächst gibt er seine Bachelorarbeit ab. Kurz vor Weihnachten hat er sich dann die Frage gestellt, die alle heimsucht, die es nicht auf die Millionärsebene der Fußballer schaffen: Entweder Profi oder Beruf? Weil er auf keinen Fall als abgehalfterter Profi enden wollte, der mit 30 noch von seinen vielen Heldentaten schwärmt, steigt er jetzt aus. „Das ist nicht meins, das bin ich nicht“, sagt Ollert. Das Ende als Profikicker ist ein endgültiges.

Das vergangene Jahr hatte er beim FC Pinzgau Saalfelden in Österreichs Dritter Liga verbracht. Eigentlich lief alles ganz gut. Christian Ziege, schon bei der SpVgg Unterhaching sein Förderer, coacht das Team, das langfristig den Gang in Liga eins anstrebt. Nebenher betreute Simon Ollert die U8-Mannschaft. Es lebte sich wirklich schön im Sommer in den Bergen, bis wieder eine Verletzung ankam. Diesmal ein Kahnbeinbruch im Handgelenk im ersten Ligaspiel. Sie schickten ihn in die Reserve, zum Wiederaufbau. Ollert neben lauter A-Jugendlichen. Ihm gefiel die Rolle. „Ich hab’ gemerkt: Spielertrainer – das wäre was für mich.“

Ollert: Spielertrainer in Pfeffenhausen

Genauso ist es nun gekommen. Simon Ollert arbeitet nun für die Agentur MO5ES, die Jugendfußballer an den Profibereich heranführt, und er betreut sein erstes Männerteam in Pfeffenhausen (Kreis Landshut) als Spielertrainer. In der Kreisliga. Er weiß, was das für Eruptionen in der Gegend auslösen wird: ein Profi in der Kreisliga. Sie werden ihn doppeln, sie werden ihn treten, sie werden ihn ärgern „Ich weiß auch, was das für mich als Spieler bedeutet“, sagt der Ammertaler. „Ich freue mich, weil aus dieser Liga komme ich.“ Bei der JFG Ammertal hat er in der Kreisliga angefangen. In der Kreisliga beginnt jetzt auch die Karriere nach der Karriere. „Das ist der wahre Fußball, den ich liebe.“ Ein Spiel aus Härte, Respekt und einem Bier nach Feierabend. Simon Ollert meint es ernst, wenn er den SV Pfeffenhausen, den Abstiegskandidaten der Liga, als Katapult in andere Bereiche sieht. Er hat das doch bereits als Spieler gepackt. Von der Provinz ins Profigeschäft. Als erster Gehörloser möchte er eine Profi-Mannschaft trainieren. „Mein kleiner Traum“, sagt er. Seinen Kickern hat er schon individuelle Pläne geschrieben. Profi-Training angepasst auf Kreisliga. Warum aber Pfeffenhausen? Nun, die Agentur MO5ES, die zwei Freunde Ollerts betreiben, hat ihr Büro nebenan, in Mainburg. Sollte der Lockdown tatsächlich einmal enden, betreut er die Talente auch wieder vor Ort. Derzeit läuft das über Internet. Ollert zeigt aus der Wohnung seiner Freundin in Wien Übungen für Fußballer in Aue, Heidenheim oder München.

Im Sommer zieht er zurück nach München – und weckt ein weiteres Projekt auf, das mit Corona in einen unvorhergesehenen Tiefschlaf fiel. Im Juni 2019 hatte der Bad Kohlgruber den IFC Munich United gegründet, den ersten inklusiven Fußballverein. Die Idee lief in irrsinnigem Tempo an. Manche Eltern waren gar bereit, mit ihren Kindern nach München zu ziehen, damit sie für den IFC auflaufen. „Das war Wahnsinn.“ Allerdings brachen in der Pandemie die finanziellen Mittel – etwa für die Trainingsplätze – weg. Ollert und seine Mitstreiter beförderten den Klub zur Sicherheit ins künstliche Koma. „Wenn Corona vorbei ist, packen wir wieder an.“ Und auch ins Ammertal kehrt er mit seinen Fußballcamps für gehörlose Kinder zurück. Geplant für Juni. Wenn’s 2021 nichts wird, dann lädt er eben alle fürs nächste Jahr in seine Heimat ein.

(Andreas Mayr)

Aufrufe: 06.2.2021, 10:09 Uhr
Garmisch-Partenkirchner Tagblatt / Andreas MayrAutor