2024-05-08T14:46:11.570Z

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Ex-Profi Simon Ollert ist inzwischen nicht nur Spielertrainer bei Kreisligist Pfeffenhausen, sondern auch Coach für Kinder mit Beeinträchtigungen.
Ex-Profi Simon Ollert ist inzwischen nicht nur Spielertrainer bei Kreisligist Pfeffenhausen, sondern auch Coach für Kinder mit Beeinträchtigungen. – Foto: Sonova

Fußball hört man mit dem Herzen

Der gehörlose Simon Ollert hat sich vom Profigeschäft verabschiedet, aber nicht wegen, sondern trotz seines Handicaps

Fußball ist eine Sportart. Fußball ist aber vor allem ein Gefühl. Abermillionen Freunde des runden Leders weltweit betonen das, ohne dieses Empfinden wirklich spüren zu können. Im Gegensatz zu ihm. Simon Ollert ist gehörlos. Ohne entsprechende Hilfen kann er bestenfalls verschiedene Lautstärken unterscheiden, mehr nicht. Dennoch hat es der 23-Jährige zum Profi geschafft und ist seit Ende Januar Spielertrainer beim niederbayerischen Kreisligisten Pfeffenhausen. Der gebürtige Partenkirchener ist nicht nur ein Musterbeispiel dafür, dass man sich auch trotz Handicap seine Träume erfüllen kann. Er ist zudem der Beleg dafür, dass man Fußball mit dem Herzen hören, ihn spüren kann.

Die Komplexität des Fußballs nimmt immer mehr zu. Längst ist aus dem einfachen Spiel 11-gegen-11 eine Wissenschaft geworden. Es ist nicht mehr nur maßgeblich, mit der Kugel umgehen zu können und einigermaßen fit zu sein. Systeme und somit das gemeinschaftliche Auftreten spielen eine immer größere Rolle. Einhergehend damit ist wichtig, was die Füße, aber auch der Mund im Verbindung mit dem Hirn machen. Kommunikation auf dem Spielfeld ist deshalb fast genauso bedeutend wie ein technisch sauberer Pass mit der Innenseite zum Nebenmann.

Der Gehörlose an sich passt also irgendwie so gar nicht in die Neuzeit der beliebtesten Sportart überhaupt. Allerdings nur auf den ersten Blick. Denn auf dem zweiten ist er gerade wegen seiner Beeinträchtigung der Prototyp des "neuen" Fußballers. "Wenn einem der ein oder andere Sinn genommen wird, werden die anderen geschärft", weiß Claus Schromm, aktuell Sportlicher Leiter der SpVgg Unterhaching und vor einigen Jahren als (Jugend-)Trainer des aktuellen Drittligisten Wegbegleiter von Simon Ollert. Der 23-Jährige selber führt die Worte seines Förderers etwas weiter aus: "Weil ich nichts höre, muss ich mir eben anders helfen. 40 Prozent meines Spieles basieren auf Vermutungen und Gefühlen."

Es klingt komisch, aber: Eine Unterhaltung ist problemlos möglich


Antizipation ist das passende Schlagwort, das immer mehr zu einer Phrase verkommt wenn es um Unterschiede auf allerhöchstem Leistungsniveau geht. Der künftige Spielertrainer des SSV Pfeffenhausen jedoch ist die Versinnbildlichung dieses (zu) oft verwendeten Wortes. Er hat praktisch die Genehmigung, dass es in Zusammenhang mit ihm erwähnt wird. "Ich habe beispielsweise einen größeren Blickwinkel als - in Anführungsstrichen - normale Menschen. Außerdem ist meine räumliche Wahrnehmungskraft größer und mein Gedächtnis ausgeprägter. Ich schaffe es, mich in jeden meiner Mitspieler hineinzuversetzen. Das ist vielleicht ein Grund dafür, dass ich bei einem Vereinswechsel oder neuen Kameraden etwas länger brauche, um mich zurecht zu finden." Er fügt hinzu: "Als Offensivspieler ist es ohnehin besser, intuitiv zu handeln."

Trotz dieser nur schwer greifbaren Fähigkeiten kommt es aber dennoch immer wieder mal zu Missverständnissen auf dem Spielfeld. In jungen Jahren hat der Oberbayer regelmäßig eine Verwarnung gesehen, weil er nach einem Schiedsrichterpfiff einfach weitergespielt und der Referee dies als Unsportlichkeit ausgelegt hat. Auch von blöden Sprüchen wie "Warum bist Du nicht beim Behindertensport" ließ er sich ab und an aus der Bahn werfen. Doch das war früher. "Mein großer Vorteil ist vielleicht, dass ich sehr offen mit meiner Beeinträchtigung umgehe. So weiße ich den Schiri vor Spielbeginn darauf hin, dass ich nichts höre und bitte um Verständnis", berichtet Ollert - und ergänzt mit einem Schmunzeln: "Und was die Gegenspieler sagen, höre ich sowieso nicht."

Bei der SpVgg Unterhaching wurde der gebürtige Oberbayer (rotes Trikot) im Nachwuchsleistungszentrum ausgebildet.
Bei der SpVgg Unterhaching wurde der gebürtige Oberbayer (rotes Trikot) im Nachwuchsleistungszentrum ausgebildet. – Foto: Mike Megapix


So ganz stimmt die letzte Aussage des 23-Jährigen allerdings nicht. Denn er nimmt sehr wohl Worte war. "Natürlich kann ich auch Gebärdensprache. Aber ich will mich darauf nicht ausruhen. Ich möchte am normalen Leben teilnehmen können", zeigt er sich ehrgeizig. "Deshalb habe ich mir das Lippenlesen angeeignet. In Zusammenspiel mit einem Hörgerät kann ich mich dann ziemlich gut unterhalten." Das FuPa-Gespräch beispielsweise hat per Videotelefonie stattgefunden. Im Gegensatz zu vielen anderen Gehörlosen kann Ollert nämlich relativ gut sprechen, obwohl er sich selbst nicht hören kann. "Das habe ich meiner Mama zu verdanken, die mich von Kindesbeinen an gefördert hat. Ich musste beispielsweise keine Förderschule besuchen, sondern konnte ganz normal mit meinen Freunden den Unterricht besuchen."

Hänseleien als Kind und Jugendlicher aufgrund seines Andersseins waren an der Tagesordnung. Der durchwegs positive, lebensbejahende Charakter nahm sich dies allerdings nicht zu Herzen, sondern nutze es sogar zu seinem eigenen Vorteil. "Ich habe dann immer gesagt, ich hätte mit der Firma, die Hörgeräte herstellt, einen Sponsorenvertrag - und plötzlich waren alle neidisch." Der von Geburt an Benachteiligte sieht sich keinesfalls als solcher. Er genießt sein Leben, das aus seiner Sicht vollkommen normal verläuft. An den positiven Menschen Simon Ollert erinnert sich auch Claus Schromm: "Aufgrund seines Charakters war er damals für die Gruppe ein sehr wichtiger Mensch."

Der 23-Jährige möchte eine Botschaft hinaus in die Welt senden



Der 23-Jährige wirkt wegen seiner Erfahrungen rund um seine Beeinträchtigung reifer als Gleichaltrige. Sein Handicap hat ihn geprägt, aber, wie er konstatiert, durchwegs positiv. Er hat ein ausgeprägtes Durchsetzungsvermögen entwickelt, das es ihm überhaupt erst ermöglichte, sich im Stahlbecken Profifußball durchzusetzen. Er hat 3. Liga für Unterhaching gespielt, beim FC Ingolstadt in der Junioren-Bundesliga. Für Memmingen war er in er Regionalliga aktiv, und für Pullach in der Bayernliga. Zuletzt war er Profi beim österreichischen Drittligist FC Pinzgau Saalfelden, ehe er sich ganz bewusst dazu entschied, wieder zu den Amateuren zurückzukehren.

Bevor Simon Ollert auf seine inzwischen für ihn sehr wichtige berufliche Schiene eingeht, ist es ihm ein Anliegen, zu betonen, dass nicht seine Gehörlosigkeit der Grund ist, warum ihm der absolute Durchbruch als Profi verwehrt geblieben ist. "Mir hat einfach das gewisse Quäntchen Glück gefehlt. Freilich ist beim Abschied die ein oder andere Träne geflossen. Aber es gibt auch ein Leben abseits des Fußballplatzes", erklärt er. Claus Schromm bestätigt das: "Die Gehörlosigkeit hatte keinen Einfluss auf seine Leistung. Damals war unser NLZ noch nicht so weit, die Durchlässigkeit nach oben noch nicht so groß wie heute. Das war vielleicht Ursache dafür, dass er sich nicht in der 3. Liga hat etablieren können." Setzen die Oberbayern damals noch auf externe Neuzugänge, liegt inzwischen der Fokus auf den eigenen Nachwuchs, was Felix Göttlicher, Niclas Anspach oder Lucas Hufnagel eindrucksvoll beweisen.

Eine besonders große Ehre ist es für den Wahl-Niederbayern für die Deutsche Gehörlosen Nationalmannschaft auflaufen zu dürfen.
Eine besonders große Ehre ist es für den Wahl-Niederbayern für die Deutsche Gehörlosen Nationalmannschaft auflaufen zu dürfen. – Foto: DGS (Deutscher Gehörlosen Sportverband)


Was als Spieler nicht gelang, soll nun als Trainer klappen. Der Wahl-Münchener, der künftig nach Pfeffenhausen pendeln will, ist inzwischen als Coach aktiv. Er bietet ganzheitliche Übungseinheiten an, er schult also nicht nur Fußball-Inhalte, sondern auch kognitive und soziale Fähigkeiten. Diese Aufgabe ist nicht nur Brotverdienst, sondern auch Passion, die ihn ganz nebenbei nach Niederbayern führte. Das Projekt, das unter dem Namen "MOSES" läuft, leiten Richi Konstantin und Basti Hollmayer, deren Verein der SSV Pfeffenhausen ist. "Ich kann Arbeit und Beruf, die zudem eine große Schnittmenge haben, verbinden - was will man mehr?"

Sein Angebot richtet sich an fußballbegeisterte Kinder und Jugendliche überhaupt, aber vor allem an gehörlose. Simon Ollert will ihnen einen Vorbild sein - in allen Bereichen, seine Erfahrungen weitergeben und somit helfen, Beeinträchtigungen aller Art nicht also solche zu sehen. Es ist ihm zudem von Bedeutung, dass er eine Botschaft hinaus in die Welt sendet. Nämlich die, dass man Fußball mit dem Herzen hört...


Aufrufe: 026.2.2021, 07:00 Uhr
Helmut WeigerstorferAutor