2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines
Wo laufen sie denn? Ist doch fast wie richtiger Fußball.	Foto: Dittrich
Wo laufen sie denn? Ist doch fast wie richtiger Fußball. Foto: Dittrich

Simuliertes Fleisch und Blut

E-SPORTS: ++++ Wenn es keinen Fußball zu gucken und keinen Fußball zu spielen gibt, dann kommt man auch als Konsolen-Gast auf seine Kosten +++

giessen. Neuer passt den Ball zu Rijkaard, der weiter auf Lampard, der spielt in die Schnittstelle der Abwehr – fragen Sie mich nicht, wo die jetzt gerade herkommt, aber in die Schnittstelle zu spielen, klingt immer gut –, dort nimmt Neymar den Ball lässig an, lupft ihn ins Eck. 1:0, das Volk auf den Tribünen jubelt, der Laie jubelt mit, der Fußball-Fachmann wundert sich. Warum ist Lampard mit Neuer mit Rijkaard und Neymar in einem Spiel am Ball und warum läuft da jetzt noch der Kölner Cordoba ins Bild?

So ist Fußball. Ist so Fußball? Oder ist das nicht eher das Gezocke an der Fifa-Playstation, das der fußballaffine Vater als rituelle Ersatzhandlung nutzt. Weniger als versierter Spieler, denn als Bewunderer der Fingerfertigkeit des Sohnemannes, der momentan mangels Alternativen auf dem echten Rasen an manchen Tagen die Konsolen hoch und runter nudelt. Bis die Drähte glühen. Da wird mit und gegen Kumpels gespielt, die drei Kilometer entfernt im Jugendzimmer hocken. Oder auch – nach dem Zufallsprinzip – gegen ein englisches Bürschlein oder einen italienischen Teenie, der im Land, wo für gewöhnlich die Zitronen blühen, coronabedingt in Quarantäne hockt.

Dann gibt es, so viel hat der Familien-Alterspräsident mittlerweile gelernt, auch eine Weekendleague, in die man am besten nicht gleich am Samstag in aller Frühe einsteigt, weil da die Profis spielen.

Die Welt spielt verrückt, aber Online-Fußball geht immer. In einer (Bild-)Auflösung und mit einer Ähnlichkeit zu den real existierenden Kickern aus Fleisch und Blut, dass der Vater schon verwundert den Kopf durch die Tür steckte und ausrief: „Was für ein Spiel guckst du denn?“ Ehe er sah, dass der Sohn der konsolenbewährte Strippenzieher des überfallartigen Angriffs war. Das Spiel flimmerte nicht als Sportschau-Beitrag über die Mattscheibe, es war ein virtuelles Match, das simulierte, es sei echt. Weil aber die technische Entwicklung und Ausgestaltung ein solch grandioses Simulantentum hervorbringt, dass es kaum noch von den grasfressenden Realitäten unterscheidbar ist, sitzt der Vater, der den Fußball liebt, oft beim Sohn, der den Fußball liebt, und starrt auf den Bildschirm. „Schieß doch“, „warum geht der nicht durch?“, „das war doch Ecke“ – all das rutscht ihm raus. Und in der Halbzeit holt er sich ne Wurst. Eine echte.



Aufrufe: 011.5.2020, 08:00 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor