2024-06-03T07:54:05.519Z

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Da isser, der "Loddar", und er präsentierte sich bodenständig auf seiner Stippvisite in Mittelhessen.
Da isser, der "Loddar", und er präsentierte sich bodenständig auf seiner Stippvisite in Mittelhessen. – Foto: Bethke

»Rekordnationalspielerbesieger«

Als die SG Bissenberg/Leun/Tiefenbach die SG Niederbiel und Lothar Matthäus schlug

Solms-Niederbiel Es hat dann also doch noch geklappt mit der Trainerstelle in Deutschland. Wenn auch nur für einen Abend, wenn auch nur in der Kreisliga. Doch einen Lothar Matthäus stört das nicht. Denn ein Lothar Matthäus ist in erster Linie Fußballer. Deshalb stört es einen Lothar Matthäus ganz gewaltig, wenn er eine Niederlage bezieht, auch wenn sie verdient war.

„Der Gegner war uns in fast allen Bereichen überlegen: läuferisch, kämpferisch und spielerisch.“ Der Rekordnationalspieler gab diese Analyse mit einer Ernsthaftigkeit in Gestik, Mimik und Ausdruck zu Protokoll, als habe er soeben ein Match in der Champions League verloren.

Oberbieler holt Weltmeister nach Niederbiel

Doch es spielten nicht die Bayern gegen Manchester wie beim Finaltrauma vor bald 20 Jahren im Camp Nou von Barcelona. Es standen sich zwei Wetzlarer Kreisligisten gegenüber. Hier die von Matthäus betreute SG Niederbiel, dort der rangtiefere B-Ligist SG Bissenbach/Tiefenbach/Leun, der das in Freundschaft ausgetragene Lokalduell mit 3:1 (1:1) vor rund 400 Zuschauern für sich entschied.

Die waren nicht in erster Linie wegen des Derbycharakters an diesem tristen Montagabend auf die Anlage der Sportgemeinschaft gekommen, sondern weil der A-Ligist das Kommen des Rekordnationalspielers angekündigt hatte. Möglich gemacht hatte dieses Spiel der Oberbieler Tobias Sergeo, bekannt als Betreiber der Facebookseite „Kreisligafußball – das Bier gewinnt“ und Partysänger „Kreisligalegende“, und die Kooperation zwischen seinem Unternehmen und dem Wettanbieter LeoVegas. Der wiederum hat Lothar Matthäus als Markenbotschafter unter Vertrag.

Für Dennis Martin war dieses Spiel eine Erfahrung, „die ich sicher nie vergessen werde“. Dafür sorgte das Auftreten des 150-fachen Nationalspielers. Der Trainer der SG Niederbiel benutzte die Attribute, die an diesem Abend oft zu hören waren, wenn es um die Wirkung des Ex-Profis von Borussia Mönchengladbach, Bayern München und Inter Mailand ging: freundlich, humorvoll, zugänglich und locker. Und Martin fügte an, was auch sein Gegenüber Daniel Major sagte: „Das war überragend. Damit hätte ich so nicht unbedingt gerechnet.“

Doch schon als Matthäus gegen 17 Uhr mit seinem Manager Wim Vogel am Sportheim vorfuhr, sei das Eis schnell gebrochen. „Als Lothar ausstieg, hat er unseren Jungs erstmal einen Spruch gedrückt, und schon war gute Stimmung da“, erzählt Martin. Die setzte sich beim Aufwärmen fort, das eher einer Trainingseinheit glich. Schon eine Stunde vor Anpfiff bat der Experte des Bezahlsenders „Sky“ seine Mannschaft auf den Rasen. „Kommt Männer, noch eine Bahn, ganz locker, dehnt euch ein bisschen dabei, dann gehts in die Felder zum 5:2.“

Lothar Matthäus war in seinem Element: Fußball. „Das ist das, was ich kann. Davon habe ich Ahnung.“ Und dieses Wissen wollte er an den Kreisligisten weitergeben. Der exerzierte bislang nicht gekannte Übungen und schwitzte mitunter mehr als am Freitag zuvor beim dürftigen 3:3 gegen die SG Hohenahr.

„Wenn das so weiter geht, sind wir bis zum Abpfiff schon fix und fertig“, mutmaßte einer der Kreisligakicker. Der von seinem Kopf in den Niederbieler Abendhimmel aufsteigende Dampf verstärkte die eigene Einschätzung. Doch sein Trainer für einen Abend ließ nicht locker: „So, jetzt will ich Tore sehen“, bat Matthäus zur Schussübung. Die ersten Versuche waren begleitet von Kopfschütteln, denn es schlug überall ein, nur nicht hinter Keeper Markus Volk.

Als es dann endlich rappelte, meinte der Ehrenspielführer der Nationalmannschaft: „Kein Wunder bei der Vorlage.“ Die hatte er gegeben. Gelächter. Lothar Matthäus geht es auch um Spaß am und im Spiel. Für ihn eine Grundvoraussetzung, um erfolgreich zu sein. Er hatte Spaß am Spiel. Und hat es noch immer. Mit seiner Präsenz will er diesen an seine Jungs übertragen. Ob er sich denn vorstellen kann, was diese Präsenz denn für den A-Ligisten überhaupt bedeutet? „Ich hoffe, das bedeutet ihnen viel. Ich hoffe, dass sich gerade meine Jungs davon nicht nervös machen lassen. Dass sie einfach das spielen, was sie können, was sie auszeichnet. Vielleicht noch ein bisschen motivierter, einen Schritt mehr zu machen, einen Schritt schneller zu machen. Grundsätzlich sollen sie dabei aber so spielen, wie sie immer spielen. Und wenn sie dann davon noch ihren Kindern und Enkelkindern erzählen können, ist das eine schöne Geschichte.“

Das Spiel wurde dann vor allem für die SG Bissenberg/Leun/Tiefenbach zu einer schönen Geschichte. Zwar legten die Hausherren nach dem Anpfiff von Schiedsrichter Eike Grandt los, als gäbe es keinen Morgen mehr und gingen durch Cedric Held schon nach drei Minuten in Führung, doch dann kippte die Partie. „Ich bin sogar sehr unzufrieden“, grantelte Matthäus beim Gang in die Halbzeitpause. Alles Dirigieren hatte nichts genutzt. Tim Hoffmann glich zum verdienten 1:1 aus. Die Gründe lagen für den bislang einzigen deutschen „Weltfußballer des Jahres“ auf der Hand: „Keine Passgenauigkeit, keine Zuordnung, keine Handlungsschnelligkeit. Nach drei Minuten hast du eben noch kein Spiel gewonnen.“

Und nach 80 hatte es Lothar Matthäus in Niederbiel auch nicht. Die SG „BiLeTi“ hatte das wahr gemacht, was ihr Trainer Daniel Major zuvor auf die Ankündigungsplakate zusätzlich gedruckt hatte: „Rekordnationalspielerbesieger“. Und das „völlig verdient“, wie der so besiegte Rekordnationalspieler bei einer Stehpresskonferenz im Scheinwerferlicht der Kameras mit „einem Kompliment an meinen Kollegen“ zugab. „Meinen Kollegen?!“ Major hatte nun was, von dem er seinen Kindern und Enkelkindern erzählen kann. Das haben auch die beiden übrigen Torschützen seines Teams, Rene Diehl und Dieter Faust. Wie sich denn so ein Treffer gegen Lothar Matthäus anfühlt? „Richtig geil, aber auch Alltag für mich“, meinte Diehl nach seiner Auswechslung unter dem Gejohle seiner Mannschaftskameraden.

Mit der obligatorischen Kiste Bier in die Kabine

Die verzogen sich nach dem Derbysieg ebenso mit der obligatorischen Kiste Bier in die Kabine wie die unterlegene SG Niederbiel, die die Niederlage nur wenig schmerzte. „Weil wir heute mit einer gemischten Mannschaft angetreten sind und das Ergebnis für uns nur zweitrangig war“, versicherte Dennis Martin. Der war nun wieder Trainer. Lothar Matthäus war da wieder in die Rolle des Weltstars geschlüpft und erfüllte geduldig alle Autogramm- und Fotowünsche. Er tat das so, wie ihn die Menschen den ganzen Abend in Niederbiel erlebt hatten: freundlich, humorvoll, zugänglich und locker.



Aufrufe: 05.11.2019, 20:11 Uhr
André BethkeAutor