Am Anfang nannte man diese Art von Fußball noch so treffend „Geisterspiel“, ein Wort, das vieles sagt über die Abwesenheit von Herz, Gefühl und Lebendigkeit. Borussia Mönchengladbach und der 1. FC Köln führten die Öffentlichkeit in diese Art von Veranstaltung ein. Das war am 11. März des vergangenen Jahres. Danach ging der Profifußball für gut zwei Monate in Quarantäne, Mitte Mai startete er nach einem Hygienekonzept, das die Mannschaften in eine eigene „Blase“ und die Zuschauer von zwischenzeitlichen Ausnahmen abgesehen auf die Couch schickte.
Geisterspiele wurden zum Alltag im professionellen Sport. Das ist eine Normalität, die eigentlich niemand will. „Fußball ohne Fans ist nichts“, stand auf Bannern in den leeren Arenen. Und der Berliner Sportphilosoph Gunter Gebauer urteilte: „Dieser Fußball unter Laborbedingungen bringt doch keine Normalität zurück. Im Gegenteil: Dieser Fußball wird uns zeigen, dass wir nicht in normalen Zeiten leben.“
Dem Publikum, das in einer anderen, in der wahren Normalität notwendig zum Profisport gehört, geht es wie den Breitensportlern. Es muss auf Abstand gehen. Im Stadion ist es nicht vorgesehen, Versammlungen vor den Stadien verbieten die Corona-Regeln. Gemeinsames Verfolgen der Live-Übertragungen in Kneipen wurden stille Veranstaltungen, weil niemand dem anderen nahekommen durfte. Der Sport, auch dessen Konsum, wurde Privatsache, spätestens, als selbst die Kneipen schließen mussten. Die Fans fanden sich damit ab, Bestandteil einer eher seelenlosen Veranstaltung zu sein, an der sie nicht mehr aktiv teilnehmen konnten, in der es den gelegentlichen Zauber des gemeinschaftlichen Erlebens nicht mehr gibt.
Wissenschaftler fanden heraus, dass es weniger Heimsiege gab, und bestätigten damit die Fußballfreunde in ihrem Glauben, in „normalen“ Zeiten maßgeblich zum Erfolg beitragen zu können. Das Spiel selbst, auch das fanden Wissenschaftler heraus, hat sich kaum verändert. Es wird genauso viel gerannt, genauso viel gemeckert, gefoult, getroffen und – nach einer strengen Anlaufphase mit Kontakteinschränkungen beim Torjubel – auch wieder geherzt und geküsst, wenn der Ball im Netz liegt.
Der entscheidende Unterschied zu früher, zur Fußballwelt vor Corona: Diese menschlichen Gesten finden auf einer Bühne statt, in einem Fernsehspiel, sie haben keine unmittelbare Nähe zum Publikum, sie erzeugen keine emotionale Bindung zu denen, die draußen vor den Fernsehern sitzen. Das Verhältnis zu den Berufssportlern in ihrer Abgeschiedenheit, ihrer Blase, in diesem Dokument der Abgehobenheit, kühlt ab. Die Corona-Regeln des Profifußballs wirken wie eine Trennung in die auf einer Insel der Privilegierten und jene, die das Fußballvolk bilden, das noch nie so sehr Kunde und Konsument ohne lebendige Bindung an den Lieblingssport war.
Anfangs waren Hoffnungen mit den Geisterspielen verbunden, die übrigens inzwischen niemand mehr so nennt, weil sie zur Normalität geworden sind. Wirtschaftliche Hoffnungen vor allem. „Wenn wir auch diese Spiele nicht mehr haben, wird’s ganz eng“, sagte Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Spiele ohne Zuschauer erwirtschaften zumindest TV-Gelder, ohne die es vermutlich die ersten Pleiten gegeben hätte. Eine andere Hoffnung war: Weniger Emotionen bedeuten ein höheres Maß an Abgeklärtheit. Die Betrachtung werde nüchterner, der Trend zur Überhöhung werde zwangsläufig abnehmen, glaubten einige. Dem Geschäft könnte es gut tun. Dann nämlich, wenn es auf der Seite der Geschäftsinhaber, die die große Maschine Profisport betreiben, zu einer Form der Selbstbesinnung kommt, weil das Publikum distanziert sein muss. So mancher bemühte in den ersten Tagen hehre Werte wie Demut und Bescheidenheit. Der ehemalige Bundesligatrainer Winfried Schäfer erklärte: „Vielleicht kommt das Geschäft so wieder etwas auf den Boden.“
Das hat sich als verwegene Hoffnung herausgestellt. Der Mainzer Fußball-Manager Christian Heidel sagte: „Sobald sich alles erholt hat, wird es wieder normal laufen.“ Und er meinte das sinnfreie Verprassen von Geld. Die Summen auf dem Transfermarkt sind zwar kleiner geworden, weil insgesamt nicht mehr so viel Geld unterwegs ist. Aber in einem gesunden Verhältnis von Aufwand und Ertrag stehen diese Summen weiterhin nicht.
Auch daran hat sich das Publikum längst gewöhnt. Der Wanderzirkus Profifußball erhält sich selbst am Leben in seiner eigenen Wirklichkeit, die Lichtjahre entfernt ist vom Alltag der Gesellschaft. Und auf dem Platz schallt weiter dieses ungewohnte Geräusch, irgendwo zwischen „Plop“ und „Klatsch“. Manchmal brüllt ein Trainer „Raus!“ – in diesem Fernsehspiel, das einmal Fußball war.