2024-05-10T08:19:16.237Z

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– Foto: Imago Images

Das Fern­seh­spiel, das mal Fuß­ball war

Seit ei­nem Jahr lebt der Pro­fi­fuß­ball in sei­ner Co­ro­na-Bla­se. Die Fans ha­ben sich an Geis­ter­spie­le ge­wöhnt, aber der Ab­stand zwi­schen Ba­sis und Haupt­dar­stel­lern wird im­mer grö­ßer. Fans wer­den zu TV-Zu­schau­ern.

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Es be­ginnt mit ei­nem un­ge­wohn­ten Ge­räusch – ir­gend­wo zwi­schen „Plop“ und „Klatsch“ mit tüch­ti­gem Hall. Es ist das Ge­räusch, wenn der Fuß­ball­schuh den Ball trifft. Der Hall ent­steht, weil das Ge­räusch über lee­re Rän­ge läuft und aufs Spiel­feld zu­rück­kehrt. Ir­gend­je­mand brüllt: „Raus!“ und ein paar an­de­re brül­len: „Hej, hej, hej!“ Manch­mal er­tönt ein Pfiff. Die se­gens­rei­che Ein­rich­tung der Au­ßen­mi­kro­fo­ne über­trägt die­se Ge­räu­sche in die Wohn­zim­mer. Dort sit­zen die Fans vor dem Fern­se­her. Denn im Sta­di­on sind sie nicht mehr. Der Pro­fi­fuß­ball spielt seit fast ei­nem Jahr nach sei­nen ei­ge­nen Co­ro­na-Re­geln. Die Fans ha­ben sich an die­sen Zu­stand ge­wöhnt – was bleibt ih­nen üb­rig?

Am An­fang nann­te man die­se Art von Fuß­ball noch so tref­fend „Geis­ter­spiel“, ein Wort, das vie­les sagt über die Ab­we­sen­heit von Herz, Ge­fühl und Le­ben­dig­keit. Bo­rus­sia Mön­chen­glad­bach und der 1. FC Köln führ­ten die Öf­fent­lich­keit in die­se Art von Ver­an­stal­tung ein. Das war am 11. März des ver­gan­ge­nen Jah­res. Da­nach ging der Pro­fi­fuß­ball für gut zwei Mo­na­te in Qua­ran­tä­ne, Mit­te Mai star­te­te er nach ei­nem Hy­gie­ne­kon­zept, das die Mann­schaf­ten in ei­ne ei­ge­ne „Bla­se“ und die Zu­schau­er von zwi­schen­zeit­li­chen Aus­nah­men ab­ge­se­hen auf die Couch schick­te.

Geis­ter­spie­le wur­den zum All­tag im pro­fes­sio­nel­len Sport. Das ist ei­ne Nor­ma­li­tät, die ei­gent­lich nie­mand will. „Fuß­ball oh­ne Fans ist nichts“, stand auf Ban­nern in den lee­ren Are­nen. Und der Ber­li­ner Sport­phi­lo­soph Gun­ter Ge­bau­er ur­teil­te: „Die­ser Fuß­ball un­ter La­bor­be­din­gun­gen bringt doch kei­ne Nor­ma­li­tät zu­rück. Im Ge­gen­teil: Die­ser Fuß­ball wird uns zei­gen, dass wir nicht in nor­ma­len Zei­ten le­ben.“

Dem Pu­bli­kum, das in ei­ner an­de­ren, in der wah­ren Nor­ma­li­tät not­wen­dig zum Pro­fi­sport ge­hört, geht es wie den Brei­ten­sport­lern. Es muss auf Ab­stand ge­hen. Im Sta­di­on ist es nicht vor­ge­se­hen, Ver­samm­lun­gen vor den Sta­di­en ver­bie­ten die Co­ro­na-Re­geln. Ge­mein­sa­mes Ver­fol­gen der Live-Über­tra­gun­gen in Knei­pen wur­den stil­le Ver­an­stal­tun­gen, weil nie­mand dem an­de­ren na­he­kom­men durf­te. Der Sport, auch des­sen Kon­sum, wur­de Pri­vat­sa­che, spä­tes­tens, als selbst die Knei­pen schlie­ßen muss­ten. Die Fans fan­den sich da­mit ab, Be­stand­teil ei­ner eher see­len­lo­sen Ver­an­stal­tung zu sein, an der sie nicht mehr ak­tiv teil­neh­men konn­ten, in der es den ge­le­gent­li­chen Zau­ber des ge­mein­schaft­li­chen Er­le­bens nicht mehr gibt.

Wis­sen­schaft­ler fan­den her­aus, dass es we­ni­ger Heim­sie­ge gab, und be­stä­tig­ten da­mit die Fuß­ball­freun­de in ih­rem Glau­ben, in „nor­ma­len“ Zei­ten maß­geb­lich zum Er­folg bei­tra­gen zu kön­nen. Das Spiel selbst, auch das fan­den Wis­sen­schaft­ler her­aus, hat sich kaum ver­än­dert. Es wird ge­nau­so viel ge­rannt, ge­nau­so viel ge­me­ckert, ge­foult, ge­trof­fen und – nach ei­ner stren­gen An­lauf­pha­se mit Kon­takt­ein­schrän­kun­gen beim Tor­ju­bel – auch wie­der ge­herzt und ge­küsst, wenn der Ball im Netz liegt.

Der ent­schei­den­de Un­ter­schied zu frü­her, zur Fuß­ball­welt vor Co­ro­na: Die­se mensch­li­chen Ges­ten fin­den auf ei­ner Büh­ne statt, in ei­nem Fern­seh­spiel, sie ha­ben kei­ne un­mit­tel­ba­re Nä­he zum Pu­bli­kum, sie er­zeu­gen kei­ne emo­tio­na­le Bin­dung zu de­nen, die drau­ßen vor den Fern­se­hern sit­zen. Das Ver­hält­nis zu den Be­rufs­sport­lern in ih­rer Ab­ge­schie­den­heit, ih­rer Bla­se, in die­sem Do­ku­ment der Ab­ge­ho­ben­heit, kühlt ab. Die Co­ro­na-Re­geln des Pro­fi­fuß­balls wir­ken wie ei­ne Tren­nung in die auf ei­ner In­sel der Pri­vi­le­gier­ten und je­ne, die das Fuß­ball­volk bil­den, das noch nie so sehr Kun­de und Kon­su­ment oh­ne le­ben­di­ge Bin­dung an den Lieb­lings­sport war.

An­fangs wa­ren Hoff­nun­gen mit den Geis­ter­spie­len ver­bun­den, die üb­ri­gens in­zwi­schen nie­mand mehr so nennt, weil sie zur Nor­ma­li­tät ge­wor­den sind. Wirt­schaft­li­che Hoff­nun­gen vor al­lem. „Wenn wir auch die­se Spie­le nicht mehr ha­ben, wird’s ganz eng“, sag­te Bo­rus­sia Dort­munds Ge­schäfts­füh­rer Hans-Joa­chim Watz­ke. Spie­le oh­ne Zu­schau­er er­wirt­schaf­ten zu­min­dest TV-Gel­der, oh­ne die es ver­mut­lich die ers­ten Plei­ten ge­ge­ben hät­te. Ei­ne an­de­re Hoff­nung war: We­ni­ger Emo­tio­nen be­deu­ten ein hö­he­res Maß an Ab­ge­klärt­heit. Die Be­trach­tung wer­de nüch­ter­ner, der Trend zur Über­hö­hung wer­de zwangs­läu­fig ab­neh­men, glaub­ten ei­ni­ge. Dem Ge­schäft könn­te es gut tun. Dann näm­lich, wenn es auf der Sei­te der Ge­schäfts­in­ha­ber, die die gro­ße Ma­schi­ne Pro­fi­sport be­trei­ben, zu ei­ner Form der Selbst­be­sin­nung kommt, weil das Pu­bli­kum dis­tan­ziert sein muss. So man­cher be­müh­te in den ers­ten Ta­gen heh­re Wer­te wie De­mut und Be­schei­den­heit. Der ehe­ma­li­ge Bun­des­li­ga­trai­ner Win­fried Schä­fer er­klär­te: „Viel­leicht kommt das Ge­schäft so wie­der et­was auf den Bo­den.“

Das hat sich als ver­we­ge­ne Hoff­nung her­aus­ge­stellt. Der Main­zer Fuß­ball-Ma­na­ger Chris­ti­an Hei­del sag­te: „So­bald sich al­les er­holt hat, wird es wie­der nor­mal lau­fen.“ Und er mein­te das sinn­freie Ver­pras­sen von Geld. Die Sum­men auf dem Trans­fer­markt sind zwar klei­ner ge­wor­den, weil ins­ge­samt nicht mehr so viel Geld un­ter­wegs ist. Aber in ei­nem ge­sun­den Ver­hält­nis von Auf­wand und Er­trag ste­hen die­se Sum­men wei­ter­hin nicht.

Auch dar­an hat sich das Pu­bli­kum längst ge­wöhnt. Der Wan­der­zir­kus Pro­fi­fuß­ball er­hält sich selbst am Le­ben in sei­ner ei­ge­nen Wirk­lich­keit, die Licht­jah­re ent­fernt ist vom All­tag der Ge­sell­schaft. Und auf dem Platz schallt wei­ter die­ses un­ge­wohn­te Ge­räusch, ir­gend­wo zwi­schen „Plop“ und „Klatsch“. Manch­mal brüllt ein Trai­ner „Raus!“ – in die­sem Fern­seh­spiel, das ein­mal Fuß­ball war.

Aufrufe: 025.2.2021, 22:00 Uhr
RP / Robert PetersAutor